Distanzlosigkeit II – Drüber nachgedacht

Nachdem ich einige Anfragen dazu bekommen habe zuerst noch eine Feststellung: die beiden geschilderten distanzlosen Vorkommnisse sind tatsächlich so passiert, auch wenn man es nicht glauben mag 🙂

Aber mal zurück zum Thema. Der Kommentar von Gnaddrig hat mich ja ein bisschen zum Nachdenken über das Thema gebracht, was ich euch natürlich nicht vorenthalten möchte.

Dass man als Bibliothekar oft auch Sozialarbeiter, Gesellschafter oder Beichtvater ist, wusste ich ja bereits seit meinem ersten Praktikum, aber die Herausforderungen in diesem Bereich haben in den letzten Jahren um einiges zugenommen. Man fungiert quasi als Barkeeper ohne Alkohol.

Dies kommt hauptsächlich daher, dass es gerade unter unseren älteren Leserinnen und Lesern zunehmend Menschen gibt, die keine Ansprache mehr haben. Der Partner ist tot, die Kinder leben über die Republik verteilt und zurück bleiben einsame Menschen. Natürlich suchen sich diese Leutchen dann andere Ansprechpartner, unter anderem eben auch das Personal in den Bibliotheken.

Das ist ja auch in Ordnung, jedenfalls für mich. Meine Bestrebung war es schon immer, meine kleine Bibliothek nicht nur als Buchausgabestelle zu sehen, sondern auch als Kommunikationspunkt für unseren Ort. Dass dann auch alle zwei Wochen die Oma Brunowsky* kommt und mir erzählt, dass sie ihr Nachbar geärgert hat oder der Opa Steiner* mir von seinen neuesten Wehwehchen erzählt, ist doch gut.

Wir bieten ja auch einen Bücherbringdienst an für Menschen, die nicht mehr selbst in die Bibliothek kommen können. Und wenn wir dann so alle zwei Wochen unsere Runden drehen, dann planen wir für die Besuche schon etwas großzügiger. Die LeserInnen wären doch arg enttäuscht, wenn wir einfach die Bücher tauschen würden und gleich wieder verschwinden. Das Tässchen Kaffee gehört da schon dazu und dann hört man, was seit dem letzten Besuch alles so passiert ist. Es kommt auch öfters mal vor, dass LeserInnen mit irgendwelchen Formularen o. ä. ankommen und wir dann beim Ausfüllen helfen oder ähnliches.

Wie gesagt, das alles gehört für mich jedenfalls auch zur Bibliotheksarbeit mit dazu. Nicht dazu gehört für mich, älteren Herren Salbe auf nässende Ausschläge in der Leiste zu schmieren oder meinen Kommentar zu nackten Hintern abzugeben. Aber warum kommt es zu solchen Exzessen?

Gnaddrig hat schon Recht, wenn er die sinnfreie Duzerei z. B. bei Ikea als Ursache mit anführt. Heute wird geduzt auf Teufel komm raus, was jetzt prinzipiell kein Problem wäre, in den skandinavischen Ländern funktioniert das ja auch. Hier aber nicht, hier denken die Menschen gleich, wenn sie mich duzen stehen wir auf vertraulichem Fuß. Das ist natürlich ein frappierender Irrtum, denn der Ikea-Verkäufer kann mich gerne duzen, ich werde aber sicher kein Bier mit ihm trinken gehen.

Und gerade dieser Fehlschluss ist es, der dann zu solchen Distanzlosigkeiten führt. Ich respektiere niemanden mehr oder weniger, ob ich ihn jetzt duze oder sieze, aber die Grenze des zwischenmenschlichen Respekts muss immer gewahrt bleiben.

(* Alle Namen frei erfunden)