Wie wollen wir weiter machen?

Irgendwann wird diese Pandemie zu Ende gehen. Noch nicht dieses Jahr, erstmal steht uns noch ein harter Corona-Winter bevor, aber ich denke schon, dass im nächsten Jahr die ganze Geschichte endgültig hinter uns gebracht haben, jedenfalls soweit, dass das Leben wieder in normalen Bahnen verlaufen kann. Allerdings bleibt dann noch ein Problem: die Querdenker. Diesen Begriff verwende ich hier in diesem Artikel übrigens für all jene, die sich während der letzten zwanzig Monate freiwillig außerhalb unserer Gesellschaft gestellt haben und die Bekämpfung der Pandemie torpedieren.

Gut, jetzt werdet ihr sagen, dass es Gesundheitsschwurbler schon immer gegeben hat, dass Impfgegner beispielsweise, kein neues Phänomen sind. Aber jetzt gibt es doch einen gravierenden Unterschied: Bisher haben sich diese Menschen „nur“ selbst gefährdet, aber heute ist es so, dass sie mit ihrem Verhalten auch andere, wehrlose Menschen gefährden. Außerdem kommt dazu, dass die Querdenker ohne jede moralischen Bedenken mit Reichsbürgern und Nazis marschieren. Die Grenzen zwischen ignorantem „Ich halte Corona für mich persönlich für weitgehend harmlos und lehne deshalb die für mich persönlich lästigen Maßnahmen ab“ und Verschwörungswahn a la „Systemling“ ist erschreckend fließend geworden. Außerdem fordern sie heute für ihr gemeingefährliches Verhalten auch noch Verständnis. Diese Menschen haben sich schleichend radikalisiert, wie man während jeder ihrer Demonstrationen oder an dem skurpellosen Mord in Idar-Oberstein sehen kann.

Und die Frage bleibt, wie gehen wir mit diesen Menschen um, wenn diese Pandemie vorbei ist? Können wir zur Tagesordnung übergehen und all die Brauners, Schiffmanns oder Füllmichs einfach ignorieren? Gut, es zeichnet sich ab, dass sich – wenigstens die führenden Köpfe – neue Nischen, aktuell wohl der menschengemachte Klimawandel, suchen, um sich gegen „das System“ zu stellen, aber was machen wir mit den Feld-Wald-und-Wiesen-Querdenkern, die es in zahlreichen Familien, Arbeitsstellen oder sonstwo gibt?

Darüber habe ich mir HIER ja schon einmal Gedanken gemacht, aber heute habe ich bei Twitter den Thread meiner lieben Freundin @MyMissMM gelesen, den ich mit ihrer Erlaubnis hier verwenden darf:

Wir waren am Freitagabend mit einem befreundetem Paar in einem italienischen Restaurant. Klein, gute Küche, gute Weine. Am Eingang wurde unser QR-Code gescannt und wir wurden zu unserem Platz geführt.
Am Nachbartisch saßen vier Personen – ein Ehepaar in den 60er/70ern, ihr Sohn ca. Mitte/Ende 30 und die dazugehörige Großmutter, Ende 80 wahrscheinlich. Als wir gerade Platz nehmen wollten, stand der ältere Herr vom Nachbartisch auf mit den Worten: Ich höre mir das nicht weiter an, ich gehe nach draußen.“, er war wütend.
In den nächsten Minuten in der Abwesenheit des Vaters gab der Sohn Folgendes von sich: „Corona ist nur eine Grippe.“, „Oma, die belügen Dich, wenn Du gegen Corona geimpft bist, musst Du Dich jetzt nicht auch gegen die Grippe impfen lassen.“, „Oma, die Regierung hat sich das nur ausgedacht, es sind mehr Menschen letztes Jahr an der Grippe gestorben als an Corona.“, „Die Impfung schützt Dich nicht, die Regierung hat sich das nur ausgedacht um die Wirtschaft lahmzulegen.“, diese Ausführungen gingen immer weiter. Immer wieder bat die Mutter ihren Sohn damit aufzuhören, immer wieder unterbrach er sie. Sie bat ihn eindringlich das Thema zu wechseln, wenn „Papa“ wieder an den Tisch kommen würde.
Papa kam wieder an den Tisch, augenscheinlich beruhigt. Aber der Sohn hörte nicht auf, er nannte seinen Vater einen „Systemling der Merkelregierung“, er redet laut, die ganze Zeit. Wir konnten das Gespräch nie überhören. Der Vater steht auf. Er fordert seine Frau und die Großmutter auf zu gehen. Die Mutter weint, die Großmutter sieht hilflos aus. Er sagt zu seinem Sohn: „Du bist für mich gestorben, Dein Essen bezahlst Du selbst.“. Der Sohn bleibt.
Wir haben nur unfreiwillig 15min dieses Familiendramas mitbekommen, aber es macht betroffen.
Es schmerzt.
Vorletzte Woche wollte mein Cousin eine Nacht bei meinen Eltern auf der Durchreise übernachten. Seine Frau ist nicht geimpft. Sie ist keine Verschwörungstheoretikerin. Sie ist etwas esoterisch angehaucht. Sie lehnt Medikamente jeglicher Art ab. Sie ist aber eine intelligente Frau, etwas verstrahlt, eine amüsante Gesprächspartnerin. Ich kann sie ganz gut ein, zwei Abende ertragen, aber nicht unbedingt länger.
Mein Vater ist Anfang 80, meine Mutter ein gutes Stück jünger. Mein Vater (dreifach geimpft), der die Gastfreundschaft quasi erfunden hat, hat diesen Besuch abgelehnt. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er einen Gast nicht empfangen. Ich habe mit ihm darüber gesprochen. Er hat mit sich selbst gehadert. Es ist doch Familie. Und es geht für ihn ums Prinzip. Er will kein Risiko eingehen.
Die Frau meines Cousins hat mir eine böse Nachricht geschrieben, sie wäre bei meinen Eltern nicht mehr willkommen. Ich habe darauf nicht geantwortet. Ich kann fast alles verzeihen, konnte ich immer. Ich bin nicht nachtragend. Wenn ich ein Verhalten verstehe, kann ich es auch verzeihen. Und wenn ich es objektiv falsch finde, dann zumindest in der Regel, wenn sich jemand aufrichtig entschuldigt. Ich glaube aber generell nicht, dass das nach der Pandemie möglich sein wird. Auf allen Seiten. Jeder wird sicherlich eine Person verlieren, den er oder sie im Herzen getragen hat. Die Gräben sind zu tief geworden in den letzten 20 Monaten.

Diese Beispiele zeigen uns das Problem recht eindrucksvoll auf. Wobei ein spezielles Aspekt darin liegt, dass diese Menschen sich ja durch die staatlichen Maßnahmen in den „Widerstand“ getrieben fühlen. Sie sehen sich also auf der „richtigen Seite“, während der Staat illegal und repressiv handelt und der Großteil der Bevölkerung wie eine Herde Schafe hinterhertappt. Daher kommen auch diese vielen ekelhaften und unzutreffende Anne Frank- oder Sophie Scholl-Vergleiche.

Der Staat, die Regierungen auf Bundes- und Landesebene mussten handeln und das haben sie getan. Vielleicht hat sich einiges hinterher als nicht so ganz richtig herausgestellt, aber hinterher ist ja jeder schlauer. Und so frage ich mich, was die vereinigten Querdenker erwartet haben, was in einer solchen Situation passiert? Sollten die Verantwortlichen einfach zusehen und die Bevölkerung durchseuchen lassen? Mit allen Konsequenzen? Mit noch mehr Toten, wie wir sie bisher hatten? Sollte auf jeden Schutz der Bevölkerung verzichtet werden? Dass das nicht geschehen konnte, hätte von vorneherein klar sein müssen.

Wie gesagt, es wurden Fehler gemacht, aber die Zeit, diese aufzuarbeiten, ist nicht jetzt, nicht während noch Menschen beatmet auf den Intensivstationen unserer Republik liegen. Dafür ist nach der Pandemie Zeit. Aber zurück zum Thema.

Für die Anführer dieser Bewegung, die es nicht geschafft haben, sich die Taschen mit den Spendengeldern ihrer Nachläufer zu füllen, wird es natürlich am schwersten werden. Aber um die und die Anführer, die das geschafft haben, geht es mir gar nicht. Die werden, wie oben bereits gesagt, neue Nischen finden, um sich gegen die Gesellschaft zu stellen. Und die Spendengelder werden sicherlich auch in dieser neuen Nische fließen. Mir geht es um die „Mitläufer“, diejenigen aus dem obigen Thread. Diejenigen, die mit ihrer Einstellungen Familien und Freundschaften aufs Spiel setzen.

Natürlich würde ich jetzt gerne ein Patentrezept aus der Tasche ziehen, aber da muss ich euch leider enttäuschen, ich habe keinen Plan, wie wir dieses Problem lösen können, aber ich bin zuversichtlich, dass wir als Gesellschaft eine Lösung finden werden.

2 Gedanken zu “Wie wollen wir weiter machen?

  1. Lieber Onkel Michael,
    die Fragen, die Sie stellen, sind in anderen Zusammenhängen schon oft gestellt und beantwortet worden. Die Stichworte sind „Sekten“ausstieg, Exit aus dem politischen Extremismus etc. Wenn ich mich recht erinnere, lauten die Antworten – verkürzt – auf persönlicher Ebene mit dem nahe stehenden Menschen in Kontakt bleiben und ihm das Gefühl geben jederzeit zurückkommen zu können. Politisch keine handbreit den Extremisten und keine Verhandlung mit Terroristen.

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