… heißt der Titel des Filmes vom Regisseur Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1974. Dieser vorliegende Text beschäftigt sich nicht mit dem Inhalt, sondern zielt auf eine sehr moderne Form der Emotion Angst, die in den letzten 15 Jahren nachweisbar ist und zu erheblichen psychischen Störungen führt, nämlich seit Einführung des Smartphones 2010. Viele Wissenschaftler und Forscher beschäftigen sich mit den Ursachen, die in dem lesenswerten Buch „Generation Angst“ von Jonathan Haidt zusammengefasst werden.
Du kannst die Dramatik dieses Phänomens an dem Untertitel ablesen, den der Autor als Art Zusammenfassung voranstellt: „Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen“. Ich bin mir bewusst, dass ich mit diesem Thema in das berühmte Wespennest steche und eine allzeit bekannte Abwehrhaltung bei dir erzeuge: „Nicht schon wieder diese olle Kamelle, die Eltern, Lehrer, Bekannte und Verwandte abziehen, sobald ich mein Smartphone aus der Tasche ziehe“. Aber sachte, mir geht es nicht um Kritik und Verbote (obwohl der Autor letztendlich auch die Einschränkung des Gebrauchs mit in Betracht zieht), sondern um Argumente für eine sachliche Diskussion.
Zunächst eine Klarstellung: Was ist Angst? Was ist Furcht? Wenn du dir die Mühe machst und genau liest, dann zeigt sich schon ein erstes Argument für den Gebrauch der Social Media: Angst und Furcht sind zwar verwandt, aber unterscheiden sich erheblich auf der Verhaltensebene. Furcht stellt eine gefühlsmäßige Antwort auf eine wirkliche und tatsächliche Gefahr hin, z.B. Glatteis auf den Straßen, Hochwasser. Angst erzeugt eine Erwartungshaltung von einer möglichen Gefahr in der Zukunft. Wir reagieren besonders empfindlich auf Gefahren aus unserem sozialen Umfeld, z.B. aus der Gruppe ausgestoßen oder von ihr beschämt zu werden. Ein Studienergebnis besagt: Jugendliche fürchten einen drohenden „sozialen Tod“ häufig mehr als den physischen Tod. Frage dich ehrlich: Gibt dir dein Smartphone die sichere Antwort, ob du echte Freunde hast?
Du weißt es aus eigener Erfahrung: Um im Universum der Social Media sozial erfolgreich zu sein, musst du einen Großteil deiner bewussten Aufmerksamkeit – rund um die Uhr – dem widmen, was zu deiner Online-Marke wurde. Jetzt geht es dir darum, die Akzeptanz deiner Gruppe zu gewinnen und Online-Shaming zu vermeiden, was dein Alptraum ist. Damit stehst du in einer radikal neuen Form des Miteinanders, die weit entfernt ist von den Interaktionen kleiner Gruppen in der wirklichen Welt, in der sich die Menschen im Laufe der Evolution entwickelten.
Wie konnten die Tech-Unternehmen so tief in deine Seele eingreifen? Sie haben ein Feuerwerk suchterzeugender Inhalte entzündet, die in Augen und Ohren der User eindrangen, und indem sie eine Sozialisierung durch persönlichen Kontakt in den Hintergrund drängten, haben sie dein Leben neu verdrahtet und deine Entwicklung in einem fast unvorstellbaren Ausmaß verändert. Bist du mit deinem Leben einverstanden?
Forschungsergebnisse zeigen, dass ein smartphone-basiertes Dasein vier grundlegende Übel aufweist: Schlafmangel, soziale Vereinsamung, Aufmerksamkeitsstörungen und Suchtverhalten. Eltern wollen eingreifen, aber wie sehen diese Gespräche aus? Die Geschichten handeln von einem ständigen Streit. Eltern versuchen, Regeln festzulegen und Grenzen zu ziehen. Damit wird das Familienleben mehr und mehr von Fragen um Technologien beherrscht. Ganz egal, welchem Muster die Gespräche folgen, immer gleich ist die Ohnmacht der Eltern, die sich gefangen und machtlos fühlen. Widersetzen sich Eltern dieser Entwicklung, verdammen sie ihr Kind zu einer sozialen Isolation.
Die Flutwelle von Angststörungen, Depression und Selbstverletzungen traf Mädchen schlimmer als Jungen, und am schlimmsten traf sie Mädchen unter 13 Jahren. Bei Jungen nahmen Angststörungen und Depressionen stark zu. Die Suizidraten bei heranwachsenden Jungen und Mädchen begannen um 2008 zu steigen; in den 2010er Jahren stiegen sie weiter steil an. Keine andere Theorie seit Einführung des Smartphones ist bisher in der Lage zu erklären, warum in so vielen Ländern zur gleichen Zeit und in der gleichen Weise die Raten für Angststörungen und Depressionen unter Heranwachsenden anstiegen als eben der Gebrauch des Smartphones.
Was hilft? Der Autor schlägt Kommunikation und Interaktionen im realen Leben als den „Königsweg“ vor. Ich brauche das leibliche Gegenüber, um in einen echten Kontakt zu kommen. 70 % der Informationen gelangen durch die Körpersprache zu meinem Gegenüber, 25 % werden über stimmliche Merkmale und nur 5 % über Inhalt weitergegeben. Daraus kannst du entnehmen, dass sich ein Treffen auf der Straße mit dem Freund lohnt.
Das Smartphone sagt nur: „Wir sind für immer woanders“.
Haidt, Jonathan: Generation Angst
Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen
Rowohlt, 2024. 448 S.
9783498028367 – 26,00€
