Militante Empfindlichkeiten – kritische Analyse der woken Seele

Mephisto, der Teufel in dem berühmten Drama „Faust“, beschreibt sich selbst: „Ich bin der Geist, der stets verneint!“ – und damit hat der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe wohl lange vor unserer Zeit vorausgeahnt, dass in unserer Postmoderne ein neuer Zeitgeist konstruiert wird und altehrwürdige Gesellschaftsnormen über Bord gehen sollen. Auch zu diesem radikalen Wandel vertritt Luzifer eine eindeutige Meinung: „denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht“. Der große Unterschied zwischen Menschen und Teufel besteht in der Wirksamkeit seiner Taten. Während Mephisto sich beklagt, dass er die Kraft ist, „die stets das Böse will und stets das Gute schafft“, verfolgt der Aktivist stur das Ziel: „Ich bin die Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft“.

Genug der literarischen Überlegungen. Die Gründe des Scheiterns der woke Bewegung werden von der Autorin Esther Bockwyt in ihrem exzellent recherchierten Buch „Woke. Psychologie eines Kulturkampfes“ überzeugend dargelegt. Die zahlreichen praktischen Beispiele belegen, wie eine gut gemeinte Gesellschaftskritik letzten Endes eine Neue „böse“ Welt (keine „Neue schöne Welt“) kreiert. Der Schwerpunkt der kritischen Analyse liegt in der Beschreibung der psychologischen Mechanismen, die in jedem Individuum wirksam sind.

Für dich als Leser rufe ich kurz die Definition der woke Bewegung in Erinnerung. Zwei Ziele stehen im Vordergrund: 1. Der zentrale Anspruch der Bewegung ist der Abbau der Diskriminierung und Unterdrückung bestimmter Gruppen, und 2. Appelle nach Gerechtigkeit, Diversität und Antirassismus. Im DUDEN ist zu lesen: Woke bedeutet im hohen Maße politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung zu sein. Populär wurde der Begriff Wokeness im Jahre 2014 vor allem im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA. Bockwyt stellt mit Recht die Frage: Wer könnte nun guten Gewissens etwas gegen Vielfalt und Toleranz sagen oder gar für Diskriminierung sein? Kein Mensch möchte als intolerant oder rückständig gelten. An diesem Punkt wird die Fahne für das „Gute“ gehisst.

Der geistige Hintergrund der woken Ideologie lässt jedoch erste Zweifel aufkommen. Das Menschenbild trägt negative Züge: Das menschliche Streben ist auf Macht aus, und es gibt keine objektive Wahrheit. Mit diesen Aussagen wird ein Gegenpol geschaffen zu der Philosophie der Aufklärung, die für ein Individuum als Träger von Rechten, Pflichten und Verantwortung eintritt, das nach Glück und Erfüllung im Leben strebt. Das Individuum wird in der woken Philosophie ersetzt durch kollektive Identitätsmerkmale (Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, zu einer Volksgruppe, zu einer Behinderung), die höher gewichtet werden als die Individualität. Daher muss man die Wokeness als kollektivistische Anschauung verstehen.

Du kannst dir zwei entscheidende Ergebnisse merken: Du bist ein schlechter Mensch und du bist berechtigt, anhand deines Gefühls einer Diskriminierung einer Gruppe zugehörig zu sein – und in dieser Gruppe wirst du von den Aktivisten betreut. Insofern kann man die Wokeness auch als Planwirtschaft der Gefühle und Identitäten bezeichnen. Wokeness ist daher eine Ideologie, die eine zutiefst demotivierende Perspektive in deinem Leben forciert: Du bist emotional gebrechlich, unentwegt in einer Opferrolle, in einem Schwarz-Weiß-Denken fixiert und auf das Böse in anderen und in der gesamten Gesellschaft ausgerichtet. Willst du aus Gründen der Pseudosicherheit deinen Verstand an der Garderobe der Wokeness abgeben?

Bockwyt wendet sich nach dem Wirrwarr an Begriffen dem interessanten Kapitel der dahinterliegenden Psycho-Mechanismen zu. Der Teufel steckt in der Selbstverliebtheit – auch als Narzissmus bekannt -, die besagt, dass der Mensch das Bedürfnis verspürt, sich selbst als liebenswert durch andere zu erleben. Dieses Ziel gelingt den woken Aktivisten am besten durch einen moralisch verwerflichen Trick: Wertschätzung von den Mitmenschen erhalte ich am sichersten durch meine „Wohltaten“, indem ich mich scheinbar uneigennützig für Benachteiligte einsetze. Hinter dieser Maske der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft steckt jedoch eine übersteigerte Egozentrik („Ich tue es nur für mich“). Verstanden?

Die gespürte Überempfindlichkeit, die den betroffenen Gruppenmitgliedern eingeredet wird, stellt ein Machtinstrument der Manipulation dar. Menschen aus diesen Randgruppen müssen eine besondere Schonung erfahren, man muss mit ihnen besonders sensibel umgehen, denn sie haben durch Diskriminierungserfahrungen starke Kränkungen erlebt. So weit, so gut. Das Machtspiel geht aber in die zweite Runde. Die Aktivisten erreichen durch militantes Abschirmen der Menschen vor neuer Kränkung das für sie vorteilhafte Ziel, dass die Menschen durch ein Vermeidungsverhalten ihre Überempfindlichkeit für Verletzungen steigern. Du kennst bestimmt den natürlichen Weg der „Abhärtung“!

An die aggressive Lust an der Zerstörung erinnert auch Mephisto. Und Aggression ist auch der Kern der woken Theorie. Offene Aggression ist aber gesellschaftlich geächtet, weshalb Menschen sie in dieser offenen Form meist zu vermeiden suchen. Auch weil wir uns Wut in jeder Form und jedem Ausmaß verbieten, wehren wir den Gedanken, dass wir selbst etwas Aggressives tun, meist ab. Aber wie lebe ich meine negativen Gefühle aus? Du hast es erraten: Du verbirgst die eigene Wut und auch deine Aggression hinter einem edlen Ziel oder einem legitimen Ziel („ich kämpfe für mehr Toleranz“) – damit spielst du mit gezinkten Karten und täuscht nicht nur die anderen, sondern auch dich selbst. Wer also für Menschenrechte aktiv ist, der darf kämpfen, ohne geächtet zu werden, der darf den Gegner anprangern und unliebsame Kritiker beleidigen. Willst du aus Feigheit diese Maske anbehalten?

Die Autorin legt noch weitere psychologische Mechanismen dar, die in ähnlicher Art das falsche Spiel der woken Aktivisten aufdeckt. So sei auf die aufschlussreichen Abschnitte „Gender-Bewegung“ und „Negativitätsverzerrung“ hingewiesen. Was ist die Botschaft des Buches für dich? Wissen hilft dir, um näher an eine objektive Wahrheit zu kommen. Sozialer Umgang mit kritischen Geistern schärfen deine Sichtweise auf die reale Welt und Selbstreflexion festigt deine Überzeugungen. Ich wünsche dir viel Erfolg auf diesem steinigen Lernweg!

Bockwyt, Esther: Woke – Psychologie eines Kulturkampfes
Westend, 2024. 224 S.
ISBN 9783864894442 – 18,00€ (Paperback)
ISBN 9783985440269 – 17,99€ (Hörbuch)
ISBN 9783987910395 – 14,99€ (E-Book)

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