Während der Recherchen zu meinem Buch „Antisemitische Verschwörungstheorien“ stieß ich auch auf die Diskussion, ob die Leugnung des Holocausts strafbar sein soll. Diese Diskussion begann schon, noch bevor der entsprechende Paragraph ins Strafgesetzbuch aufgenommen wurde und dauert in unterschiedlicher Intensität bis heute an.
Selbst das Bundesverfassungsgericht tat sich in seinem Haverbeck-Urteil von 2018 (1 BvR 673/18) schwer, die Vereinbarkeit mit der Verfassung zu begründen. Es räumte zwar die Problematik eines Sondergesetzes ein, begründete jedoch eine „Ausnahme“ mit der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands. Diese Argumentation hat in Fachkreisen zu erheblichen Kontroversen geführt. Zahlreiche renommierte Verfassungsrechtler, darunter Hans-Jürgen Papier, Dieter Grimm und Winfried Brugger, haben in der Vergangenheit Zweifel an der Verfassungskonformität solcher Regelungen geäußert.
Wer die Verfassungstreue ernst nimmt, darf sich nicht mit einem historischen oder moralischen Automatismus zufriedengeben. Nur durch kritische Reflexion, auch über sensible Themen, bleibt die Wissenschaft frei und die Rechtsordnung legitim. Die Behauptung, Kritik an der Pönalisierung der Holocaustleugnung sei gleichbedeutend mit einer inhaltlichen Nähe zu Holocaustleugnern, ist daher nicht nur sachlich falsch, sondern ein Angriff auf die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit selbst. Es offenbart eine sehr bedenkliche Tendenz zur Emotionalisierung und Moralisierung in einer Debatte, die gerade juristisch-nüchterne Reflexion erfordert. Hier wird der Versuch unternommen, legitime rechtliche Kritik mit moralischer Schuld gleichzusetzen – eine Form von Denkverbot, die einer offenen Gesellschaft unwürdig ist.
Von daher wird dieser Artikel keine eigene Position beziehen, sondern nur die Diskussion wiedergeben. So werden die Argumente der Pro und Contra-Seite beleuchtet, die wichtigsten Diskutanten vorgestellt und natürlich auch eine umfangreiche Liste der einschlägigen Literatur vorgelegt. Die Abwägung der Argumente und das letztendliche Fazit soll der Leserschaft überlassen werden.
Ausgangslage
Die Diskussion über die Strafbarkeit der Leugnung des Holocausts hat in vielen Ländern, insbesondere in Deutschland, eine intensive juristische, politische und gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Diese Debatte umfasst eine Vielzahl von Aspekten, von der Meinungsfreiheit über die historische Verantwortung bis hin zur Frage nach den Grenzen des Strafrechts. Im Zentrum der Diskussion steht die Frage, ob die Leugnung des Holocausts als eine Form von Volksverhetzung und damit als strafbare Handlung eingestuft werden sollte oder ob sie unter den Schutz der Meinungsfreiheit fällt.
1. Historischer und rechtlicher Kontext
Der Holocaust, der systematische Mord an etwa sechs Millionen europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland während des Zweiten Weltkriegs, stellt nicht nur ein zentrales Ereignis in der Geschichte des 20. Jahrhunderts dar, sondern auch ein traumatisches Erbe für die deutsche und europäische Gesellschaft. In Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg das Strafrecht zunehmend auf die Verhinderung von Holocaust-Leugnung und antisemitischer Propaganda ausgerichtet. Ein entscheidender Schritt in dieser Entwicklung war die Verabschiedung des Volksverhetzungsparagrafen (§ 130 StGB) im Jahr 1960, der unter anderem die Leugnung des Holocausts als eine Form von Volksverhetzung unter Strafe stellte.
Die rechtliche Auseinandersetzung um die Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung ist eng mit der Frage verbunden, wie weit die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) in Deutschland geht. Die Diskussion wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem durch einzelne prominente Fälle und Urteile des Bundesverfassungsgerichts sowie die Umsetzung europäischer Richtlinien und Normen beeinflusst.
2. Positionen
a) Befürworter der Strafbarkeit
Die Befürworter der Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung vertreten die Ansicht, dass der Schutz vor Hass und Volksverhetzung wichtiger ist als die uneingeschränkte Meinungsfreiheit. Sie argumentieren, dass die Leugnung des Holocausts nicht nur eine historische Falschdarstellung darstellt, sondern auch eine gefährliche politische Agenda verfolgt, die Antisemitismus und Rassismus fördert. Diese Position stützt sich auf mehrere Hauptargumente:
– Schutz der Menschenwürde: Die Leugnung des Holocausts wird als Angriff auf die Würde der Opfer des Nationalsozialismus und ihrer Nachkommen angesehen. Sie verharmlost die grausamen Verbrechen und negiert das Leid der Überlebenden und ihrer Familien.
– Öffentliche Ordnung und Sicherheit: Holocaust-Leugnung könne zu einer gefährlichen Erhöhung von Antisemitismus und extremistischen Tendenzen führen. Besonders in einer Zeit zunehmender rechter und antisemitischer Bewegungen, so der Tenor, müsse der Staat aktiv gegen diese Formen der Hetze vorgehen, um die öffentliche Ordnung zu wahren.
– Verantwortung gegenüber der Geschichte: Für viele wird die Leugnung des Holocausts auch als Versuch gesehen, die historische Verantwortung Deutschlands und seiner Bürger zu verwässern. Der Schutz vor Leugnung soll auch eine Form der Aufarbeitung und Erinnerung an die Vergangenheit sicherstellen.
Ein prominentes Beispiel in dieser Diskussion ist die deutsche Rechtsordnung, in der die Holocaust-Leugnung nicht nur als Ausdruck einer falschen Meinung, sondern als volksverhetzende Handlung geahndet wird (§ 130 StGB). Hierzu hat der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden, dass das Leugnen des Holocausts nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit fällt, wenn es die öffentliche Ordnung und den sozialen Frieden stört (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1994 – 3 StR 455/93).
b) Gegner der Strafbarkeit
Auf der anderen Seite argumentieren Kritiker der Strafbarkeit, dass die Leugnung des Holocausts zwar moralisch verwerflich, aber nicht unbedingt strafbar sein sollte, da sie die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) verletzen könnte. Sie stützen sich auf mehrere zentrale Argumente:
– Freiheit der Meinungsäußerung: Die Meinungsfreiheit sei ein Grundrecht, das auch die Verbreitung von falschen oder abwegigen Ansichten umfasse. Dies betreffe auch den Bereich der historischen Meinungsbildung. Nach dieser Auffassung würde eine strafrechtliche Verfolgung der Holocaust-Leugnung die Gefahr bergen, die politische und intellektuelle Freiheit in einem demokratischen Staat zu untergraben.
– Gefahr der Zensur: Eine staatliche Zensur und das Verbot bestimmter Meinungen könnten in einer Demokratie zu einer gefährlichen Vorentscheidung darüber führen, welche Sichtweisen und Interpretationen von Geschichte zulässig sind. Es gehe nicht nur um die Frage der Holocaust-Leugnung, sondern um den grundlegenden Schutz der Meinungsvielfalt in der Gesellschaft.
– Falsche Implikationen für den öffentlichen Diskurs: Einige Kritiker befürchten, dass eine gesetzliche Regelung zur Holocaust-Leugnung eine Abkehr von der offenen wissenschaftlichen und historischen Auseinandersetzung mit der Geschichte fördern könnte. Man würde sich auf juristische Mittel verlassen, anstatt die falschen Ansichten durch Bildung, Aufklärung und Gegenargumente zu bekämpfen.
Ein prominentes Beispiel für diese Argumentation ist der Fall des britischen Historikers und Publizisten David Irving, der wegen Holocaust-Leugnung in mehreren Ländern angeklagt und verurteilt wurde. Irving wendet sich gegen die rechtliche Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung und sieht in den Verfahren gegen ihn einen Angriff auf die freie Wissenschaft.
c) Die Rolle der Europäischen Union und internationaler Rechtsrahmen
Die rechtliche Diskussion über die Holocaust-Leugnung wird nicht nur durch nationale Rechtsprechung geprägt, sondern auch durch internationale Entwicklungen und Regelungen. Ein besonders einflussreicher Schritt war die Rahmenentscheidung 2008/913/JI des Rates der Europäischen Union, die eine Strafbarkeit der öffentlichen Leugnung, Verherrlichung oder Rechtfertigung von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Mitgliedsstaaten vorschreibt. Deutschland hat diese Entscheidung in § 130 StGB integriert und sie damit in das nationale Recht übernommen.
Die EU-Entscheidung wurde als Reaktion auf den Aufstieg rechter und extremistisch-nationalistischer Bewegungen verstanden, die versuchten, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und den Holocaust umzupolen.
3. Rechtsprechung und gesellschaftliche Auswirkungen
Ein zentrales Urteil in der Diskussion stellt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 1995 dar, in dem die Leugnung des Holocausts im Rahmen des § 130 StGB als verfassungsmäßig erachtet wurde. Das Gericht betonte, dass das Verbot der Holocaust-Leugnung nicht in den Bereich der freien Meinungsäußerung falle, sondern als Schutzmaßnahme vor Volksverhetzung und der Verbreitung rassistischer Ideologien verstanden werden müsse.
In der Praxis ist die Strafverfolgung der Holocaust-Leugnung in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern durchaus häufig. Besonders in den letzten Jahren sind Fälle, in denen Menschen für die Leugnung des Holocausts vor Gericht gestellt wurden, auch in den Medien häufig diskutiert worden. Es wird immer wieder die Frage gestellt, ob solche Verurteilungen eine angemessene Reaktion auf die Leugnung darstellen oder ob die Meinungsfreiheit nicht stärker gewichtet werden sollte.
4. Einige der wichtigsten Protagonisten
Im deutschen Kontext gab es in den letzten Jahrzehnten mehrere Juristen und Rechtswissenschaftler, die sich intensiv mit der Frage der Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung und der Grenzen der Meinungsfreiheit auseinandergesetzt haben. Diese Diskussion hat sowohl in der akademischen Rechtswissenschaft als auch in der Rechtsprechung eine wichtige Rolle gespielt. Hier sind einige der prominentesten Juristen, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben:
Wolfgang Neumann
– Forschungsschwerpunkt: Neumann, ein angesehener Strafrechtler, beschäftigte sich mit den Grenzen der Meinungsfreiheit und der Volksverhetzung im deutschen Strafrecht. Er hat insbesondere die rechtliche Handhabung von Volksverhetzung (§ 130 StGB) und deren Anwendung auf die Holocaust-Leugnung kritisch untersucht.
– Wichtige Publikationen: Neumann hat in verschiedenen Artikeln und Fachzeitschriften Stellung zur Frage der Verhältnismäßigkeit von Strafgesetzen im Hinblick auf Holocaust-Leugnung und andere Formen von Hasskriminalität bezogen.
Hans-Jürgen Papier
– Forschungsschwerpunkt: Hans-Jürgen Papier ist ein renommierter Staatsrechtler und ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Er hat sich in mehreren Veröffentlichungen mit der Abwägung von Meinungsfreiheit und Volksverhetzung auseinandergesetzt und dabei das Verbot der Holocaust-Leugnung im Kontext des deutschen Verfassungsrechts beleuchtet.
– Wichtige Publikationen: In seinen Arbeiten zur Verfassungsrechtsprechung hat er immer wieder auf die Bedeutung der Wahrung der Menschenwürde und die Verantwortung des Staates hingewiesen, Volksverhetzung und die Leugnung von Völkermorden, wie dem Holocaust, zu verhindern.
Rainer Arnold
– Forschungsschwerpunkt: Arnold ist ein führender Strafrechtler, der sich insbesondere mit der Verhältnismäßigkeit von Strafgesetzen und der Freiheit der Meinungsäußerung beschäftigt hat. Er hat die Anwendung des § 130 StGB zur Holocaust-Leugnung immer wieder kritisch hinterfragt und die Gefahr einer Zensur in einer Demokratie thematisiert.
– Wichtige Publikationen: In verschiedenen Artikeln und in seiner Monografie zu „Rechtsfragen der Meinungsfreiheit“ hat Arnold den rechtlichen Umgang mit der Holocaust-Leugnung behandelt und dabei insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit der Forschung und Meinungsäußerung und der Bekämpfung von Hasskriminalität thematisiert.
Dieter Grimberg
– Forschungsschwerpunkt: Grimberg hat sich als Staatsrechtler mit der Verfassungsordnung und den Schutzmechanismen gegen Volksverhetzung befasst. Er hat dabei die Frage untersucht, inwieweit die Holocaust-Leugnung unter den Schutz der Meinungsfreiheit fällt oder als Volksverhetzung strafbar sein sollte.
– Wichtige Publikationen: Grimberg hat unter anderem in seinen Arbeiten zur Abgrenzung zwischen Meinungsfreiheit und Hassreden betont, wie wichtig es ist, gegen antisemitische und rassistische Äußerungen vorzugehen, ohne jedoch das Grundrecht der Meinungsfreiheit unnötig einzuschränken.
Ernst-Wolfgang Böckenförde
– Forschungsschwerpunkt: Böckenförde ist ein prominenter Verfassungsrechtler, der häufig zur Verhältnismäßigkeit der Strafrechtsnormen im Hinblick auf die Verhinderung von Volksverhetzung und die Grenzen der Meinungsfreiheit Stellung genommen hat. In seinen Arbeiten hat er immer wieder betont, dass die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust die Gesellschaft verpflichtet, Volksverhetzung aktiv zu bekämpfen.
– Wichtige Publikationen: In seinen Schriften zur Verfassungsrechtsprechung und der Verfassungspraxis hat Böckenförde die Notwendigkeit hervorgehoben, strenge Gesetze gegen Volksverhetzung aufrechtzuerhalten, um die öffentliche Ordnung und die Würde der Opfer zu schützen.
Thomas Fischer
– Forschungsschwerpunkt: Fischer ist als Strafrechtler und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof für seine Kommentierung des Strafgesetzbuches bekannt. In diesem Zusammenhang hat er sich auch immer wieder mit der Frage der Holocaust-Leugnung und der Strafbarkeit von Volksverhetzung befasst.
– Wichtige Publikationen: In seinen Kommentaren zum § 130 StGB stellt Fischer regelmäßig die Bedeutung des Gesetzes im Hinblick auf die Verhinderung von Volksverhetzung und die strafrechtliche Verfolgung von Holocaust-Leugnung heraus.
Gerhard L. Weinberg
– Forschungsschwerpunkt: Weinberg ist ein international anerkannter Historiker, der die Entwicklung der Holocaust-Gedenkkultur und die Leugnung des Holocausts auf der globalen Ebene untersucht hat. Auch wenn er kein Jurist im klassischen Sinne ist, hat seine Arbeit erheblichen Einfluss auf die juristische Diskussion über den Umgang mit Holocaust-Leugnung.
– Wichtige Publikationen: Weinberg hat eine Vielzahl von Studien zur Wahrheit und Gedenkkultur nach dem Holocaust veröffentlicht, die auch die rechtlichen Aspekte der Leugnung und deren strafrechtliche Relevanz ansprechen.
Ulrich Sieber
– Forschungsschwerpunkt: Sieber, ein Strafrechtler und Kriminologe, hat sich intensiv mit der Grenzziehung von Meinungsfreiheit und Volksverhetzung auseinandergesetzt. In seinen Arbeiten geht er auf die gesellschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen der Holocaust-Leugnung ein und diskutiert, inwieweit die Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit Hassverbrechen eingeschränkt werden darf.
– Wichtige Publikationen: Sieber hat mehrere Arbeiten zur Strafrechtsreform und zur Verhinderung von Volksverhetzung veröffentlicht, in denen er die notwendigen rechtlichen Instrumente zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus analysiert.
Herbert Krüger
– Forschungsschwerpunkt: Krüger war ein weiterer bedeutender Jurist, der sich mit der Meinungsfreiheit und ihrer Grenze in der deutschen Verfassungsordnung beschäftigte. Insbesondere die Problematik der Volksverhetzung und der rechtlichen Handhabung der Holocaust-Leugnung spielte in seiner Forschung eine zentrale Rolle.
– Wichtige Publikationen: Krüger hat in verschiedenen Arbeiten die rechtlichen Rahmenbedingungen des § 130 StGB untersucht und Stellung zur Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung bezogen.
Diese Juristen haben unterschiedliche Perspektiven und Forschungsschwerpunkte, aber gemeinsam ist ihnen die Auseinandersetzung mit der Holocaust-Leugnung und den rechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. Sie haben wichtige Beiträge zur Abwägung zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung und dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Menschenwürde geleistet und damit die juristische und gesellschaftliche Diskussion über die Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung maßgeblich geprägt.
5. Judith Butler – Die wohl bekannteste internationale Stimme in der Diskussion
Auch Judith Butler hat sich in der Vergangenheit zu der Frage geäußert, ob die Leugnung des Holocausts strafbar sein sollte. Ihre Position ist komplex und auch umstritten. Sie vertritt eine differenzierte Sichtweise, die sich auf die Grundprinzipien der Meinungsfreiheit und die Rechte von Individuen stützt, während sie gleichzeitig die Bedeutung des Holocaust-Gedenkens und der Verantwortung zur Wahrung historischer Wahrheiten anerkennt.
Judith Butlers Position
Butler betont in ihren Aussagen zur Holocaustleugnung, dass sie grundsätzlich eine „unabdingbare“ und „weite“ Freiheit der Meinungsäußerung verteidigt. Für sie gehört zu einer offenen Gesellschaft das Recht, auch falsche oder abstoßende Meinungen zu äußern. Sie argumentiert, dass das Verbot der Holocaust-Leugnung problematisch sein könnte, weil es in einer Demokratie zu einer Einschränkung der freien Meinungsäußerung führen würde. Diese Freiheit sei für das Funktionieren einer pluralistischen Gesellschaft unerlässlich.
Gleichzeitig macht Butler jedoch klar, dass dies nicht bedeutet, die Leugnung des Holocausts als unproblematisch hinzunehmen. Vielmehr setzt sie sich für die Stärkung von Bildung und Erinnerungsarbeit ein, um derartigen Lügen entgegenzutreten und eine fundierte Auseinandersetzung mit der Geschichte zu fördern. Sie verweist darauf, dass anstatt die Meinungsfreiheit einzuschränken, es eine bessere Lösung sein könnte, durch öffentliche Debatten und Aufklärung dem Holocaust-Gedenken und der historischen Wahrheit einen höheren Stellenwert zu verleihen.
Begründung ihrer Position
Butler stützt ihre Argumentation auf verschiedene philosophische und politische Grundsätze:
Schutz der Meinungsfreiheit – Sie zitiert häufig die Bedeutung der Meinungsfreiheit im Kontext von Demokratien und kritisiert jegliche Form der Zensur, die aus ihrer Sicht auch die Möglichkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gefährden könnte. Sie verweist darauf, dass die Einschränkung von Redefreiheit zu einer Gefahr für andere politische und soziale Freiheiten werden kann.
Verantwortung gegenüber der Geschichte – Butler räumt ein, dass Holocaust-Leugnung eine tiefe Wunde in der kollektiven Erinnerung darstellen kann. Sie betont jedoch, dass der Umgang mit dieser Leugnung nicht durch Strafverfolgung, sondern durch aktive Auseinandersetzung und historische Aufklärung erfolgen sollte. Sie sieht in einer solchen Auseinandersetzung die Chance, den Holocaust in einer breiten gesellschaftlichen Diskussion immer wieder ins Bewusstsein zu rufen.
Pragmatische Argumente – Ein weiteres Argument, das Butler häufig anführt, ist das der pragmatischen Lösung. Sie glaubt, dass das Verbot der Holocaust-Leugnung in vielen Fällen nicht den gewünschten Effekt hat und stattdessen als eine Art Verbotstaktik wahrgenommen werden kann, die möglicherweise die Leugner selbst in den Status von Märtyrern erhebt. Insofern sollte die Gesellschaft ihrer Meinung nach nicht auf juristische Verbote setzen, sondern vielmehr durch öffentliche Bildung und das Schaffen eines gemeinsamen Narrativs die Erinnerung an den Holocaust aufrechterhalten.
Kritik an ihrer Position
Butlers Haltung zur Frage der Holocaust-Leugnung wurde von verschiedenen Seiten kritisiert. Einige werfen ihr vor, die Bedeutung der Holocaustleugnung für die jüdische Gemeinschaft und für die Erinnerungskultur generell zu unterschätzen. Die Sorge besteht darin, dass das Leugnen des Holocausts in manchen Kontexten nicht nur eine „Meinung“ ist, sondern ein gefährlicher Angriff auf die kollektive Identität und die Wahrheit selbst. Die Entscheidung, Holocaust-Leugnung zu strafen, wird von vielen als notwendiges Mittel angesehen, um sicherzustellen, dass solche Verleugnungstendenzen nicht zur Normalität werden und die Erinnerung an den Holocaust geschützt wird.
Letztendlich ist Butlers Position zur Holocaust-Leugnung ein ausgewogenes Plädoyer für Meinungsfreiheit, gepaart mit einer Betonung der Bedeutung von Aufklärung und historischer Verantwortung. Sie sieht in der Meinungsfreiheit einen wichtigen Wert in Demokratien, die zugleich jedoch auch durch aktive Auseinandersetzung und nicht durch Verbote gestützt werden sollte. Gleichzeitig wird ihre Haltung häufig als problematisch angesehen, insbesondere im Hinblick auf den besonderen Schmerz und die Verantwortung, die das Thema Holocaust für jüdische Gemeinschaften und für die Erinnerungskultur als Ganzes mit sich bringt.
6. Positionen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft
Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und weltweit ist keineswegs einheitlich in ihrer Haltung zur Frage der Holocaustleugnung. Die Diskussion ist durch verschiedene Überlegungen geprägt, etwa durch das Verhältnis zu Meinungsfreiheit, die Verantwortung gegenüber den Opfern des Holocausts und die Wahrung der historischen Wahrheit. Es gibt grundsätzlich zwei Hauptpositionen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft:
a) Befürworter der Beibehaltung der Strafbarkeit der Holocaustleugnung
Viele jüdische Organisationen und Vertreter der Gemeinschaft setzen sich weiterhin für die Strafbarkeit der Holocaustleugnung ein. Ihre Argumente stützen sich auf folgende Punkte:
– Schutz der Erinnerung: Die Holocaustleugnung wird als eine Form der Verfälschung der Geschichte verstanden, die das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus untergräbt. Für viele jüdische Gemeinschaften ist es von zentraler Bedeutung, die Erinnerung an die Verbrechen des Holocausts zu bewahren, um die Opfer zu ehren und sicherzustellen, dass solche Gräueltaten nicht wiederholt werden.
– Prävention von Antisemitismus: Holocaustleugnung wird häufig als ein Vorbote für antisemitische Ideologien und Rhetorik gesehen. Die Leugnung der Shoah ist ein Ausdruck von Hass und Intoleranz, und deren strafrechtliche Verfolgung wird als notwendig erachtet, um antisemitische Tendenzen in der Gesellschaft zu bekämpfen.
– Forderung nach einer starken Erinnerungskultur: Für viele jüdische Organisationen, wie etwa dem Zentralrat der Juden in Deutschland, ist die Aufrechterhaltung der Strafbarkeit ein Zeichen für die Verantwortung der deutschen Gesellschaft, sich der Vergangenheit zu stellen und diese als Teil ihrer Identität zu bewahren. Sie betonen, dass es eine moralische Verpflichtung gibt, gegen jede Form der Geschichtsverfälschung vorzugehen.
b) Kritiker der strafrechtlichen Verfolgung
Auf der anderen Seite gibt es auch Stimmen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, die eine Abschwächung oder Abschaffung der strafrechtlichen Verfolgung von Holocaustleugnung befürworten. Diese Positionen sind jedoch weniger verbreitet und basieren meist auf folgenden Argumenten:
– Meinungsfreiheit und Demokratie: Einige Vertreter der jüdischen Gemeinschaft und von Organisationen wie der „Jüdischen Studierenden Union“ (JSU) oder der „Freiheitlich-Jüdischen Union“ argumentieren, dass das Verbot der Holocaustleugnung die Meinungsfreiheit einschränken könnte. Sie betonen, dass in einer demokratischen Gesellschaft auch unangemessene oder absurde Meinungen geäußert werden dürfen, solange sie nicht zu Gewalt oder Hass anstiften. Die Bestrafung der Holocaustleugnung könnte zu einer Zensur führen, die die Grundprinzipien einer offenen Gesellschaft gefährdet.
– Gefährdung von offenen Debatten: Kritiker befürchten, dass die strafrechtliche Verfolgung der Holocaustleugnung in bestimmten Kontexten als eine Form der Verdrängung der offenen Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen interpretiert werden könnte. Sie warnen davor, dass Menschen durch die Verfolgung von Holocaustleugnern lediglich in den Untergrund gedrängt werden und dass dies den Dialog erschwert.
– Selbstverantwortung der Gesellschaft: Es gibt Stimmen, die betonen, dass die Gesellschaft selbst für die Aufklärung über den Holocaust verantwortlich ist und dass diese Aufgabe nicht nur durch juristische Maßnahmen, sondern auch durch Bildungsarbeit und historische Aufklärung geschehen muss. Die strafrechtliche Verfolgung könnte ihrer Ansicht nach nur ein schwacher Ersatz für eine starke, gesellschaftliche Erinnerungskultur sein.
c) Wichtige Akteure der Diskussion
– Zentralrat der Juden in Deutschland: Der Zentralrat hat sich stets für die Beibehaltung der Strafbarkeit der Holocaustleugnung ausgesprochen und betrachtet diese als einen wichtigen Bestandteil der deutschen Erinnerungskultur. Der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, hat wiederholt betont, dass die Leugnung des Holocausts in Deutschland nicht toleriert werden dürfe, da sie die Erinnerung an die Opfer und die historische Wahrheit bedrohe.
– Netzwerke von jüdischen Intellektuellen: Einige jüdische Denker und Intellektuelle haben sich kritisch zur strafrechtlichen Verfolgung der Holocaustleugnung geäußert. Ein Beispiel dafür ist der Historiker und Publizist Yeshayahu Leibowitz, der in den 1990er Jahren ähnliche Positionen vertrat. Auch Shlomo Avineri, ein israelischer Politikwissenschaftler, äußerte sich in der Vergangenheit kritisch zu staatlichen Eingriffen in die Meinungsfreiheit.
– Politische Akteure: Auf politischer Ebene gibt es verschiedene Diskussionen über die Notwendigkeit, das bestehende Gesetz zu bewahren. Die CDU/CSU und viele Vertreter der konservativen Parteien haben die Bedeutung der Holocaustgedenkens und der Strafbarkeit der Leugnung hervorgehoben. In der Linken und bei einigen Teilen der Grünen gibt es wiederum Überlegungen, wie man den Umgang mit solchen Themen in einer offenen Gesellschaft gestalten kann.
– Jüdische Studierende und Organisationen: Besonders die jüdischen Studierenden in Deutschland haben die Debatte durch die Gründung verschiedener Gruppen wie der Jüdischen Studierenden Union (JSU) beeinflusst, die sich in verschiedenen Aspekten der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Holocaustleugnung positioniert haben.
Die Diskussion über die strafrechtliche Verfolgung der Holocaustleugnung zeigt, dass es innerhalb der jüdischen Gemeinschaft unterschiedliche Positionen gibt, die sowohl durch historische, moralische als auch politische Überlegungen geprägt sind. Während viele Organisationen und Vertreter der Gemeinschaft die Beibehaltung der Strafbarkeit als essenziell für den Schutz der Erinnerung an den Holocaust und gegen Antisemitismus betrachten, gibt es auch kritische Stimmen, die auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit und die Verantwortung der Gesellschaft hinweisen. Diese komplexe Debatte wird wohl auch in Zukunft weiterhin geführt werden.
7. Fazit
Die juristische Diskussion über die Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung ist ein komplexes Zusammenspiel von historischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Faktoren. Während auf der einen Seite das Interesse an der Verhinderung von Antisemitismus und Volksverhetzung sowie an der Wahrung der historischen Verantwortung betont wird, sehen Kritiker die Gefahr der Erosion von Meinungsfreiheit und der politischen Zensur. Ein Konsens über die Frage, wie mit der Holocaust-Leugnung umzugehen ist, ist trotz der vielen rechtlichen und politischen Diskussionen nach wie vor schwer zu finden.
Wichtiges Thema, man sollte zumindest orientiert darüber sein, dass die Strafbarkeit der Holocaustleugnung seit Jahrzehnten kontrovers unter honorigen Leuten diskutiert wird. Danke für das Streiflicht auf das Thema, Michael.
Du sprichst die verfassungsrechtliche Problematik der „Sondergesetzgebung“ kurz an. Dahinter verbirgt sich ein – weiteres – Grundsatzproblem im Zusammenhang mit dem § 130 Abs. 2 StGB. Ich darf hierzu ergänzen:
Die Strafbarkeit der Holocaustleugnung ist in Deutschland ein besonderes Beispiel für die Problematik der „Sondergesetzgebung“. Das Grundprinzip des Rechtsstaats gebietet, dass Gesetze allgemein gelten und nicht für einzelne Meinungen oder Weltanschauungen maßgeschneidert werden dürfen. Artikel 3 des Grundgesetzes verbietet Sondergesetze, da sie dem Gleichheitsgrundsatz und der Neutralität des Staates widersprechen.
Im Fall der Holocaustleugnung hat das Bundesverfassungsgericht im Haverbeck-Urteil argumentiert, dass § 130 Abs. 3 StGB (Volksverhetzung) nicht primär eine Meinung bestrafe, sondern den öffentlichen Frieden schütze. Ein in Fachkreisen viel kritisiertr Kunstgriff, um das Problem des Sondergesetzes zu umschiffen. Dies zeigt, wie mühsam es ist, eine strafrechtliche Sondernorm dogmatisch in das allgemeine Rechtssystem einzufügen. Der Grundsatz bleibt: Gesetze sollen keine historischen oder politischen Wahrheiten festschreiben, sondern so allgemeingültig wie möglich und nur so spezifisch wie unbedingt nötig sein. Andernfalls droht eine Instrumentalisierung des Rechts zur Sicherung bestimmter Positionen – eine Entwicklung, die mit rechtsstaatlichen Prinzipien kaum vereinbar ist.
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