Einheitsbrei mit Schaumkrone

Wissen Sie, ich bin neulich durch den In-Bezirk einer deutschen Großstadt geschlendert, was ich mir in regelmäßigen Abständen gönne, ähnlich wie man sich alle paar Jahre mal wieder “Das Parfum” antut, um sich zu vergewissern, dass es wirklich so penetrant ist, wie man es in Erinnerung hatte. Und da ist mir eine Horde dieser putzigen urbanen Lebewesen begegnet – Typ Latte-veganer-Freigeist mit Vintage-Ironie-Shirt, Nike Air Max, komplettem Sleeve-Tattoo (wahlweise Totenkopf oder Mandala – je nachdem, ob man eher destruktiv oder spirituell dekonstruiert) und natürlich dem Smartphone, das angeblich alles kann, außer telefonieren. Alle total individuell, versteht sich. Unverwechselbar. Wie eine Uniform bei der Bundeswehr. Nur teurer.

Ich will ja nicht sagen, dass ich früher alles besser fand. Nur war es wenigstens unterschiedlich schlechter. Heute tragen alle die gleiche Individualität wie einen Einheitsanzug mit Ironie-Stickerei. Man reist nicht mehr, man „entdeckt sich selbst“ – vorzugsweise auf Bali oder in Portugal, aber immer unter exakt den gleichen fünf Instagram-Filtern. Früher war man Hippie, weil man LSD genommen hat, heute ist man digitaler Nomade, weil man beim Co-Working am Strand MacBooks mit Aufklebern voller Sinnsprüche aneinander reibt. „Follow your bliss“, steht da. Und alle folgen. Dem gleichen bliss. In den gleichen Schuhen.

Besonders drollig wird’s bei den neuen Intellektuellen, die auf Podien sitzen und einem erklären, dass das Ich eine kapitalistische Erfindung sei, aber vorher zwei Stunden Selfcare gemacht haben und mit einer personalisierten Yoni-Öl-Kollektion im Jutebeutel anreisen. Die dann Sätze sagen wie: „Wir müssen das System dekonstruieren“, während sie gleichzeitig das neue iPhone aus der Tasche ziehen, mit dem sie sich beim Dekonstruieren filmen – für ihre 12.000 Follower, die genauso aussehen, sprechen und denken wie sie. Ach, Widerspruch, du alter Kumpan.

Und dann die sogenannte Woke-Agenda, die ich eher als das digitale Pendant zum Morgengymnastik-Pflichtprogramm der DDR verstehe. Jeder darf alles sein – solange er die richtigen Hashtags benutzt und sich im richtigen Ton empört. Es ist ein Gleichheitsideal, das seine Individualität in exakt derselben Wortwahl, denselben Gesten und demselben Betroffenheitsgesicht zum Ausdruck bringt. Früher hieß das Konformismus, heute nennt man’s Haltung. Ich hab da irgendwie den Anschluss verpasst.

Aber gut, vielleicht bin ich einfach zu alt. Oder zu betrunken. Oder beides, was auf gewisse Weise auch wieder ein Alleinstellungsmerkmal ist. Ich bin halt ein echtes Original. Genau wie alle anderen.

Ein Gedanke zu “Einheitsbrei mit Schaumkrone

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