In den Gassen Londons, wo das 17. Jahrhundert zwischen Pest, Feuer und höfischer Dekadenz oszillierte, bewegte sich ein Mann, dessen Name heute als Synonym für die Kunst der Selbstbeobachtung und den Geist der Aufklärung gilt: Samuel Pepys. Als Sohn eines Schneiders und einer Waschfrau geboren, stieg er durch Fleiß, Bildung und eine gehörige Portion Opportunismus zum höchsten Beamten der englischen Admiralität auf und prägte als Präsident der Royal Society die Frühzeit der Wissenschaften. Doch der eigentliche Schatz seines Lebens ist das Tagebuch, das er zwischen 1660 und 1669 führte – ein Dokument von unvergleichlicher Authentizität, das uns das London der Restaurationsepoche in all seiner Pracht und seinem Elend vor Augen führt.
Kindheit und Aufstieg
Pepys wurde am 23. Februar 1633 in London geboren, in eine Zeit, die von politischen Umbrüchen und gesellschaftlichem Wandel geprägt war. Die Spannungen zwischen dem aufstrebenden Bürgertum und dem absolutistischen Königtum der Stuarts bildeten den Hintergrund seiner Jugendjahre. Nach dem Studium am Magdalene College in Cambridge und ersten Anstellungen im Umfeld des Parlaments fand Pepys seinen Weg in die Verwaltung der Royal Navy – ein Bereich, in dem er sich durch administrative Brillanz und unermüdlichen Arbeitseifer hervortat.
Sein Aufstieg war eng mit der Protektion des Herzogs von York, des späteren Königs Jakob II., verbunden. Als Chief Secretary to the Admiralty war Pepys maßgeblich an der Modernisierung der Flotte beteiligt und trug entscheidend zur Professionalisierung der Marineverwaltung bei. Doch sein politisches Leben blieb nicht frei von Turbulenzen: Während der sogenannten Exclusion Crisis fiel er in Ungnade, wurde des Verrats verdächtigt und für kurze Zeit im Tower gefangen gehalten. Nach der Rückkehr seines Gönners auf den Thron erreichte auch Pepys’ Karriere ihren Zenit.
Das Tagebuch: Spiegel einer Epoche
Das Herzstück von Pepys’ Nachruhm ist sein Tagebuch, das er in den Jahren 1660 bis 1669 mit akribischer Regelmäßigkeit führte. In einer Zeit, in der das Private selten Eingang in die Literatur fand, wagte er es, sein Innerstes in einer eigens verschlüsselten Stenografie niederzulegen – so offenherzig, dass selbst seine Frau die pikanten Stellen nicht entziffern konnte.
Authentizität und Vielschichtigkeit
Pepys’ Aufzeichnungen sind ein Kaleidoskop des Alltagslebens: Sie reichen von höfischen Intrigen über politische Umwälzungen bis hin zu intimen Geständnissen seiner amourösen Abenteuer und den daraus resultierenden Gewissensbissen. Mit unnachahmlicher Beobachtungsgabe schildert er große Ereignisse wie die Rückkehr Karls II. auf den Thron, die Große Pest von 1665 und den Großen Brand von London 1666. Seine Schilderungen sind von einer Direktheit und Lebendigkeit, die ihresgleichen sucht:
„Je dunkler es wurde, desto größer erschien das Feuer … in allen Winkeln leuchtete die schreckliche, böse, blutrote Flamme, ein grauenhafter Krach, wenn die Häuser einstürzen …“

Bedeutung und Wirkung
Das Tagebuch ist nicht nur ein einzigartiges Zeitdokument, sondern auch ein literarisches Kunstwerk, das durch seine rückhaltlose Ehrlichkeit und seinen erzählerischen Stil besticht. Pepys’ Werk ist ein Fenster in die Seele eines Menschen, der zwischen puritanischer Strenge und barocker Lebenslust schwankte. Die Tatsache, dass er seine Notizen in einer für Außenstehende unlesbaren Kurzschrift verfasste, zeugt von dem Wunsch, kompromisslos ehrlich zu sein – und gleichzeitig die Kontrolle über die eigene Nachgeschichte zu behalten.
Erst 1818 wurden die 3.100 Seiten umfassenden Tagebücher in der von ihm gestifteten Bibliothek in Cambridge entdeckt und der Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht. Seitdem gelten sie als unverzichtbare Quelle für Historiker und Literaten gleichermaßen.
Pepys und die Royal Society: Wissenschaft als Berufung
Samuel Pepys spielte in der Royal Society eine bedeutende Rolle als Vermittler zwischen Verwaltung, Wissenschaft und Gesellschaft. 1665 wurde er zunächst als Fellow in die Royal Society aufgenommen, was seinen Status als angesehener und einflussreicher Zeitgenosse unterstrich. Von 1. Dezember 1684 bis zum 30. November 1686 amtierte Pepys als sechster Präsident der Royal Society und prägte in dieser Funktion die Entwicklung der Gesellschaft maßgeblich.

Während seiner Präsidentschaft wurde Isaac Newtons epochales Werk Philosophiæ Naturalis Principia Mathematica veröffentlicht – das Titelblatt trägt den Namen von Samuel Pepys, was die Bedeutung seiner Rolle als Präsident unterstreicht. Pepys war dabei weniger wegen eigener wissenschaftlicher Beiträge, sondern vielmehr als Organisator, Förderer und Netzwerker von zentraler Bedeutung. Seine Position stärkte die Verbindung zwischen der Royal Navy und der Royal Society, was den Austausch zwischen angewandter Technik und theoretischer Wissenschaft förderte.
Berühmt ist auch seine Korrespondenz mit Isaac Newton über Wahrscheinlichkeitsfragen beim Würfeln, das sogenannte Newton–Pepys-Problem. Diese Diskussion zeigt Pepys als neugierigen, rationalen Geist, der sich mit mathematischen und naturwissenschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzte – auch wenn er selbst kein Naturwissenschaftler im engeren Sinn war.
Zusammenfassend war Pepys als Präsident der Royal Society ein wichtiger Repräsentant und Förderer der Wissenschaften seiner Zeit. Er verkörperte den Typus des gebildeten Staatsbeamten, der die Anliegen der Wissenschaft verstand, unterstützte und in die gesellschaftlichen und politischen Strukturen seiner Epoche einzubinden wusste.
Sein Einfluss auf die wissenschaftliche Gemeinschaft
Samuel Pepys’ Engagement für die Royal Society hatte auch einen nachhaltigen Einfluss auf die wissenschaftliche Gemeinschaft seiner Zeit. Als Präsident der Royal Society von 1684 bis 1686 stand er an der Spitze der bedeutendsten wissenschaftlichen Institution Englands und förderte aktiv die Verbreitung und Anerkennung experimenteller Wissenschaft.
Seine Rolle war vor allem die eines Vermittlers und Organisators: Pepys brachte seine Verwaltungserfahrung und sein Netzwerk in die Gesellschaft ein, was die Professionalisierung der Royal Society unterstützte.
Pepys’ Engagement zeigte sich auch in seinem Interesse an der Förderung mathematischer und technischer Bildung, etwa durch die Gründung der Royal Mathematical School, die eng mit der Royal Society verbunden war. Er pflegte Kontakte zu führenden Wissenschaftlern wie Newton und Wren und förderte so den Austausch zwischen Praxis und Theorie.
Insgesamt half Pepys, die Royal Society als unabhängige, experimentell ausgerichtete Institution zu etablieren, die sich dem Wahlspruch „Nullius in verba“ – also der Unabhängigkeit von Autoritäten – verschrieben hatte. Sein Wirken trug dazu bei, dass sich die wissenschaftliche Gemeinschaft stärker auf empirische Forschung und kollektive Begutachtung stützte und die Royal Society zu einem Motor der europäischen Aufklärung wurde.
Pepys als Netzwerker
Samuel Pepys’ Engagement für die Royal Society beeinflusste die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Politikern in mehrfacher Hinsicht nachhaltig. Als Präsident der Royal Society verkörperte Pepys die Verbindung von Verwaltungserfahrung, politischem Einfluss und wissenschaftlicher Neugier. Seine Position als hoher Staatsbeamter – Chief Secretary to the Admiralty – verschaffte der Royal Society Zugang zu politischen Entscheidungsträgern und öffnete der Wissenschaft Türen zu staatlicher Förderung und Anerkennung.
Pepys brachte die Sprache und Anliegen der Wissenschaftler in politische Kreise und vermittelte umgekehrt die Erwartungen und Zwänge der Politik an die wissenschaftliche Gemeinschaft. Diese Vermittlerrolle stärkte das gegenseitige Verständnis und ermöglichte es, wissenschaftliche Projekte mit strategischer Bedeutung für das Land – wie etwa die Verbesserung der Navigation oder die Förderung mathematischer Bildung – gezielt zu unterstützen.
Durch seine Kontakte und sein Ansehen förderte Pepys den Austausch zwischen führenden Wissenschaftlern wie Isaac Newton und politischen Akteuren, was die Royal Society als Forum für Innovation und Beratung der Regierung etablierte. In seiner Amtszeit wurde die Royal Society so zu einer Brücke zwischen wissenschaftlicher Forschung und praktischer Anwendung im Staatsdienst, was das moderne Verständnis von Wissenschaftspolitik und interdisziplinärer Zusammenarbeit vorwegnahm.
Kurzum: Pepys’ Engagement trug maßgeblich dazu bei, dass Wissenschaftler und Politiker enger zusammenarbeiteten, sich gegenseitig als Partner wahrnahmen und gemeinsam an der Lösung gesellschaftlicher und technologischer Herausforderungen arbeiteten
Abschied und Vermächtnis
Im Jahr 1689, nach der Glorious Revolution und dem Sturz James’ II., verlor Pepys sein Amt – seine Nähe zum alten Regime wurde ihm zum Verhängnis. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er im Ruhestand, widmete sich seiner umfangreichen Bibliothek und dem Austausch mit Gelehrten, Dichtern und Seeleuten.
Samuel Pepys starb am 26. Mai 1703 in Clapham bei London. Sein Leben war ein Spiegelbild der Widersprüche und Möglichkeiten seiner Zeit: geprägt von Ehrgeiz, Neugier und der Fähigkeit, das eigene Dasein mit allen Sinnen zu erfassen. Sein Tagebuch bleibt ein Denkmal der Selbstreflexion und ein Schlüssel zum Verständnis einer der faszinierendsten Epochen der englischen Geschichte.
Schlussbetrachtung
Wer Samuel Pepys liest, begegnet nicht nur dem Chronisten einer vergangenen Welt, sondern einem Menschen, der in all seiner Schwäche und Größe, in seiner Sehnsucht nach Genuss und seinem Streben nach Erkenntnis, zutiefst modern erscheint. In seinen Notizen offenbart sich das „Abenteuer des Individuums“ – ein Abenteuer, das bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat.
Samuel Pepys’ Bedeutung liegt nicht allein in seiner Rolle als Beamter oder Wissenschaftsförderer. Sie liegt in seiner radikalen Subjektivität – in der Art und Weise, wie er sein Innenleben dokumentierte.
Er war kein Held, kein Heiliger, kein Genie. Aber gerade deshalb ist er für uns von so unschätzbarem Wert: Als Mensch, als Zeitzeuge, als einer, der uns zeigt, wie das Denken, Fühlen und Leben im England des 17. Jahrhunderts war – roh, lebendig, manchmal widersprüchlich, immer zutiefst menschlich.
Sein Tagebuch, über 1,25 Millionen Wörter stark, ist nicht nur ein literarisches Dokument ersten Ranges, sondern ein anthropologisches Wunderwerk. Eine Chronik des kleinen Ichs im Angesicht großer Geschichte.
Zitierwürdiges zum Schluss:
„Und dann ging ich zu Bett – sehr müde, aber zufrieden, obgleich ich mich wieder einmal zu sehr mit der Magd unterhalten habe.“
(Samuel Pepys, 15. März 1665)