Zwischen Duldung und Ausschluss – Die Juden in Wien vor 1848

Wien, im Vormärz, ist ein Ort der Gegensätze: höfische Pracht, musikalische Blüte, geistiger Aufbruch – und zugleich ein gesellschaftliches Gefüge, das von rigiden Schranken, ständischen Privilegien und religiösem Ausschluss geprägt ist. Besonders augenfällig wird dies in der Stellung der jüdischen Bevölkerung, deren Existenz im Habsburgerreich, und namentlich in der Reichshaupt- und Residenzstadt, seit jeher ein Schwanken zwischen Duldung, Nutzen und Ausgrenzung bedeutete.

Die Anwesenheit jüdischer Gemeinden in Wien ist seit dem 12. Jahrhundert bezeugt, doch ihr rechtlicher Status war durchgehend prekär. Im Mittelalter unterlagen die Juden kaiserlicher „Kamerschutz“-Hoheit, was sie zu direkten Untertanen des Herrschers machte – ein Schutz, der stets käuflich, jederzeit widerruflich war. Schon das Privilegium maius Friedrichs II. sprach 1244 von der „freien Ausübung des Handels“, doch wurden Juden damit nicht als gleichberechtigte Bürger, sondern vielmehr als fiskalisch nützliche Außenseiter anerkannt. Die „Judenstadt“ im Bereich der heutigen Leopoldstadt bildete ein urbanes Ghetto, wirtschaftlich vital, aber rechtlich isoliert. In Zeiten religiöser Hysterie war ihr Status akut gefährdet. Der Pogrom von 1421, bekannt als die Wiener Gesera, brachte die erste große Vertreibung: „Sie wurden verbrannt und umgebracht, und ihre Häuser wurden niedergerissen“, heißt es nüchtern in der Wiener Stadtchronik. Über 200 Menschen wurden ermordet; der Rest der Gemeinde vertrieben.

Erst im 17. Jahrhundert gestattete man eine vorsichtige Rückkehr, doch die Position blieb brüchig. Die Gemeinde unterstand nun der Willkür des Herrschers – namentlich der Hofkammer. Unter Leopold I. erfolgte 1670 die zweite große Vertreibung, wiederum aus wirtschaftlichen und religiösen Motiven. Der Kaiser schrieb an die Stadt Wien: „Wir haben mit christlichem Ernst beschlossen, dass die Juden allda nimmer geduldet werden sollen.“ Diese Formulierung lässt die Endgültigkeit solcher Maßnahmen erahnen – zumindest in der damaligen Wahrnehmung. Doch auch diesmal blieb Wien auf jüdisches Kapital angewiesen. Schon bald kehrten einzelne Familien zurück, unter strengen Auflagen.

Erst die Reformen Kaiser Josephs II. schufen ab den 1780er Jahren eine neue Grundlage jüdischer Existenz – doch auch diese war kein Geschenk an Gleichberechtigung, sondern Ausdruck einer paternalistischen Aufklärung. In seinem Toleranzpatent von 1782 formulierte Joseph II. unmissverständlich: „Die Nützlichkeit des Menschen für den Staat besteht nicht in seiner Religion, sondern in seinen Kenntnissen, Talenten und Tugenden.“ Zugleich sollte das Judentum sich der „bürgerlichen Verbesserung“ unterziehen – durch Deutschpflicht, weltliche Bildung und das Ablegen traditioneller Gewohnheiten. Rabbiner durften nur noch mit staatlicher Genehmigung wirken, die hebräische Sprache wurde aus Schulen weitgehend verbannt. Der Fortschritt kam nicht ohne Preis: kulturelle Eigenständigkeit galt als Hindernis auf dem Weg zum „vernünftigen“ Untertan.

Trotz alledem entwickelte sich in Wien eine kleine, aber einflussreiche jüdische Oberschicht. Bankiers wie Nathan von Arnstein oder Bernhard von Eskeles wirkten als Financiers des Hofes, Förderer der Künste und als Diskurspartner der Aufklärung. Im Salon von Fanny von Arnstein verkehrten Goethe, Schiller, Beethoven und die intellektuelle Elite der Zeit – doch ihre Gastgeberin selbst blieb von bürgerlichen Rechten ausgeschlossen. Ein Zeitzeuge notierte 1815: „Man hört das Klirren der Gläser, das Lachen der Damen – doch draußen, im Gesetz, ist das Judentum noch immer eine fremde Nation.“
Die große Mehrheit der jüdischen Bevölkerung blieb von diesem Aufstieg unberührt. In den engen Gassen der Vorstädte, insbesondere der Leopoldstadt, lebten Tausende in ärmlichen Verhältnissen. Zugang zu Zünften war verwehrt, Grundbesitz blieb eingeschränkt, Heirat bedurfte oft staatlicher Genehmigung. Der berühmte „Familienfideikommiss“, eine Maßnahme zur Beschränkung jüdischer Ansiedlung, bedeutete faktisch: Nur wer ein bestimmtes „Familienregister“ besaß, durfte in Wien leben – andere mussten weichen.

Die Revolution von 1848 sollte diesen Zustand in Frage stellen. Mit dem Ruf nach Bürgerrechten, Nationalversammlung und konstitutioneller Ordnung rückte auch die Judenemanzipation ins Zentrum der politischen Debatte. Der liberale Abgeordnete Adolf Fischhof – selbst jüdischer Herkunft – brachte es auf den Punkt: „Nicht die Konfession darf über das Bürgerrecht entscheiden, sondern allein der Mensch.“ In der neuen Reichstagsverfassung fand diese Idee erstmals konkreten Ausdruck – auch wenn die vollständige Gleichstellung erst Jahrzehnte später rechtlich umgesetzt wurde.
So bleibt die Zeit vor 1848 ein Kapitel der halben Zugeständnisse, der zögerlichen Reformen und der tief verankerten Exklusion – ein Spiegelbild einer Gesellschaft, die an der Schwelle zur Moderne zögerte, ihre eigenen Schranken zu durchbrechen. Für die jüdische Bevölkerung Wiens war es ein Jahrhundert des Überlebens im Zwischenraum – zwischen Toleranz und Marginalisierung, zwischen Integration und Zurückweisung.

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