Natalie Grams, selbst Ärztin, war eine äußert aktive und sportliche Person, bis sie zum zweiten Mal an Covid 19 erkrankte und dies in Long Covid überging und irgendwann ging das in ME/CFS, also das chronische Erschöpfungssymptom über. Eine Krankheit, die ihr ganzes Leben auf den Kopf stellt. Brainfog, Erschöpfung, Schlafstörung oder Kreislaufstörungen sind nur einige Probleme, unter denen Natalie Grams zu leiden hat. Trotzdem schaffte sie es, das vorliegende Buch zu schreiben. Wobei schreiben ja falsch ist, sie diktierte den Text ja und hilfreiche Hände brachten es in Form. Ich kann nicht anders, als den allergrößten Respekt an Natalie Grams aussprechen, für diese Leistung. Allerdings empfinde ich es als einen Skandal, dass sich kein Verlag gefunden hat, um dieses Buch zu veröffentlichen und Frau Grams auf die Selbstveröffentlichung bei Books on Demand zurückgreifen musste. Dies passt ins Bild, dass die deutschen Verlage heute abgeben, bloß auf „Nummer sicher“ gehen und bloß nichts riskieren. Wenn das heute Verleger wie Ernst Rowohlt oder Siegfried Unseld mitbekämen, die drehten sich im Grabe herum wie am Dönerspieß auf Ecstasy. Aber ich schweife ab.
Die Autorin gibt uns einmalige Innenansichten in eine Krankheit, die noch immer viel zu schnell psychologisiert und damit bagatellisiert wird. Es ist ja sicher bequemer, die Betroffenen in Schubladen zu stecken wie „nichteingestandene Depression“ oder „Simulant“, als die Beschwerden ernstzunehmen. Leider ist ME/CFS nicht die einzige Krankheit, bei der das passiert, denken wir etwa an Fibromyalgie. Dazu kommt, dass die Bagatellisierung psychischer Krankheiten brandgefährlich sein kann. Aber ich schweife schon wieder ab.
Kommen wir zurück zu Natalie Grams, die uns, wie oben schon angeführt, Innenansichten einer Krankheit in ihrem neuen Buch liefert. Sie zeigt aber auch auf, welche Auswirkungen die Krankheit auf das Umfeld, auf Partner, Familie, Freunde hat. Und hat auch ein Kapitel den guten Ratschlägen gewidmet, die man sich als Nichtbetroffener am besten schenken kann. Grams berichtet von ihrer Odyssee durch die Arztpraxen, wo sie immer wieder auf Unverständnis trifft und nicht ernst genommen wird, von den Diskussionen mit Krankenkasse und Versicherungen.
Natalie Grams schildert ihren Zustand eindringlich und es macht mich mehr als betroffen, wenn ich lese, wie eine Frau, die noch vor einem Jahr sportliche und aktiv war, ihren Tag in 30-Sekunden-Einheiten taktet, wie sie nur noch mit dem Rollator vor das Haus kann und wie schon kleinste Reize eine Überflutung auslösen. Und trotz allem wird die Krankheit belächelt.
Das vorliegende Buch ist aber viel mehr als ein Erfahrungsbericht. Es zeigt auch – gut laienverständlich – den aktuellen Forschungsstand zu LongCovid bzw. ME/CFS auf, zeigt die Lücken in der Versorgung auf und auch, was nun passieren muss, damit sich die Situation ändert, denn eines ist klar: Covid ist da – und es wird nicht mehr weggehen und die Fälle von LongCovid werden dadurch mehr und mehr zunehmen. Von daher muss gehandelt werden. Und das schnell!
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich störe, aber wir müssen über LongCovid und ME/CFS reden“ ist ein wichtiges Buch für alle Betroffenen und deren Angehörige, aber auch für Ärzte und auch für Politiker, an denen es liegt, die Infrastruktur zur Bekämpfung dieser Krankheit zu schaffen. Jeden von uns kann dieses Schicksal treffen. Umso dankbarer müssen wir Natalie Grams für dieses Buch sein.