Projekt 596 war das erste erfolgreiche Atomwaffenprogramm der Volksrepublik China und führte am 16. Oktober 1964 zur Zündung der ersten chinesischen Atombombe. Damit wurde China zur fünften Atommacht der Welt. Dieses Ereignis war nicht nur ein technologischer Triumph, sondern auch ein bedeutender politischer Meilenstein in Chinas Bestreben, als souveräne Großmacht anerkannt zu werden.
Hintergrund
In den frühen 1950er-Jahren strebte China unter Mao Zedong nach technologischer Unabhängigkeit und militärischer Gleichstellung mit den Großmächten. Die Erfahrungen aus dem Koreakrieg (1950–1953) und die nukleare Bedrohung durch die USA verstärkten den Wunsch, eine eigene Atombombe zu entwickeln.
Zunächst erhielt China technische Hilfe von der Sowjetunion. 1957 wurde ein Kooperationsvertrag unterzeichnet, in dessen Rahmen China Zugang zu Atomtechnologie und sowjetischen Experten erhielt. Doch mit dem sich zuspitzenden ideologischen Konflikt zwischen Moskau und Peking wurde diese Zusammenarbeit bereits 1959 wieder eingestellt – der Wendepunkt, der dem Projekt den Codenamen „596“ gab.
Der Codename „596“
Der Name „596“ verweist vermutlich auf Mai 1959, den Monat, in dem die Sowjetunion ihre nukleare Unterstützung für China offiziell beendete. In der chinesischen Führung wurde dies nicht als Scheitern, sondern als Herausforderung begriffen: Von diesem Moment an sollte China den Weg zur Atombombe aus eigener Kraft gehen.
Die beteiligten Wissenschaftler: Die stillen Architekten des Atomprojekts
Trotz des technologischen Rückstands gelang es China, binnen fünf Jahren eine funktionierende Atombombe zu entwickeln. Dieses außergewöhnliche wissenschaftliche Unterfangen wurde von einer Gruppe hochqualifizierter Wissenschaftler getragen, von denen einige zuvor im Ausland studiert hatten.
Schlüsselpersonen:
- Qian Sanqiang (钱三强): Häufig als „Vater der chinesischen Atombombe“ bezeichnet. Er hatte in Frankreich unter Frédéric Joliot-Curie geforscht und spielte eine zentrale Rolle in der nuklearen Forschung Chinas.
- Deng Jiaxian (邓稼先): Führender theoretischer Physiker, der entscheidend an der Berechnung und Konstruktion der Kernladungen beteiligt war. Er arbeitete jahrzehntelang unter strengster Geheimhaltung.
- Yu Min (于敏): Ein weiterer bedeutender Physiker, der später auch bei der Entwicklung der Wasserstoffbombe eine zentrale Rolle spielte.
Diese Wissenschaftler arbeiteten oft in extrem isolierten Bedingungen, unter hoher psychischer Belastung und mit stark begrenzten Ressourcen – doch ihr Beitrag war essenziell für den Erfolg von Projekt 596.
Testgelände Lop Nor: Chinas geheime Atomwüste
Der erste Test fand am Atomtestgelände Lop Nor (罗布泊) in der Provinz Xinjiang statt, einer entlegenen, dünn besiedelten Wüstenregion im Westen Chinas. Das Gelände wurde ab 1959 für militärische Zwecke erschlossen.
Die Wahl dieses Ortes war strategisch: Weit entfernt von dicht besiedelten Gebieten und schwer zugänglich für ausländische Spione. In den folgenden Jahrzehnten wurden dort über 40 Atomtests durchgeführt – sowohl atmosphärische als auch unterirdische.
Lop Nor entwickelte sich zu einem der wichtigsten militärischen Zentren des chinesischen Nuklearprogramms. Auch heute noch ist die Region für Außenstehende weitgehend gesperrt und unterliegt strenger Geheimhaltung.
Entwicklung der chinesischen Nuklearstrategie
Nach dem erfolgreichen Test von 1964 setzte China auf eine minimalistische, aber glaubwürdige Abschreckungsstrategie. Anders als die USA oder die Sowjetunion verzichtete China zunächst auf ein Wettrüsten mit gigantischen Arsenalen.
Zentrale Elemente der Strategie:
- No First Use Policy (NFU): China erklärte, niemals als Erster Atomwaffen einzusetzen, sondern nur zur Abschreckung bzw. Vergeltung. Diese Politik gilt offiziell bis heute.
- Zweite Schlagfähigkeit: In den 1970er- und 1980er-Jahren arbeitete China daran, die Überlebensfähigkeit seiner Atomstreitkräfte zu erhöhen, unter anderem durch den Bau mobiler Raketen, unterirdischer Bunker und nuklear bewaffneter U-Boote.
- Begrenzte Modernisierung: In den 1990er- und 2000er-Jahren modernisierte China sein Arsenal, setzte jedoch weiterhin auf eine vergleichsweise kleine, aber technologisch fortschrittliche Streitmacht.
Heute verfügt China über eine „strategische Triade“ – Atomwaffen, die von landgestützten Raketen, U-Booten und Flugzeugen getragen werden können.
Fazit
Projekt 596 war für China weit mehr als ein wissenschaftlich-technologisches Vorhaben: Es war ein politischer Akt der Selbstbehauptung und ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Großmachtstellung. Der erfolgreiche Test der ersten chinesischen Atombombe im Oktober 1964 veränderte die geopolitische Ordnung des Kalten Krieges und legte den Grundstein für Chinas heutige Rolle als globale Militärmacht.
Trotz internationaler Spannungen betonte China stets die defensive Natur seines Nuklearprogramms. Dennoch bleibt das Erbe von Projekt 596 ein zentraler Bestandteil der sicherheitspolitischen Identität der Volksrepublik – und ein technisches Meisterwerk, das unter widrigsten Bedingungen vollbracht wurde.