Mit der Toleranz ist es so eine Sache. Man kann sie nicht sehen, man kann sie nicht anfassen, aber trotzdem ist sie einer der wichtigsten Bausteine unseres Zusammenlebens. Allerdings habe ich gerade in den letzten Jahren das Gefühl, dass durch einen unachtsamen Umgang mit der Toleranz diese entwertet wird.
Das zugrundeliegende Verb tolerieren wurde im 16. Jahrhundert aus dem lateinischen tolerare („erdulden“, „ertragen“) entlehnt. Das Adjektiv tolerant in der Bedeutung „duldsam, nachsichtig, großzügig, weitherzig“ ist seit dem 18. Jahrhundert, der Zeit der Aufklärung, belegt, ebenso die Gegenbildung intolerant, als „unduldsam, keine andere Meinung oder Weltanschauung gelten lassend als die eigene“. Ignatz Bubis, der frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, führte aus, dass mit dem vom erdulden bzw. ertragen abstammenden tolerieren somit auch immer ein gewisses Leid gekoppelt ist. Wer etwas erträgt, der leidet auch darunter. „Der eine leidet darunter, dass man ihn (nur) dulden will, der andere, dass er eine Sache – oder eine andere Person – erdulden, ertragen muss.“ so Bubis.
In früheren Zeiten ging es bei der Toleranz, beim Tolerieren, hauptsächlich um die Religionen untereinander, also um das Verhältnis der Juden zu den Christen, der Christen zu den Moslems, der verschiedenen christlichen Konfessionen untereinander und so weiter. Heute aber darf jeder, der bspw. durch Hautfarbe, Herkunft, Religion, Weltanschauung, Sexualität etc. nicht der Mehrheitsgesellschaft angehört, von unserem aufgeklärten Rechtsstaat erwarten, dass man ihm mit Toleranz begegnet.
Hierzu sei aber auch Johann Wolfgang von Goethe angefügt, der schrieb: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ Gerade wenn es um den Umgang mit fremden Kulturen und Ethnien geht, muss immer das Ziel sein, über den Status der reinen Duldung hinauszukommen. Asfa Wossen Asserate schrieb dazu: „Dahin zu gelangen ist ein mühsamer, langdauernder Prozess. Er mutet sowohl den Zuwanderern als auch der einheimischen Bevölkerung etwas zu. Von den Zuwanderern darf die ernsthafte Bereitschaft erwartet werden, sich zu integrieren, und damit verbunden das Erlernen der Sprache der neuen Umgebung und die Kenntnis der grundlegenden Regeln des Aufnahmelandes. Von der Mehrheitsgesellschaft wiederum darf die Bereitschaft erwartet werden, den Einwanderern Zugang zu den gemeinschaftlichen Gütern zu gewähren, nicht zuletzt zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt, und der gute Wille, vorhandene Vorurteile zu überwinden und den Fremden den Weg in die Mitte der Gesellschaft zu ebnen.“
Hierfür ist aber – wie bei allen gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit – der ehrliche Wille von Nöten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Diesen Willen kann ich aber bei Leibe nicht sehen. Die aktuellen „Diskussionen“ erinnern mich eher an den Stellungskrieg des Ersten Weltkrieges in Frankreich. Jede Gruppe sitzt in ihrem Schützengraben und feuern Stalinorgeln voller leerer Phrasen und hohlen Wortgeklingel aufeinander ab und die so selbstbesoffen von ihrer eigenen Meinung sind, dass sie sie für sakrosankt halten. So kann ein fruchtbarer Diskurs nicht stattfinden. Wenn ich irgendwelche Katechismen vorgebetet bekommen möchte, dann gehe ich in den Religionsunterricht.
Wenn ich Toleranz einfordere, dann muss ich genauso dazu bereit sein, auf die andere Gruppe zuzugehen, mir ihre Argumentationen anzuhören und nicht gleich mit irgendeiner Keule draufzuhauen oder ein Label anzukleben. Und Labels gibt es ja genug.
Im Gegenzug kann ich dann aber auch erwarten, dass mir die die „Gegenseiten“ ihre Standpunkte klar und verständlich aufzeigen kann, eben ohne irgendwelche hohlen Phrasen oder leerem Wortgeklingel.
Aber zurück zur Toleranz, die ja in diesen gesellschaftspolitischen Stellungskriegen von allen Seiten eingefordert und angemahnt wird. Immanuel Kant, der große Philosoph der Aufklärung, schrieb zur Toleranz: „Lass doch einen jeden auf seinem Steckenpferde die Straßen der Stadt auf und niederreiten, wenn er dich nur nicht nötigt, hinten aufzusitzen.“ In den aktuellen Diskussionen habe ich das – durchaus subjektive – Gefühl, dass jede Partei den Anderen nicht nur zwingt „hinten aufzusitzen“, sondern auch noch, dies gut zu finden. Dies ist natürlich ein äußerst vermessener Ansatz in einer solchen Diskussion und kann eigentlich nur zu deren Scheitern führen.
Auch habe ich das – wieder subjektive – Gefühl, dass Toleranz immer mehr mit Gleichgültigkeit verwechselt wird. Dem ist aber nicht so. Ein „egal“ ist keine tolerieren. Mit dem Objekt der Toleranz muss man sich aktiv beschäftigen, um es zu verstehen. Sprich, man braucht schon eine eigene Meinung, um andere Meinungen zu tolerieren.
Wie soll man aber mit intoleranten Menschen umgehen, mit denen, die zwar von anderen Toleranz fordern, diese aber nicht bereit sind anderen zu gewähren?
„Um tolerant zu sein, muss man die Grenzen dessen, was nicht tolerierbar ist, festlegen.“ führte Umberto Eco einmal aus. Wo die Grenzen des tolerierbaren liegen ist in unserer Gesellschaft ganz klar in unserem Grundgesetz festgelegt und nur, wer diese Grundsätze unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung einhält und die Menschenrechte respektiert, kann meiner Meinung nach für sich Toleranz einfordern.
Beitragsbild: Minerva, die Göttin der Weisheit und Toleranz
Karl Popper hat das ja im Toleranzparodox gut auf den Punkt gebracht. Das wäre hierbei noch mit aufzuführen.
Und die beschriebenen „Schützengräben“ betreffend, dazu folgende Geschichte:
Die Teetasse
“Ein Professor wanderte weit in die Berge, um einen berühmten Zen-Mönch zu besuchen. Als der Professor ihn gefunden hatte, stellte er sich höflich vor, nannte alle seine akademischen Titel und bat um Belehrung.
‘Möchten Sie Tee?’ fragte der Mönch. Ja, gern, sagte der Professor. Der alte Mönch schenkte Tee ein. Die Tasse war voll, aber der Mönch schenkte weiter ein, bis der Tee überfloß und über den Tisch auf den Boden tropfte. ‘Genug! rief der Professor’. Sehen Sie nicht, daß die Tasse schon voll ist? Es geht nichts mehr hinein. Der Mönch antwortete: Genau wie diese Tasse sind auch Sie voll von Ihrem Wissen und Ihren Vorurteilen. Um Neues zu lernen, müssen Sie erst Ihre Tasse leeren.”
(Aus dem Zen-Lehren)
Quelle:
https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/wie-dualistischer-antisemitismus-israel-gaza-und-den-jemen-zerstoert/?fbclid=IwAR1Zil25fraaprhnosxGby1UjusbMdIhZ4kSWeibvXXM_lUPgTImv7sYWNY
LikeLike
Schöner Artikel! Vor allem er Hinweis, dass Toleranz ein aktiver Prozess ist und nicht einfach ein „mir doch egal“
Kleiner Hinweis: Die Aussage
„Wo die Grenzen des tolerierbaren liegen ist in unserer Gesellschaft
ganz klar in unserem Grundgesetz festgelegt“
halte ich nicht für korrekt. Viele Grenzen des Tolerierbaren stehen nicht im GG, sondern sind im StGB festgelegt (Volksverhetzung, Holocaustleugnung, Hassrede, …)
LikeLike
Wichtiger Teil der Basis für Toleranz ist in einer offenen Gesellschaft auch eine relativ hohe Argumentationskultur – und mit der geht es seit einiger Zeit spürbar bergab. Die PISA-Problematik ist eine von mehreren Facetten des Problems, allerdings eine sehr anschauliche und handfeste.
LikeLike