Ich habe wieder einmal ein paar alte Zeitungsjahrgänge durchforstet und dabei ist mir in der Ausgabe vom 27. September 1913 der Coburger Zeitung folgender, doch recht amüsanter Artikel über den Weg gelaufen. Natürlich habe ich Sprache und Orthographie nicht verändert.
Aus dem Gerichtssaal
Der Schriftsteller und Privatgelehrte Friedrich Kallenberg in Bayreuth hat ein Buch geschrieben: „Offenbarungen des siderischen Pendels, die Leben ausströmende Photographie und Handschrift“. Ein Justizrat in Charlottenburg, der das Buch gekauft hat, bezeichnete es in einem Briefe an den Verleger als Schwindel. Kallenberg stellte gegen den Justizrat Beleidigungsklage und behauptete in der Verhandlung vor dem Schöffengerichte, dass das siderische Pendel, das aus einem 35 bis 40 Zentimeter langen seidenen Faden mit einem daran geknüpften glatten Metallring besteht, im Kreise schwinge, wenn es über die Photographie eines Mannes, einen von einem Herrn geschriebenen Brief oder dergleichen gehalten wird, in einer von Nord nach Süd schwingenden Ellipse dagegen, wenn die Photographie etc. von einer Dame stammt; eine ostwärts führende Ellipse bedeute moralischen Zusammenbruch. Kallenberg will auch das Geschlecht eines Kindes vorausbestimmen können, was freilich erst dreimal gelungen ist. Der Kläger experimentierte im Gerichtssaal, um zu beweisen, daß sein Buch kein Schwindel sei. Der an einem Faden vom Zeigefinger herabhängende Ring bezeichnete richtig die vom Experimentierenden mitgebrachten Photographien männlicher Personen durch einen kreisförmigen, weiblicher Personen durch einen elliptischen Ausschlag. Ueber einer Kallenberg verdeckt vorgelegten Photographie wechselte der Kreis mit der Ellipse; Kallenberg meinte, es handle sich wahrscheinlich um einen Herrn mit femininem Einschlag. Der Prozeß endete mit einem Vergleich, in dem der Angeklagte zugab, daß er einige der vorgeführten Experimente für gelungen halte. Der Berichterstatter der „Berl. Morgenpost“ hat Verscuhe mit dem siderischen Pendel über einem leeren Blatt Papier angestellt; er veröffentlicht nun folgendes Resultat: Das Pendel beschrieb zuerst einen Kreis von rechts nach links, dann ging es in die „weibliche“ Nordsüdellipse über, beschrieb dann wieder einen Kreis, aber diesmal von links nach rechts, und schließlich eine Ostwest-Ellipse; zuletzt stand es still. Nach einer kleinen Pause begann derselbe Kreislauf von neuem. Diese Wirkungen sind offenbar eine Folge des Blutdrucks und entsprechen der periodischen Erneuerung des Blutdrucks in der Spitze des Fingers. Das Experiment mit dem „siderischen Pendel“ muß immer gelingen, wenn man es rechtzeitig unterbricht.