Goethes Naturforschungen: Die Unzulänglichkeiten eines Dilettanten

Johann Wolfgang von Goethe – ein Name, der in der deutschen Kulturgeschichte wie ein Titan erscheint, dessen literarisches Werk das Rückgrat der modernen deutschen Literatur bildet. Doch in der Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft hat dieser Titan, der als poetisches Universalgenie verehrt wird, einen nicht minder bleibenden Eindruck hinterlassen – allerdings einen eher problematischen. In seinem Versuch, die Natur zu begreifen, zeigte sich Goethe nicht als der feinsinnige Wissenschaftler, den man heute vielleicht in ihm sehen möchte, sondern als ein Dilettant, dessen naturwissenschaftliche Werke von einer kritischen Perspektive aus betrachtet mehr Fragen aufwerfen als Lösungen anbieten.

Während Goethe als Dichter und Denker unbestreitbar brillierte, bleibt seine Rolle als Naturforscher in den Annalen der Wissenschaft eine Fußnote – und das aus gutem Grund. Es gibt nicht wenige Wissenschaftler, die Goethes naturwissenschaftliche Arbeiten nicht nur als unvollständig, sondern als bereits zu seiner eigenen Zeit widerlegt betrachten. Und hier liegt die Crux: Goethes Naturforschungen, die er als bahnbrechend und revolutionär erachtete, wurden schon zu seinen Lebzeiten von einer wachsenden wissenschaftlichen Gemeinschaft als fragwürdig und nicht haltbar angesehen.

Die Farbenlehre: Der Versuch einer esoterischen Überhöhung

Eines der prominentesten Beispiele für Goethes naturwissenschaftliche Ambitionen ist seine „Farbenlehre“. Das Werk, das 1810 erschien, sollte Goethes These untermauern, dass Farben nicht allein durch physikalische Prozesse des Lichts und der Lichtbrechung entstehen, sondern durch die Wechselwirkungen zwischen Licht und Dunkelheit, den subjektiven Wahrnehmungen des Menschen und den inneren Zuständen des Betrachters. Anstatt die Farben als objektive Phänomene zu begreifen, wollte Goethe sie als ein Produkt des subjektiven Erlebens darstellen.

Doch schon zu Goethes Lebzeiten war klar, dass diese Theorie in keinerlei Weise mit den Entdeckungen der aufkommenden modernen Physik kompatibel war. Isaac Newtons Arbeit zur Lichtbrechung und den Spektralfarben war bereits weit etabliert und wurde von den meisten Wissenschaftlern als der wahre Weg zur Erklärung der Phänomene des Lichts akzeptiert. Newton hatte das Spektrum des sichtbaren Lichts nachgewiesen und die Farben als feste, objektive Größen verstanden, die durch die Brechung von Lichtstrahlen entstehen.

Goethes Farbenlehre hingegen blieb im Bereich der Spekulation und der subjektiven Wahrnehmung, ohne eine wirkliche empirische Grundlage. Es ist zu bemerken, dass Goethe selbst nie in der Lage war, seine farbtheoretischen Überlegungen experimentell zu untermauern – ein gewaltiger Mangel in einem Bereich, der für die Wissenschaft von grundlegender Bedeutung ist. Während Newtons Entdeckungen auf experimentellen Beweisen und mathematischen Modellen basierten, war Goethes Theorie von vagen und poetischen Gedanken durchzogen, die wissenschaftlich gesehen nichts von Wert zur Erklärung des Phänomens beitrugen. Heute ist Goethes Farbenlehre nicht nur überholt, sondern vielmehr ein Paradebeispiel für den Dilettantismus, der entsteht, wenn ein Dichter glaubt, eine naturwissenschaftliche Disziplin durch subjektive Wahrnehmung und Intuition beherrschen zu können.

Die Metamorphose der Pflanzen: Ein Spekulationskonstrukt ohne empirische Basis

Ein weiteres Beispiel für Goethes Naturforschung ist seine „Metamorphose der Pflanzen“, die 1790 erstmals veröffentlicht wurde. In diesem Werk entwickelte Goethe die Theorie, dass alle Pflanzen einen einheitlichen Urtypus besäßen, der sich im Laufe der Entwicklung durch verschiedene Formen von Organen und Strukturen manifestiere. Diese Hypothese – dass die Pflanzenwelt eine „Metamorphose“ durchlaufe, die von einem Idealtypus ausginge – wurde von Goethe als eine Art universelles Gesetz der Natur angesehen.

Goethes Vorstellung von der Pflanzenmetamorphose mag poetisch und anregend klingen, doch auch hier blieben seine Thesen weit hinter den wissenschaftlichen Standards seiner Zeit zurück. In Wirklichkeit war die Entwicklung der Pflanzen längst als Ergebnis der Evolution und der natürlichen Selektion erkannt worden. Bereits die Arbeiten von Carl von Linné, der das System der binären Nomenklatur für die Klassifizierung von Pflanzen und Tieren einführte, hatten einen präzisen Rahmen für das Verständnis der Pflanzenwelt geschaffen, der weit mehr empirische Fundierung hatte als Goethes spekulative „Metamorphose“. Die Evolutionstheorie von Charles Darwin, die erst einige Jahrzehnte nach Goethes Tod vollständig ausgebildet wurde, zeigte dann auf, dass die Entwicklung der Pflanzen nicht einem idealistischen Urtypus folgt, sondern einem langen, sich durch zufällige Mutationen und Selektion verändernden Prozess.

Goethes Versuch, eine allumfassende Theorie der Pflanzenentwicklung zu formulieren, wurde damit bereits zu seinen Lebzeiten zunehmend von der wissenschaftlichen Gemeinschaft hinterfragt. Die vermeintliche Schönheit seiner Theorie konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie keine experimentelle Basis besaß und auf einem idealistischen Weltbild basierte, das sich nicht mit den Tatsachen der biologischen Wissenschaften in Einklang bringen ließ.

Goethes Morphologie: Der Versuch einer Übertragung von Kunst in die Naturwissenschaft

Ähnlich unhaltbar war Goethes Konzept der „Morphologie“, mit dem er versuchte, die strukturellen Formen von Lebewesen und Pflanzen als Ausdruck einer übergeordneten Gesetzmäßigkeit zu begreifen. In seinen morphologischen Arbeiten betrachtete Goethe verschiedene Organismen als unterschiedliche Ausprägungen eines universellen Gesetzes von Form und Struktur, was ihn dazu verleitete, die Natur als ein harmonisches Ganzes zu sehen, das sich in seiner Vielfalt dennoch einer übergeordneten Ordnung unterwarf.

Doch auch hier trifft Goethe auf die Grenzen der Wissenschaft. Die Idee, dass alle Formen der Natur aus einer einheitlichen „Urform“ hervorgingen, wurde bald von der Entdeckung der Genetik und der Evolutionstheorie widerlegt. Die Form der Lebewesen war nicht das Resultat einer platonischen Idee oder einer übergeordneten Gesetzmäßigkeit, sondern das Produkt von Jahrmillionen der natürlichen Selektion. Goethes morphologische Überlegungen waren, wie seine Farbenlehre, ein weiteres Beispiel für die romantische Verklärung der Natur, die sich jeglicher empirischen Prüfung entzog. Was er als einheitliche Strukturlesart verstand, war in Wahrheit ein Konstrukt, das nie in den Kontext der biologischen Realität passte.

Die Widerlegung Goethes durch die Wissenschaft seiner Zeit

Es ist von entscheidender Bedeutung, festzuhalten, dass Goethes Arbeiten in seiner eigenen Zeit keineswegs unkritisch aufgenommen wurden. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Goethes naturwissenschaftliches Werk von vielen seiner Zeitgenossen, darunter prominente Wissenschaftler wie Michael Faraday und Augustin-Jean Fresnel, in Frage gestellt. Diese Männer hatten nicht nur tiefere Einsichten in die physikalischen und biologischen Phänomene, sondern sie konnten ihre Erkenntnisse mit präzisen Experimenten und mathematisch begründeten Theorien stützen. Faraday, der die elektrische Induktion entdeckte, und Fresnel, der wesentliche Beiträge zur Optik leistete, hatten wenig Verständnis für Goethes spekulativen Umgang mit Naturphänomenen, und sie hielten seine Arbeiten für wissenschaftlich unhaltbar.

In der modernen Wissenschaft gibt es keinerlei Anerkennung für Goethes naturwissenschaftliche Theorien, die von Anfang an als fragwürdig und von der etablierten wissenschaftlichen Methode weit entfernt angesehen wurden. Die Fortschritte in der Physik, Biologie und Chemie, die nach Goethes Tod realisiert wurden, haben Goethes Versuche, Naturphänomene zu erklären, vollständig widerlegt.

Die Grenzen des poetischen Denkers

Johann Wolfgang von Goethe mag in der Literatur und Philosophie ein Meisterwerk hinterlassen haben, doch als Naturwissenschaftler war er ein Dilettant. Seine Theorien zur Farbenlehre, Pflanzenmetamorphose und Morphologie, die zu seiner Zeit als revolutionär und tiefgründig galten, waren letztlich von einem Idealismus geprägt, der sich nicht in die objektive, empirische Welt der Wissenschaft einfügen ließ. Während Goethe als Dichter ein Universalgenie war, verwehrte sich seine naturwissenschaftliche Arbeit der Systematik und der praktischen Überprüfbarkeit, die für eine wahre Wissenschaft unerlässlich sind.

Es ist daher mehr als gerechtfertigt, Goethes naturwissenschaftliche Arbeiten als das zu bezeichnen, was sie sind: spekulative Konstrukte, die schon zu seiner Zeit widerlegt und in der modernen Wissenschaft als bedeutungslos angesehen werden. In Goethes Fall bedeutet das, dass die Grenze zwischen Genialität und Dilettantismus oft nur ein schmaler Grat war – und bei seinen naturwissenschaftlichen Ambitionen trat er diese Grenze deutlich zu oft und zu weit überschritten.

3 Gedanken zu “Goethes Naturforschungen: Die Unzulänglichkeiten eines Dilettanten

  1. „sollte Goethes These untermauern, dass Farben nicht allein durch physikalische Prozesse des Lichts und der Lichtbrechung entstehen, sondern durch die Wechselwirkungen zwischen Licht und Dunkelheit, den subjektiven Wahrnehmungen des Menschen und den inneren Zuständen des Betrachters. Anstatt die Farben als objektive Phänomene zu begreifen, wollte Goethe sie als ein Produkt des subjektiven Erlebens darstellen.“

    Ehrlich gesagt, er hat Recht. Auch wenn ich vermute, er meinte es nicht so, wie wir es heute betrachten.

    Der Eindruck „Farbe“ entsteht in der Tat erst im Gehirn. Objektiv gesehen, sind Farben Wellen, aber sie werden dennoch subjektiv empfunden.

    Niemand von uns weiß übrigens, ob jemand anderer ei einem Farbton denselben Farbeindruck hätte wie andere. Wir wissen lediglich, dass jeder Farbtöne unterschieden kann.

    Ebenso verändern unterschiedliche Lichtfarben der Umgebung oder Dunkelheit die Farbwahrnehmung. Zwar auch aus physikalischen Gründen, aber von seinem Standpunkt aus, der Wahrnehmung, lag Goethe im Prinzip richtig.

    Falsch lag er insofern, dass er eben Farben nicht als unterschiedliche Wellenlägen des Lichts verstand.

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  2. @bs

    Schwurbel. Versuchst du etwa den antroposofischen Säulenheiligen JWG vor den bösen Wissenschaftlern zu beschützen? Wenn du subjektiv am Fussgängerübergang rot nicht als rot wahrnimmst, wirst du möglicherweise objektiv beschädigt. Könnte sein, dass du dann sogar eine Seelenwanderung unternehmen musst.

    Zum Thema „Genie“ JWG: 1. die sind nur fleissig und hatten die besseren Chancen. Ich dagegen bin mit Vergnügen faul (kleine Chancen hatte wohl fast jeder). Dann gibts noch Zufallstreffer. 2. JWGs „Wahlverwandtschaften“ , in Germanistenkreisen gerne als „Qualverwandtschaften“ betitelt, steht in einer Reihe mit Karl Mays Tibotaka und Tibomaka(???) in Old Shurehand lll. und mit (Titel hab ich vergessen -ich war damals 11)verwexelten Sintidamen, die eigentlich Grafentöchter sind. Was für ein Schund . 3. bedauerte ich schon bei der erzwungenen Schullektüre nur die arme Gretel, die zwei A…..löchern zum Opfer fiel. Bei „faustisch“ fallen mir die Waldorflehrerseminarabsolventenwichtel der örtlichen Schule ein, -autoritäre Säcke ohne Autorität.

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  3. Ein bißchen unfair – Goethe war schließlich Jurist. Eine naturwissenschaftliche oder gar mathematische Ausbildung hatte er nicht. Ich glaube nicht, dass er Euler oder Bernoulli gelesen hat. Dass er auch damals nicht auf der Höhe des Wissensstandes mitreden konnte, muss man ihm verzeihen. Noch heute heißt es ja „Judex non calculat!“

    Mit seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten hat er natürlich selber den Spott auf sich gezogen.

    Das Beste ist immer noch, seine „besseren“ Werke zu geniesen und ansonsten über seine dilettantischen Versuche zu schweigen.

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