„In persecutione extrema S.R.E. sedebit Petrus Romanus…“
– Letzter Eintrag der sogenannten Prophezeiung des Malachias
Ein heiliger Seher aus Irland?
Wer den Namen Malachias vernimmt, denkt vielleicht an alttestamentarische Prophetengestalten oder an irische Hagiographien voller Klöster, Kreuzgänge und keltischer Mystik. Tatsächlich lebte ein Heiliger dieses Namens, Malachias von Armagh, im 12. Jahrhundert und war Bischof in einer Zeit, da Irland geistlich wie politisch ein Flickenteppich war. Jener Malachias war, wie es in der Sprache der Heiligenlegenden heißt, von geradezu überirdischer Frömmigkeit beseelt.
Doch hier beginnt bereits das erste Kapitel eines Missverständnisses, das die Jahrhunderte überdauerte: Die berühmte Papst-Prophezeiung, die seinem Namen zugeschrieben wird, stammt mitnichten aus seiner Feder. Sie tauchte erstmals – oh welch Zufall – im Jahre 1595 in Druckform auf, und zwar in einem Werk des Benediktiners Arnold de Wyon (Lignum Vitae). Der gute Wyon veröffentlichte sie, so versichert er, aus einem alten Manuskript, das er in Rom aufgefunden habe. Welch bequeme Quelle, wenn man bedenkt, wie häufig in jener Zeit kirchliche und politische Legitimation durch prophetische Autorität untermauert wurde.
Die „Weissagung“ in Kürze – oder vielmehr in Kürzeln
Die „Prophetia de Summis Pontificibus“ umfasst eine Liste von 112 Papsten, beginnend mit Celestinus II (1143–1144), jedem einzelnen versehen mit einem lateinischen Motto. Die frühen Einträge wirken noch recht konkreter Natur – man denke an:
„Ex castro Tiberis“ – „Aus der Burg am Tiber“
(in Anspielung auf Papst Celestin II, geboren in der Nähe des Tiber)
Oder:
„De rure albo“ – „Vom weißen Landgut“
(für Pius V, geboren in Bosco, was auf Italienisch „Wald“ bedeutet)
Doch schon bald verlieren sich die Motive in einem nebelhaften Gemisch aus Allegorie, Vexierbild und kryptischer Beliebigkeit. Bei einigen Pontifikaten scheinen die Motti geradezu um jeden Preis passend gemacht worden zu sein – wie ein zu kleines Kleid, das dennoch mit Gewalt übergestreift wird.
So etwa:
„Lumen in caelo“ – „Licht am Himmel“
(für Papst Leo XIII, unter dessen Wappen ein Stern leuchtet)
Das alles mag dem arglosen Leser ein Schmunzeln entlocken – wäre da nicht der düstere Schluss:
„In persecutione extrema S.R.E. sedebit Petrus Romanus, qui pascet oves in multis tribulationibus: quibus transactis civitas septicolis diruetur, et Iudex tremendus iudicabit populum suum. Finis.“
Oder in deutschem Gewande:
„In der letzten Verfolgung der heiligen römischen Kirche wird Petrus Romanus thronen, der seine Schafe mitten unter vielen Bedrängnissen weiden wird. Nach deren Ende wird die Stadt der sieben Hügel zerstört, und der furchtbare Richter wird sein Volk richten. Ende.“
Ein apokalyptisches Crescendo, das einem mittelalterlichen Bußprediger Ehre gemacht hätte.
Ein Meisterwerk der nachträglichen Übereinstimmung
Wendet man jedoch die gebotene Skepsis an, so offenbart sich das ganze Werk als ein typischer Fall des vaticinium ex eventu – der „Weissagung nach dem Ereignis“. Das bedeutet: Die Motti bis etwa zum Jahr 1590 lassen sich mit erstaunlicher Präzision auf die damaligen Päpste beziehen. Danach jedoch – oh Wunder! – beginnt ein allgemeines Nebelmeer der Mehrdeutigkeiten. Die Motti werden kürzer, vager, leerer. Man könnte sagen: Die prophetische Gabe des „Malachias“ scheint exakt in dem Moment zu erlahmen, in dem sie tatsächlich prophetisch werden müsste.
Zudem sollte man bedenken, dass der Zeitpunkt der Veröffentlichung – das ausgehende 16. Jahrhundert – ein besonders fragiles Kapitel der Kirchengeschichte war: die Gegenreformation tobte, der Protestantismus gewann an Boden, das Konzil von Trient war eben erst zu Ende gegangen. In einem solchen Klima war ein prophetisches Dokument, das die Päpste bis in die Gegenwart und darüber hinaus „vorhergesagt“ hatte, ein willkommener Beweis göttlicher Ordnung inmitten irdischen Chaos.
Ein prophetisches Kartenhaus – mit Dachschaden
Und wie steht es um „Petrus Romanus“, jenen ominösen letzten Papst, den das Werk in Aussicht stellt? Viele haben in Benedikt XVI. oder Franziskus schon diesen Endzeitbischof sehen wollen – doch wie immer bei schwammigen Prophezeiungen, taugt das Motto für viele Kandidaten und keinen zugleich.
Der Name „Petrus Romanus“ ist dabei fast schon eine Travestie auf die apostolische Sukzession: Petrus, wie der erste Papst – Romanus, als ob man das Papsttum auf eine Karikatur seines Ursprungs reduzieren wollte. Es ist, als wollte der Prophet uns zuzwinkern: „Ihr seht schon, hier schließt sich der Kreis.“ Doch die Klammer, die da geschlossen wird, hält keiner kritischen Prüfung stand.
Das Erbe der Leichtgläubigkeit
Dass sich solche Prophezeiungen hartnäckig halten, ist weniger ein Verdienst ihrer inneren Kohärenz als vielmehr ein Zeugnis der menschlichen Sehnsucht nach Ordnung im Chaos der Geschichte. Die Malachias-Prophezeiung lebt nicht, weil sie wahr ist – sie lebt, weil sie romantisch ist. Sie stillt das Bedürfnis nach dramaturgischem Sinn, nach göttlicher Regie in einer Welt voller Zufall und Zank.
Doch wie bei so vielen Produkten religiöser Phantasie gilt auch hier: Die Schönheit der Form ersetzt nicht den Mangel an Substanz. Und wer die Wahrheit sucht, der tut gut daran, sich nicht von pathetischen lateinischen Floskeln blenden zu lassen.
Schlussbetrachtung
Der „Heilige Malachias“ – so er denn überhaupt etwas mit dieser Liste zu tun hatte – war vermutlich ein Mann des Gebets, nicht des Orakels. Was uns geblieben ist, ist eine theatralische Konstruktion der Renaissance, ein Stück kirchlicher Fiktion mit tragikomischem Pathos. In ihr spiegeln sich weniger himmlische Eingebungen als vielmehr die kreativen Leistungen eines Autors, der wusste, wie man eine fromme Erzählung wirkungsvoll inszeniert.
Finis, heißt es am Ende der Prophezeiung.
Ja, finis indeed, möchte man sagen – und das möglichst bald.
Die richtige Bezeichnung für solche Leute ist halt nicht „Prophet“, sondern „Epiphet“ – nicht Vorher- sondern Nachhersager.
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