Der unsichtbare Pflegestreik

„Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin!“ war einer der Slogans, die Menschen meiner Generation noch aus den Zeiten der großen Ostermärsche der 70er und 80er Jahre kennen. Ich muss sagen, dass ich den Spruch schon damals recht doof fand, denn wenn der Russe kommt und keiner ihn aufhält, werden wir überrannt. Das wär schon doof.

Heute drängt sich mir ein anderer Spruch auf: „Stell Dir vor es ist Pflegestreik und keinen interessiert es!“ Denn genau das passiert jetzt seit gut neun Wochen in Nordrhein-Westfalen. Hier streiken die Pflegekräfte in den Unikliniken, aber irgendwie so richtig interessiert das niemanden. Gut, ab und an, taucht der Streik in den Medien auf, aber auch nur wenn bspw. die Betreiber vor Gericht abblitzen.

Ansonsten? Kein Brennpunkt, keine Sondersendung, keine Schlagzeilen. Nix.

Stattdessen wird uns die Ohren voll geheult vom „Urlaubs-Chaos“ auf den Flughäfen. Naja, Prioritäten. So wichtig.

Und gerade das verstehe ich nicht. Jeder hinterletzte Dorftrottel von Berchtesgaden bis Aurich und von Lörrach bis Sassnitz weiß, dass unser Gesundheitssystem am Arsch ist. Das kann man auch nicht mehr irgendwie beschönigen. Auf dem Rücken der Beschäftigten tobt sich ein entfesselter Manchester-Kapitalismus aus, dass es nicht mehr feierlich ist. Eigentlich hoch motivierte Pflegekräfte werden hier vorsätzlich verheizt, nur um die Personalkosten so gering wie möglich zu halten. Das ist bekannt. Seit Jahren, denn schon seit den 1990er Jahren gibt es Warnungen vor genau den Zuständen, die wir heute haben. Hat jemand darauf gehört? Natürlich nicht.

Während der letzten beiden Jahre, als das Corona-Virus Deutschland beherrschte, bekamen die Pflegekräfte viele schöne warme Worte. Einen Lavendelbusch, eine Packung Merci-Schokolade und sonstigen Tinneff, den sich die Verantwortlichen gerne in die Haare schmieren konnten. Und natürlich Klatschen. Auf dem Balkon. Das hat was gebracht. Dollllllll…

Ich begreife das einfach nicht. Wir wissen, wo das Problem liegt, wir wissen, dass das Problem noch schlimmer werden wird, wenn nichts getan wird. Und trotzdem handelt niemand. Alle Verantwortlichen machen ein betroffenes Gesicht und sagen „Schlimm, schlimm, schlimm!“ Als ob sie gerade gesehen hätten, dass ihr Pudel in den Gartenteich gekackt hätte und daraufhin die Goldfische eingegangen wären.

Keiner ist zuständig, keiner macht was, die Pflege wird im Stich gelassen und resigniert irgendwann.

Schlimm, schlimm…

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