Die Gedanken sind frei, sie tun dir nichts Gutes!

Die Gedanken kommen abends, wenn alles erledigt ist. Wenn man nichts mehr zu tun hat. Wenn man sich einfach mal zurücklehnen könnte und entspannen. Während des Tages hat man zu tun. Arbeit. Einkaufen. Autofahren. Dies erledigen. Jenes erledigen. Aber wenn das alles geschafft ist, dann kommen sie. Dann kriechen sie aus allen Ritzen und Spalten und setzen sich im Kopf fest. Die Gedanken. Das man alles falsch macht. Das man nicht genügt. Das man nicht gut genug ist. Das man nichts wert ist.

Und dass, obwohl man doch so erschöpft ist. Erschöpft davon den Alltag zu bewältigen, die Anforderungen der Arbeit zu bewältigen. Keine Fehler zu machen. Richtig zu funktionieren, damit niemand merkt, wie anstrengend das alles ist. Als ob man Kohlensäcke in den dritten Stock trägt. Den ganzen Tag. Und niemand soll etwas davon merken. Nein, nach außen hin wird gelächelt. Späßken gemacht. Man ist witzig. Lacht mit den anderen und wenn man sich wegdreht ist da nur noch Leere und Erschöpfung.

Erschöpfung. Die niemand sieht. Auf die niemand Rücksicht nimmt. Nein, die Ansprüche werden immer höher. Man muss immer verfügbar sein. Man muss für andere immer da sein. Sofort. Was Du willst oder brauchst interessiert nicht. Du musst für andere da sein.

Man ist aber froh, wenn niemand etwas merkt. Wenn Du Deinen Schmerz, Deine Leere, Deine Erschöpfung vor der Welt verbergen kannst. Denn sonst kommen ja wieder die scheißblöden Ansagen. „Stell Dich nicht so an!“ „Geh doch mal raus!“ „Mach Sport!“ „Geh unter Menschen!“ „Bilde Dir nicht sowas ein!“ „Think Pink!“ und und und. Jeder Trottel kann sich erlauben, Dir Deine Gefühle, Deine Empfindungen, Deine Krankheit abzusprechen. Als wärst Du ein unmündiger kleiner Junge, der ja keine Ahnung hat.

Und dann sitzt Du abends da und die Gedanken schlagen ihre verdammten Klauen ins Hirn und pumpen ihr Gift in Dein Gemüt und dann kommt unweigerlich die Angst. Hast Du heute alles richtig gemacht? Kann man Dich wegen irgendetwas anscheißen? Kann irgendjemand böse auf Dich sein? Und die Gedanken kreisen immer schneller und Du kannst sie nicht anhalten und bist froh, wenn Du es irgendwie ohne Panikattacke ins Bett schaffst. Vielleicht schaffst Du es ja sogar, ein bisschen zu schlafen, denn in der Nacht, je ruhiger, je stiller es wird, desto mehr kleine Gedanken-Monster kommen aus allen Winkeln gekrochen und piesacken Dich.

Irgendwann ist dann die Tortur vorbei. Der Wecker klingelt und Du musst aufstehen. Funktionieren. Für andere da sein. Lächeln.

5 Gedanken zu “Die Gedanken sind frei, sie tun dir nichts Gutes!

  1. Lieber Onkel Michael, schlaue Sprüche habe ich nicht im Angebot… nur eine (virtuelle) Umarmung vielleicht, falls gewünscht. Ich lese Ihren Blog sehr gerne und wünsche Ihnen alles Gute 🙂

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  2. Es ist mehr als 10 Jahre her – aber immer noch nicht vorbei. Die Gedanken sind eben nicht frei sondern manchmal wie in einem Käfig gefangen. Und all die „klugen“ Sprüche schieben noch einen Riegel davor!

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  3. Lieber Onkel Michael,
    Treffer: als würdest Du mich in verschiedenen Phasen meines Agenturlebens beschreiben (und ich bin definitv kein Einzelfall unter Deinen Lesern).
    Was gegen diesen Gedankenansturm hilft? Nun, manchmal, dass ich mir neue Folgen meiner Satire ausdenke – angelehnt an den Mist, der mich in der Nacht bestürmt. Aber eben nur manchmal.
    Dir alles Gute!🙋🏻‍♂️

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  4. Genau das fühle ich. Und sie wollen für dich da sein. Aber das können sie nicht. Das wissen sie und dass weißt du. Und trotzdem versucht man es immer weiter. Man kämpft, gibt auf, kämpft weiter. Jeden Tag aufs neue. Und die Gedanken kommen immer wieder. Aber du bist nicht allein… 🙂

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