Warum ich ein Problem mit der „Letzten Generation“ habe

Ja, wir haben Klimawandel. Ja, die Politik müsste endlich mal zu Potte kommen und den Arsch rumdrehen. Ja, ich habe trotzdem ein Problem mit der „Letzten Generation“ und ihrem Protest. Warum? Verrate ich euch.

Ganz einfach, weil die Herrschaften wieder genau bei denen ansetzen, die am wenigstens Einfluss nehmen können. Wenn ich mich im Berufsverkehr auf einen Hauptverkehrsweg klebe, dann treffe ich den Arbeiter, den Angestellten, der einfach nur zu seiner Arbeitsstelle will. Warum? Weil es sonst Mecker vom Chef gibt und keine Kohle auf dem Konto. Und wer sich seine sauer erarbeiteten Überstunden oder vielleicht sogar einen Tag Urlaub wegen so einem Protest in die Haare schmieren kann, der wird auch Spaß inne Backen haben. Denn der Vorgesetzte fragt nämlich nicht, warum man nicht pünktlich ist, sondern meckert. Und wenn er vielleicht zweimal oder dreimal gemeckert hat, dann gibt’s schriftlichen Mecker und das wird dann richtig übel. Oder schauen wir uns doch die ganzen Eltern, Großeltern und sonstige Nachwuchschauffeure an, die einfach ihre Kinder in die Kita oder die Schule bringen wollen. Die haben auch einfach Druck und wenn dann noch die Klimakleber dazu kommen, dann steigt der Druck umso mehr.

Und genau an dem Punkt krankt nämlich die Überlegung der letzten Generation. Deren Gedankengang nach sollen dann die so genervte Bevölkerung den Druck, der auf sie ausgeübt wird, an ihre Abgeordneten im Bundestag weitergeben. Aber das ist absoluter Unsinn, denn so funktioniert der Mensch nicht. Der Mensch funktioniert so, und das sieht man ja bei jedem Bericht über so eine Klebeblockade, dass sein Druck und die daraus entstehende Wut auf den unmittelbaren Verursacher kanalisiert wird.

Die „Letzte Generation“ will mehr Druck auf die Politik ausüben, damit die mal in die Puschen kommt, aber dann müssen sie ihre Aktionen auch darauf ausrichten, Politikern direkt auf den Zeiger zu gehen. Davon werden die sich sicher auch nicht beeindrucken lassen, aber immerhin ist der Protest dann direkt beim richtigen Empfänger.

Genauso frage ich mich, warum die „Letzte Generation“ so verhalten damit ist, ihren Protest gegen „die Reichen“ zu richten, und das obwohl diese doch durch Verhaltensänderungen merkbar positive Effekte erzielen könnten. Eine Oxfam-Studie besagt ja folgendes:

In Deutschland waren die reichsten 10 Prozent (8,3 Millionen Menschen) im Jahr 2015 für mehr CO2-Ausstoß verantwortlich als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung (41,3 Millionen Menschen). Von den Gesamt-Emissionen seit 1990, für die die deutsche Bevölkerung verantwortlich ist, gehen 26 Prozent auf das Konto der reichsten 10 Prozent; die gesamte ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung ist nur für wenig mehr verantwortlich. [QUELLE]

Trotzdem werden diese 10 Prozent nur mit irgendwelchen Feigenblatt-Aktionen belästigt. Da fragt man sich schon weshalb. Ach ja, hier noch der LINK zur kompletten Studie.

Und wenn sich dann der Otto Normalverbraucher erregt (und bitte jetzt hier nichts hineininterpretieren, damit heiße ich die Gewalt von Autofahrenden gegenüber den Aktivisten nicht gut!), dann wird sich von privilegierter Seite aus noch darüber lustig gemacht. Als Beispiel sei eine Folge von „Bosettis Woche“ genannt, wo Frau Bosetti sich mit einem, ich glaube es war ein Moderator oder Regisseur, unterhalten hat (ich weiß partout den Namen nicht mehr, aber ich schaue, ob ich das in der Mediathek noch finde und reiche es dann nach) und dieser Gesprächspartner (das macht mich jetzt leicht wahnsinnig, dass ich mich nicht mehr an den Namen erinnern kann) sich dann massiv über die Autofahrenden erregte und sich über sie lustig machte im Sinne von „Schaut her, die dummen Deutschen, wenn die einmal nicht rechtzeitig zur Arbeit kommen, geht für sie die Welt unter!“

Natürlich, aus seiner privilegierten Sichtweise heraus kann man das so sehen, aber ich garantiere dem guten Mann, dass 90 Prozent derjenigen, die in den Staus stehen, zu der Uhrzeit auch noch lieber gemütlich zu Hause mit ihren Kindern frühstücken würden, um sie dann im Laufe des Vormittags gemütlich mit dem Lastenfahrrad zur Kita zu fahren, damit man dann gegen Mittag mal in ein Studio laufen kann, um dort den Hanswurst zu spielen.

Aber die Lebensrealität des Großteils der arbeitnehmenden Bevölkerung ist halt mal eine andere als die eines Moderators, Regisseurs oder eine „Satirikerin“. Da muss man um 7 oder 8 Uhr halt die Stempeluhr drücken, sonst fliegt man. Und sich darüber dann noch auf so unanständige Art und Weise lustig zu machen, das ist eine Frechheit, die zeigt, wie weit die privilegierte Klasse sich von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt hat.

Und ich würde mich jetzt wirklich freuen, wenn die „Letzte Generation“ endlich anfangen würde, und den Verantwortlichen direkt auf den Sack zu gehen, anstatt denjenigen, die ja sowieso keine markanten Veränderungen vornehmen können.

Denn Ottmar, Kevin, Ayse, Chantal, Kevin und Lothar, die da im Stau stehen, die können keinen Braunkohleabbau stoppen, die können kein Tempolimit verfügen und die können auch keine Flüge einschränken, das müssen schon Scholz, Habeck, Buschmann & Co. machen. Also geht denen auf den Sack.

Ach ja und bevor sich jetzt irgendwelche Internet-Spezialisten am Onkel abarbeiten wollen: der ist noch nie in seinem Leben geflogen, seine letzte Urlaubsreise war 2001 und wenn er zu irgendwelchen Terminen muss, die weiter als 50 KM weg sind, dann nimmt er die Bahn. Außerdem betreibt er ein Balkonsolarkraftwerk und hat einen ökologischen Garten!

Beitragsbild: Von Stefan Müller (climate stuff, 1 Mio views) from Germany – Der Aufstand der Letzten Generation blockiert Straße am Hauptbahnhof, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=114773807

9 Gedanken zu “Warum ich ein Problem mit der „Letzten Generation“ habe

  1. Interessanter, richtiger Gedanke. Aber es ist wie bei vielem anderen, Proteste richten sich an die falschen, es wird an Symptomen rumgedoktort statt Ursachen zu bekämpfen usw. Außerdem wird oftmals zu kruz gedacht. Selten gibt es echte Ursache -> Wirkung Verbindungen. Schon in der Physik lernen wir, dass es Ursache -> Vermittlung -> Wirkung heißt und beim Versuch, Probleme zu lösen, wird immer nur an der Vermittlung geschraubt und die eigentlichen Ursachen außer acht gelassen. Ob nun nur nicht erkannt oder erfolgreich ignoriert, bleibt mal dahingestellt.
    Neulich hörte ich mal den interessanten Gedanken, dass die Idee, wenn jeder etwas tut, dann kann zusammen etwas bewirkt werden, auch nicht so ganz aufgeht, vor allem dann nicht, wenn die großen Teilnehmer nicht mitmachen.

    Like

  2. Hier kann ich beipflichten, wenn sich meine Sichtweise vielleicht auch leicht unterscheidet und ich einen noch negativeren Eindruck von der „Letzten Generation“ habe.

    Vorweg, zur Klimaproblematik ist eigentlich alles Ernsthafte und wissenschaftlich Fundierte gesagt. Ja, wir haben ein Klimaproblem, und zwar ein ernstes. Das steht außer Frage. Wir müssen handeln, und mit „wir“ meine ich keineswegs nur „die Politik“, sondern uns alle. (Und allen Unkenrufen der „letzten Generation zum Trotz: Es wird auch gehandelt, auch von der Politik.)

    Aber das ist nicht Thema meines Kommentars. Mir geht es, wie dem Originalposting auch, um die Protestform, hier speziell jene der „letzten Generation“. Und die finde ich, gelinde gesagt, ZUM KOTZEN.

    Warum? An sich ist es auf den ersten Blick eine Form des gewaltfreien Widerstandes. Das ist zunächst mal legitim. Aber dieser vermeintliche „Widerstand“ kommt mir seltsam vor.

    Bei Protest geht es um Kommunikation. Mit den Medien, mit der Politik, mit der Gesellschaft, usw. In diesem Fall der direkten Konfrontation sollte ein Kommunikationspartner aber, wie Onkel Michael beschrieb, die Menge der Menschen sein,
    die man konfrontiert. Also die Leute, die in den blockierten Autos sitzen. Diese sollten aufgerufen werden, auf die Politik Druck auszuüben. Onkel Michael beklagt, dass dies nicht funktionierte, weil die Menschen so eben nicht funktionieren.

    Meine steile These ist, dass es SO NICHT FUNKTIONIEREN SOLL. UND NIEMALS SOLLTE.

    Ich behaupte, dass es bei diesen Protesten allein und ausschließlich um die Produktion von Bildern geht. Von Schwarzweiß-Bildern. Ohne Grautöne. Hier die Reinen und Guten. Die Märtyrer, die sich mit gesenktem Kopf verprügeln, beschimpfen, verurteilen lassen. Die bereit sind, für Mutter Erde zu LEIDEN. Dort die dumpfe Masse in ihren CO2-produzierenden Kisten, Hass fühlend, Gewalt ausübend. „Gut“ und „Böse“ sind klar verteilt. Zwischentöne gibt es nicht. Dialog auch nicht.

    Die Menschen, die im provozierten Stau stehen, sind keine Adressaten irgendeiner Message. Dialogpartner schon gar nicht. Sie sind Staffage. Werden benutzt. Spielen im besten Fall exakt die Rolle, die ihnen zugedacht ist.

    Und hier dreht sich mir der Magen um. Denn die Reichelts, die Elsässers, die „Bild“-Zeitung, die ganze (rechts-)konservative bis offen rechtsextreme Presse: Die betreiben genau dasselbe Spiel. Nur mit anderen Vorzeichen.

    Dieses Spiel will ich nicht mitspielen. Aus diesem Grund unterstütze ich die „letzte Generation“ genauso wenig, wie ich „Greenpeace“ unterstütze. Kommerzialisierter, auf Effekthascherei ausgelegter Protestbetrieb, der keinen Dialog will und dem ganz bestimmt trotz aller gegenteiligen Behauptungen eines bestimmt nicht ausgehen wird: Geld.

    Stattdessen täte ein Diskurs über Protestformen dringend Not.

    (Eine Anmerkung zu Sarah Bosetti: In Tommy Krappweis‘ Format „WildMics Special: Was bringt was?“ beklagt sie explizit, dass es keinen konstruktiven Dialog mit der „letzten Generation“ gegeben hätte. Das geht in meine Richtung – ich denke, das ist auch nicht Absicht der „letzten Generation“.)

    Like

  3. Ihr könnt mich jetzt ruhig für blöd erklären, aber ich finde, dass eine Demokratie das aushalten muss.
    Protest muss erlaubt sein, sonst können wir uns gleich auf eine Eben stellen mit Ländern, in denen es halt keine Demokratie gibt.
    Dass der Protest die falschen trifft mag sein, aber die Protestanten dafür einzusperren, wird das Problem nicht lösen.
    Seit ich denken kann, höre ich täglich, wo überall Stau ist.
    Das ging auch früher schon ganz gut, auch ohne Klima-Kleber.
    Eine Unachtsamkeit im Morgenverkehr reicht, Auffahrunfall und schon ist Stau. Jeder der mit dem Auto unterwegs ist muss jederzeit mit Stau rechnen, ob durch Klima-Kleber verursacht, oder halt anders.
    Übrigens habe ich gehört, dass die Letzte Generation auch in Nobelhotels in Sylt aktiv war und dort den Frieden der Reichen und Schönen gestört hat.

    Like

  4. Total verständlich die Perspektive. Dabei gibt es nur leider ein paar kleine Probleme:
    Die Aktionen, welche die Superreichen treffen würden, oder direkter an die Ursache gehen wurden in der Vergangenheit schon versucht und hatten wenig bis gar keine Wirkung. Beispiel: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-04/letzte-generation-klimaschutz-aktivismus-gaspipeline-berlin
    Das Leute damit nicht einverstanden sind, wie derzeit vorgegangen wird ist nachvollziehbar. Es fehlen alternative Aktivitäten zum Klimaschutz, die effektiver sind.

    Wenn die Gesellschaft als ganze alle weniger invasiven Maßnahmen ignoriert, wie soll man dann die Gesellschaft wecken? Protest muss stören sonst interessiert es leider keinen. Kann man doof finden, man kann aber auch selbst aktiv werden und was anderes machen.

    Like

  5. Die haben Demos abgehalten: Ohne Wirkung.
    Die haben Petitionen eingereicht: Ohne Wirkung.
    Die haben Freitags die Schulen bestreikt: Ohne Wirkung.

    „Ihr könnt ja gerne protestieren, aber doch bitte so, dass es niemanden stört.“ So funktioniert Protest aber nicht. Ein Bahnstreik trifft auch immer die normale, arbeitende Bevölkerung. Protest muss wehtun.

    In Hannover hat es zumindest dazu geführt, dass der grüne OB sich mit ihnen an einen Tisch gesetzt und eine Einigung erzielt hat. Die blockieren nicht mehr die Straße, dafür verstärkt die Stadt die Bemühungen im Klimaschutz. Geht doch.

    Like

  6. Danke, der Artikel spiegelt genau meine Sichtweise,
    @mohs, larsreineke
    ja der Protest wirkt, ABER auch in die Richtung die Ihr Euch wünscht? Die Nachwahlen in Berlin waren für die Grünen jetzt kein so tolles Ergebniss und die Nachwahlen der Bundestagswahl die noch kommen… man wird sehen, der Abwärtstrend der Zustimmung hat nicht erst mit dem Kommunikationsdebakle der Regierungskoalition zum „Heizungsgesetz“ begonnen auch der Frust der Leute auf die Aktionen der „Klimaaktivisten“ ist spürbar (zumindest für mich in meiner persönlichen Blase)
    Schon lange habe ich im Freundes und Bekanntenkreis für mehr Umwelt und Klimaschutz geworben, kommt jetzt ein passendes Thema auf, hör ich immer häufiger, „Lass mich (uns) mit dem Scheiss in Ruhe“ oder „Fängst du auch noch an dich irgendwo anzukleben)“, Danke dafür…. Es ist schon schwer genug gegen den Schwachsinn von AfD und Co anzugehen, da sind diese Art von Protest eine „Super“ Unterstützung…
    Ihr wollt mehr Aufmerksamkeit, die dem Ziel nicht schadet ? Klebt Euch am Eingang vom Bundestag / Landtag / Kreistag etc fest, wie der Onkel schreibt, such Euch

    Das Statement:
    Die haben Demos abgehalten: Ohne Wirkung.
    Die haben Petitionen eingereicht: Ohne Wirkung.
    Die haben Freitags die Schulen bestreikt: Ohne Wirkung.

    möchte ich so nicht stehen lassen, wurden alle gewünschte Ziele vollumfänglich erreicht? ein klares Nein, daraus ein „es wurde nichts erreicht“ zu machen ist schlicht falsch

    Like

  7. Die Wahlergebnisse sind nicht zuletzt auch der Art der Berichterstattung geschuldet. Das Heizungsgesetz-Thema war kein Kommunikationsdebakel der Regierungskoalition, sondern eher aktive Sabotage. Seit beginn der Koalition blockiert die FDP alles was sie kann und was mit Klimaschutz zu tun hat. Der SPD ist es egal, betrachtet es als vorteilhaft, wenn sich die anderen streiten. Das hat ihr ja in der Wahl genutzt.
    In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf folgende Einordnung hinweisen: [Link automatisch entfernt]
    Auch solche Kommunikation gibt es nur mit entsprechendem Protest: [Link automatisch entfernt]
    Und ja, sie haben dort eine andere Aktion gemacht, nicht mitbekommen? Tja, das würde dann wohl belegen, was ich zuvor schrieb.

    Like

  8. „Denn der Vorgesetzte fragt nämlich nicht, warum man nicht pünktlich ist, sondern meckert. Und wenn er vielleicht zweimal oder dreimal gemeckert hat, dann gibt’s schriftlichen Mecker und das wird dann richtig übel. “

    Das sollte er aber besser. Wenn der Stau nicht vorhersehbar war da zB deutlich für diese Uhrzeit angekündigt wäre ich als Vorgesetzter vorsichtig, die Abmahnung könnte sich in etwas verwandeln was mir persönlich für diesen Zweck nicht flauschig genug ist… Der Wunsch eine Abmahnung zu formulieren landet schon mal öfter auf meinem Schreibtisch. Von dieser würde ich abraten…

    Like

Hinterlasse eine Antwort zu Herr Johannes bei den Furzen Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..