Mit der Meinungsfreiheit ist es ja auch so eine Sache. Für eine demokratische Gesellschaft ist es existentiell, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung frei und ohne Angst vor staatlichen Repressalien äußern dürfen. Natürlich ist so eine Meinung nicht sakrosankt und je nach Art und Weise wird sie Widerspruch ernten, das gehört natürlich dazu, denn alle haben diese Freiheit.
Wie sieht es aber dann aus, wenn man eine Meinung äußert, die im aktuellen Zeitgeist nicht opportun ist? Oder dem komplett widerspricht? Heutzutage gibt es mit dem Shitstorm in den „sozialen“ Medien ein gutes Element, denjenigen mit einer so entgegenstehenden Meinung absolut niederzumachen. Und nein, ich spreche jetzt nicht von irgendwelchen radikalen oder extremen Aussagen, sondern lediglich von Aussagen, die zwar auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen und nicht beleidigend sind, aber eben nur dem aktuellen Zeitgeist oder der Meinung einer anderen Gruppe entgegenstehen.
Wie ist es um eine Gesellschaft bestellt, in der man zwar seine Meinung offen sagen kann, aber dann fürchten muss, von einer Gruppe, Blase, gesellschaftlichen Strömung niedergebrüllt zu werden, was bis zu beruflichen Konsequenzen führen kann, wenn von ganz besonders „netten“ Teilnehmern eines solchen Shitstorms der Arbeitgeber kontaktiert wird. Und noch einmal: ich spreche nicht von irgendwelchen bspw. Nazi-Parolen oder Bildern.
Wenn ich mir so manche Diskussionen die aktuell laufen ansehe, dann bin ich immer wieder fasziniert davon, wie von sich und ihrer Meinung überzeugt manche Herrschaften doch sind. Sie sehen ihre Meinung als derart unfehlbar an, dass die Glaubenskongregation der römischen Kirche dagegen wie eine ultraliberale Hippiekommune aussieht. Und jeder, der diese Meinung nicht teilt, wird niedergemacht, verspottet und diskreditiert. Egal wie lange man sich vielleicht schon beruflich mit einer Thematik beschäftigt oder darüber publiziert hat. Wenn es den Ansichten dieser Aktivisten entgegensteht, zählt das gar nichts, dann reichen in ein paar Tagen zusammengegoogelte Informationen aus, um dagegen zu argumentieren.
Den Vergleich mit der Kirche habe ich übrigens ganz bewusst gewählt, weil mir diese Blasen oder Strömungen, wie man sie auch nennen mag, wie fanatische Sekten vorkommen, die Argumente und Aussagen so lange verbiegen und verdrehen, bis sie entweder in die eigene Agenda passen, oder bis man ihnen ein Etikett (Am besten „Nazi“ oder „alt-right“ oder „neurechts“ oder sowas) anheften kann. Auch wenn das natürlich die bequemste Alternative ist, denn mit Nazis spricht ja nicht.
Dies beinhaltet auch, dass man sich mit Meinungen und Aussagen beschäftigt, die einem selber nicht passen und unbequem sind. Dieses Aushalten von Meinungen, die einem selbst inkommod sind, ist aber spätestens seit dem Zeitpunkt obsolet geworden, als Gefühle die guten alten Argumente verdrängt haben. Statt sich also mit solchen unbequemen Meinungen auseinanderzusetzen und vielleicht daran zu wachsen, wird immer wieder gefordert, von vorne herein davor geschützt zu werden oder wie oben ausgeführt wird einfach niedergebrüllt, was einem nicht passt. Besonders dann, wenn so etwas im wissenschaftlichen Kontext geschieht, ist das nicht hinnehmbar. Es kommt so vor, als ob je bunter und diverser unsere Gesellschaft wird, desto schmaler wird der gesellschaftlich akzeptierte Meinungskorridor.
In dieses Bild der gnadenlosen Jagd passt auch eine Entwicklung, die gerade immer häufiger zu beobachten ist, nämlich der immer weiter um sich greifende Screenshot- und Archivierungsterror. Meiner Meinung nach hat ja jeder das Recht darauf, auch mal Unsinn zu reden, sich argumentativ zu vergaloppieren und auch mal zu knattern oder paulen. Sprich: jeder hat das Recht auch mal Scheiße zu labern. Man muss es danach halt auch einsehen, was die meisten auch tun und danach – wenn dies notwendig ist – um Entschuldigung bitten. Dabei rechnen sie allerdings nicht mit dem gnadenlosen Social Media-Mob, der von der inkriminierten Aussage schon Screenshots angefertigt hat oder ganze Homepages/Blogs/Accounts mit den diversen Archivierungsseiten „gesichert“ haben. Damit haben sie die Möglichkeit, selbst Jahre später diese Äußerungen wieder hervorzuholen und damit jede Diskussion vollkommen zu vergiften. Was diese Herrschaften dabei aber übersehen ist, dass Menschen sich (im besten Fall) ändern, lernen, weiterentwickeln.
Was sagt eine Äußerung von vor acht Jahren, von dem sich der/die Äußerer/in schon mehrfach distanziert und sich dafür entschuldigt hat in einer Debatte heutzutage aus? Vor allem, wenn aus dem Laufe der Zeit erkennbar ist, dass es sich um einen Ausreißer handelt? Nichts. Absolut nichts. Wer sich so einer Vorgehensweise befleißigt, dem ist nicht an einer Diskussion gelegen, der möchte seinen Gegner einfach nur noch niedermachen und diskreditieren. Das ist eine infame Vorgehensweise und wer sich deren bemächtigt muss es sich gefallen lassen, wenn man seinen Charakter in Frage stellt.
Wobei ich ergänzen darf, dass die Verwendung von Screenshots in einer laufenden Diskussion natürlich etwas anderes ist. Hier benutzt man diese ja zur Reaktion auf das Geschriebene. Gemeint sind hier ausdrücklich Screenshots o.ä., die nach teilweise Jahren wieder hervorgeholt werden. Quasi als „Erbsünde“ des Verfassers.
Nein, diese Entwicklungen gefallen mir gar nicht. Ich wünsche mir für die Zukunft wieder einen gesunden Meinungspluralismus, weniger Empörung, weniger Shitstorms, weniger Dogmatismus und mehr freie Diskussion. Lassen wir nicht zu, dass der pseudo-intellektuelle Meinungs-Pietismus die Oberhand gewinnt.
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Nachtrag: Nachdem es sicherlich einige Menschen geben wird, die mich missverstehen WOLLEN hier noch einmal ganz deutlich: Nein, ich spreche hier in diesem Artikel nicht von irgendwelchen rassistischen oder anderen menschenfeindlichen Narrativen, die Verbreitung finden sollen. Nein, ich möchte nicht irgendwelche rechts- oder linksradikale oder -extremistische Positionen legitimieren oder verharmlosen oder sonstwie fördern. Es geht hier um Äußerungen und Meinungen, die sich innerhalb unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen.
Schöne und richtige Worte zum Jahresanfang. Gutes Neues…bleibe weiter wie Du bist.
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Ein Gedanke von John Stuart Mill: Auch Irrtümer sollten wir in Ruhe diskutieren. So bleiben die Argumente dagegen bekannt und der Irrtum hat es schwer(er) sich wieder zu etablieren. Hin und wieder merken wir dann auch, dass ein Irrtum gar keiner ist – und haben was dazugelernt. Soll vorkommen …
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