Alle Jahre wieder

Heute ist der 19. Juli. Morgen ist der 20. Juli. Der 20. Juli 2024. Morgen jährt sich also zum 80. Mal das Attentat von Stauffenberg auf Hitler. Und ich wie die Nacht dem Tag, der Sonnenschein dem Regen ist es eine Gewissheit, dass Morgen, nach dem ersten Gedenkpost an Stauffenberg die moralinsauren Maulhelden erwachen und über den Mann und seine Mitstreiter herfallen, wie ein Rudel Hyänen über einen verletzten Ameisenbären.

Denn es ist in den asozialen Medien ein schöner Brauch, dass beispielsweise zum Jahrestag des Attentates auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 herzhaft auf die Widerständler, allen voran Claus Graf Schenk von Stauffenberg, eingedroschen wird. Denn ihr Fehler war, dass die Vorstellungen, die sie von einem Deutschland nach Hitler nicht mit dem übereinstimmen, was heute politisch opportun ist. Und dieser Stauffenberg erst, denkt mal, der hat ja Hitler erst verehrt! Also war er ja auch ein Nazi. Da kann man ihn doch nicht als Vorbild nehmen. Nä, wo kämen wir denn da hin, wenn jetzt plötzlich jeder anfangen würde, sich und seine Ansichten zu reflektieren, darüber nachzudenken und Irrtümer einzusehen. Nein! Meinungen sind ein für alle Mal festzementiert. Sonst könnte man die Menschen doch nicht in Schubladen stecken und DAS(!) das ist anscheinend das Wichtigste heutzutage.

Nur der Vollständigkeit halber meine unmaßgebliche Meinung dazu: selbst wenn Stauffenberg ein bezahlter Auftragskiller wie Giuseppe Greco von der Cosa Nostra gewesen wäre, hätte er unsere Hochachtung verdient, weil er – als einer der Wenigen – dazu bereit war, sein Leben in die Waagschale zu werfen, um das von anderen zu retten und schlussendlich hat er es hierdurch auch verloren. Eine Welt, wo so etwas nicht mehr zählt, hat sich selbst den moralischen Bankrott erklärt.

Lieber wird stattdessen ein arrogantes und selbstgerechtes „ICH hätte damals NIE mitgemacht! ICH wäre im Widerstand gewesen!“ Einen Scheiß hättest Du, also hock Dich wieder auf Deine Couch und halt die Klappe.

Was Menschen, die solche Aussagen tätigen nicht bedenken ist, dass sie selbige mit ihrem heutigen Wissenstand tätigen und sich absolut nicht in die Menschen und deren Lebensumstände der damaligen Zeit hineinversetzen können. Natürlich, wer sich heute mit all dem Wissen, das wir in den letzten 80 Jahren seit Kriegsende angehäuft und vermittelt haben noch immer dazu entschließt, ein Nazi zu sein, der ist ein Arschloch Punkt aus.

Aber wenn Du 1921 geboren wurdest, in einem Kaff im Bayrischen Wald, im Wendland oder droben in Ostpreußen, beim Deibl uff der Renn, wo es nur ein, maximal zwei Zeitungen gab, dazu den Amtsboten und das Kirchenblättchen, wo die nächste Bibliothek in der Kreisstadt war, wo man nur einmal im halben Jahr hinkam, und wo Dein alltäglicher Aktionsradius allerhöchstens vielleicht 20 Kilometer betragen hat und wo der „Volksempfänger“ das Tor zur Welt war“, da sieht das schon etwas anders aus. Das wird aber ausgeblendet, weil es ja viel mehr Spaß macht, Menschen einfach Stempel aufzudrücken und auf diejenigen, die sich nicht wehren können einzudreschen.

Wobei ich hier tatsächlich niemand in Schutz nehmen und nichts relativieren möchte. Ich möchte nur dafür sensibilisieren, dass wir frühere Ereignisse – egal welcher Epoche – nicht mit den Maßstäben unserer wohlstandsverwahrlosten Zeit bewerten und verurteilen dürfen.

Am ekelhaftesten wird es aber dann, wenn die verschiedenen Attentäter gegeneinander aufgewogen werden. Georg Elser gegen Sophie Scholl gegen Claus von Stauffenberg. Das ist natürlich hanebüchener Blödsinn (schon alleine, weil Sophie Scholl ja kein Attentat auf Hitler verübt hat). Alle drei haben sich gegen den Tyrannen gestellt, alle drei hatten keinen Erfolg, alle drei haben mit ihrem Leben für ihren Mut bezahlt. Da ist nicht Stauffenberg „schlechter“, weil er aus der Wehrmacht kam oder Elser „besser“. Wer ein solches „Widerstands-Ranking“ anführt, sollte seinen moralischen Kompass erstmal neu justieren. „Gelten“ nur solche Attentate, die nach heutigen Maßstäben aus moralisch einwandfreien Motiven ausgeführt wurden? Und wer bestimmt darüber? Der Social-Media-Mob? Wie sollte das auch funktionieren? Hätten die Widerstandskämpfer erst eine Gesinnungsprüfung oder ein Gesinnungszeugnis ablegen sollen, dass auch den heutigen moralinsauren Dampfplauderern genügt?

Nein, diese Diskussion, die morgen sicherlich wieder ausbrechen wird, ist an Bigotterie und pseudo-moralischer Selbstüberhöhung nicht zu überbieten.

3 Gedanken zu “Alle Jahre wieder

  1. Sagen wir mal so:

    Sich über jemanden zu erheben, den man weder persönlich kannte noch die Umstände, unter denen er lebte, ist freilich abgehoben und billig. Vergleiche der verschiedenen Widerstandsgruppen oder Einzelner sind genauso witzlos wie das Aufrechnen von Toten bei Kriegen oder in Diktaturen, da ist jeder zuviel.

    Die Kritik an Stauffenberg und der Gruppe um ihn bleibt halt trotzdem, dass er dem Gröfaz erst entgegentrat, als offensichtlich wurde, dass dieser Krieg nicht mehr zu gewinnen war und daher auch aus militärischer Sicht der zusammengeschwiemelte Endzeitschnulli nur noch in weiteren sinnlosen Menschenleben endet. Das macht seinen Einsatz nicht weniger mutig, sollte aber immer im Bewusstsein bleiben. Immerhin strebten sie auch eine Fortsetzung der Weimarer Republik im demokratischen Zusammenspiel mit den vorherigen Parteien und Politikern an.

    Was so die Nie-Sager betrifft, hat man bereits während der letzten Jahre gesehen, wie schnell sich da manche zu Widerständlern gerieren und wie dünn dabei das zivilisatorische Eis sein kann, wenn dann das Modell Faschismus 2.0=AfD die „Option“ ist.

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  2. Zu meiner Schulzeit in den 70ern und 80ern wurde Stauffenberg nur als strahlender Held dargestellt. Kritik an ihm kam nicht vor. Ich habe erst nach der Schule den Hintergrund von Stauffenberg und dem Attentat gelernt. Eventuell rührt nicht nur bei mir die Abneigung gegen die Erhöhung des Attentats und der Attentäter daher, von der Verschweigung eines Teils der Fakten.

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  3. Dieses ,,Ranking“ der Attentäter gibt es ja auch von offizieller Seite, denn Elser wird nicht so gefeiert wie von Stauffenberg.

    Für mich hat die Geschichte um die Widerständler des 20. Juli so ein Geschmäckle, weil das alles Karrieristen waren, die übrigens auch an Kriegsverbrechen aktiv beteiligt waren. Als es dann mit dem Krieg nicht mehr so lief, haben sie plötzlich ihre Menschlichkeit entdeckt.

    Natürlich hast Du Recht: Sie haben viel riskiert, um das Morden zu beenden und das sollte man nicht vergessen.

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