5 Mythen über Ignaz Semmelweis – Debunked

Um den österreichisch-ungarischen Gynäkologen Ignaz Semmelweis ranken sich zahlreiche Mythen und Legenden. Manche vom Ausmaß größer, manche vom Ausmaß kleiner, aber Ihnen allen ist gleich, dass sie sich im „Volksgedächtnis“ festgesetzt haben und dass sie von den Verehrern von Semmelweis gepflegt werden. Spätestens mit dem DEFA-Film „Semmelweis – Retter der Mütter“ aus dem Jahre 1950 mit einem charismatischen Karl Paryla in der Hauptrolle, sind diese Mythen festzementiert.

Der ungarische Medizinhistoriker József Antall schrieb hierzu: Wo beginnt die Überschreitung der Ehrengrenze? Dort, wo falsche Einschätzungen ohne nachgewiesene und belegte Quellen vorgenommen werden. Wenn unbewiesene Annahmen als bewiesene Tatsachen dargestellt werden. Wenn wissenschaftliche Sachverhalte als völlig unbeweisbare, unbewiesene Behauptungen dargestellt werden oder wenn Semmelweis Zeitgenossen zu Unrecht beschuldigt werden. Das Gebot unserer Beurteilung kann nur sein, den Unterschied zwischen eindeutig bewiesenen, eindeutig verworfenen und plausiblen Hypothesen auf der Grundlage des vorhandenen Quellenmaterials und der vielfältigen Ideen logischer Kombinationen festzustellen und als solche darzustellen. Die Frage, was als offen anstößig oder taktvoll verschwiegen empfunden wird, ist eher eine Frage der Etikette als der Ethik; nicht die wissenschaftliche Methodik, sondern der „gesunde Menschenverstand“ der jeweiligen Zeit ist der Maßstab. Das Gleiche gilt für Werke, die mit Werberummel und journalistischen Wendungen geschrieben werden. Auf wissenschaftliche Korrektheit und die eigene Berufsethik, die dem eigenen Alter und der eigenen Peergroup entspricht, kann man sich verlassen, wenn man der Äußerung gegensätzlicher Ansichten zu einem so lange diskutierten Thema wie Semmelweis‘ Krankheit und Tod Raum gibt. [1]

Mythen und Legenden nutzen in der Forschung nichts, egal, welche Leistungen eine Person zu Lebzeiten erbracht hat. Von daher sollen an dieser Stelle die größten Mythen, die sich um Semmelweis ranken, richtiggestellt werden. Hauptsächlich entstammen die Semmelweis-Mythen schludrigen Recherchen in oberflächlichen Sachbüchern oder der Romantisierung durch Romane und Filme. Wenn man sich allerdings die Mühe macht, und ernsthaft in die Thematik einsteigt, erfährt man die ganze Geschichte.

Mythos 1: Semmelweis war ein großer Verfechter der Revolution von 1848 und hat deshalb die Professur in Wien nicht erhalten.

Tatsache: Es gibt keinerlei überlieferte mündliche oder schriftlichen Äußerungen von Semmelweis zur Revolution von 1848. Semmelweis ist auch sonst in keiner Weise im Revolutionsgeschehen in Erscheinung getreten. Tatsächlich waren Brüder von Semmelweis in das Revolutionsgeschehen von 1848 verwickelt waren und hierfür auch bestraft wurden. Dies allerdings nicht im österreichischen Reichsteil, sondern im ungarischen. [2]

Mythos 2: Es wird oft gesagt, dass Semmelweis einfach nur das Händewaschen propagierte, ohne die wissenschaftlichen Grundlagen zu erklären.

Tatsache: In Wirklichkeit war er sich der Bedeutung von Keimen und Infektionen nicht bewusst, da die Mikrobiologie zu seiner Zeit noch nicht entwickelt war. Er beobachtete jedoch, dass die Sterblichkeitsrate bei Wöchnerinnen sank, wenn Ärzte und Hebammen sich die Hände wuschen. Seine Studie hierzu war allerdings ein wichtiger Baustein für die Forschung. [2,3]

Mythos 3: Es gibt die Vorstellung, dass Semmelweis von der medizinischen Gemeinschaft vollständig abgelehnt wurde und er einen heldenhaften Kampf gegen das ärztliche Establishment führen musste

Tatsache: Semmelweis hatte zahlreiche Unterstützer in der medizinischen Gemeinschaft. Ein großer Kritikpunkt an seiner Arbeit war aber, dass er selbst einer jahrelang einer wissenschaftlichen Diskussion auswich und die Verteidigung seiner Thesen seinen Unterstützern, hauptsächlich Ferdinand von Hebra, überließ. Nachdem er dies selbst in einigen Vorträgen und vor allem in seinem Buch „Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers“, das 1861 erschien, konnte er zahlreiche seiner Kritiker überzeugen. Selbst Rudolf Virchow, vorher einer seiner vehementesten Kritiker, änderte seine Meinung. Man muss aber auch sagen, dass sich Semmelweis in der Verteidigung seiner Thesen oft äußerst undiplomatisch und rüde verhalten hat, was eine gewisse Ablehnung durchaus begründen könnte. [2,3]

Mythos 4: Oft wird Semmelweis als der alleinige Erfinder der Händehygiene dargestellt

Tatsache: Zur Zeit von Ignaz Semmelweis, gab es mehrere Wissenschaftler und Mediziner, die ebenfalls an der Verbesserung der Hygienepraktiken in der Medizin arbeiteten. Besonders hervorzuheben ist Joseph Lister, der einige Jahre später, in den 1860er Jahren, die antiseptische Chirurgie einführte und die Bedeutung der Desinfektion in der Chirurgie betonte. Auch andere Mediziner und Forscher trugen zur Entwicklung von Hygienestandards bei, jedoch war Semmelweis einer der ersten, der die direkte Verbindung zwischen Händewaschen und der Reduzierung von Infektionen in der Geburtshilfe aufzeigte.

Mythos 5: Ignaz Semmelweis wurde von seinen Gegnern für verrückt erklärt, in eine Irrenanstalt gesperrt und dort ermordet

Tatsache: Ab 1865 zeigten sich bei Semmelweis immer stärker werdende psychische Störungen, die sein Berufs- und Familienleben teilweise massiv beeinträchtigten. Welche Krankheit hier zu Grunde lag, kann heute natürlich nicht mehr genau festgestellt werden, aber anhand der geschilderten Symptome geht man heute entweder von Alzheimer, einer Posttraumatic Stress Disorder (PTSD) oder Neurosyphilis aus.
Semmelweis war sich seiner psychischen Erkrankung übrigens sehr gut bewusst. Gegenüber seiner Familie und seinen Freunden sprach er oft davon, dass er ein „armer, kranker Kerl“ sei, dem „im Kopf was fehlt“. Auch mit der von Ferdinand von Hebra (einem seiner engsten Freunde und Förderer) arrangierten Einweisung in die „Landesirrenanstalt Döbling“ war er einverstanden.
Dort verschlechterte sich sein Zustand allerdings rapide. Seine Krankenakte berichtet hier unter anderem von plötzlichen, starken Tobsuchtsanfällen, die von den Wärtern gebändigt werden mussten. Eine Exhumierung und Untersuchung seines Leichnams im Jahr 1963 brachte zahlreiche Frakturen an Armen und Brustkorb zutage. Wahrscheinlich sollte die 1865 offiziell angegebene Todesursache „Gehirnlähmung“ nur das brutale Vorgehen der Wärter vertuschen. [1, 2, 3, 4, 5, 6]

Quellen

[1] Antall, József: Semmelweis betegsége és halála. In: Orvostörténeti Közlemények. 24(1978), H. 1-2. S. 9-22.

[2] Carter, K. Codell; Carter, Barbara R.: Childbed fever. A scientific biography of Ignaz Semmelweis. Piscataway: Transaction Publishers, 2005.

[3] Hegar, Alfred: Ignaz Philipp Semmelweiss. Freiburg: Mohr, 1882.

[4] Carter, K.C.; Abbott, S.; Siebach, J.L.: Five documents relating to the final illness and death of Ignaz Semmelweis. In: Bulletin of the history of medicine. 69(1995), H. 2. S. 255–270.

[5] Némethy, Ferenc: Semelweis bécsi kórtörténete és a hozzá csatolt iratok. In: Orvostörténeti Közlemények. 24(1978), H. 1-2. S. 23-92.

[6] Silló-Seidl, Georg: Publikátan és újonnan flefedezett Semmelweis-dokumentumok. In: Orvostörténeti Közlemények. 24(1978), H. 1-2. S. 187-210.

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