Das Massaker von Fort William Henry oder der echte Lederstrumpf

Cooper-Offterdinger

Es war eine Eigenthümlichkeit der Kriege, welche in den Kolonien Nordamerikas geführt wurden, daß die Mühseligkeiten und Gefahren der Wildnisse zu bestehen waren, ehe noch die feindlichen Heere sich begegnen konnten. Ein breiter Gürtel von scheinbar undurchdringlichen Wäldern trennte die Besitzungen der feindlichen Provinzen von Frankreich und England. Der kühne Pflanzer und der geübte Europäer, der an seiner Seite focht, kämpften oft Monate lang mit reißenden Waldströmen, oder suchten rauhe Gebirgspässe gangbar zu machen, um Gelegenheit zu finden, ihren Muth in mehr kriegerischem Kampfe zu zeigen. Aber wetteifernd mit der Ausdauer und Selbstverläugnung der erfahrenen eingebornen Krieger lernten sie jede Schwierigkeit überwinden; und es wollte scheinen, daß mit der Zeit kein Winkel in den Waldungen so finster, kein Versteck so abgelegen wäre, in den sie nicht zu dringen wagten, die ihr Blut verpfändet hatten, ihre Rache zu sättigen, oder der kalten, selbstsüchtigen Politik entfernter Monarchen Europas Geltung zu verschaffen. Quelle

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Mit diesen Sätzen beginnt eine der wohl bekanntesten Indianererzählungen. Es ist „Der letzte Mohikaner“ aus der Feder von James Fenimore Cooper, die seit 1826 tausende von Lesern begeisterte. Nur wenige wissen aber, dass sich dieser Roman auf zwei tatsächliche Begebenheiten stützt.

Der erste Teil der Handlung bezieht sich auf die Belagerung des Forts William Henry im Franzosen- und Indianerkrieg der Jahre 1754 bis 1763. Mir sei erlaubt, die Truppenbewegungen und sonstige Begebenheiten, die zu dieser Belagerung führten zu überspringen und gleich an den Schauplatz zu gehen.

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Es war der August des Jahres 1757, als das Fort William Henry am Ufer des Lake George mit 2.200 britischen Soldaten und amerikanischen Milizionären gehalten wurde, als der Marquis Louis-Joseph de Montcalm mit 8.000 Mann (3.000 Mann reguläre Truppen, 3.000 Mann Miliz, 2.000 Indianer) gegen das Fort zogen, um es zu erobern.

Befehligt wurden die belagerten Truppen durch Lieutenant Colonel George Monro, der im Jahr 1700 in Clonfin in Irland geboren wurde. Monro wurde im Lederstrumpf „Munro“ genannt, wobei seine Töchter eine Erfindung von Cooper waren. Tatsächlich hatte er eine Tochter und zwei Söhne. Monro starb auch nicht während der Belagerung, sondern für einen Soldaten recht unspektakulär am 3. November 1757 an Herzversagen.

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Auf der anderen Seite stand Colonel Louis Joseph de Montcalm-Gozon, Marquis de Saint-Véran, der am 28. Februar 1712 auf Château de Candiac bei Nimes in Frankreich geboren wurde. 1729 kaufte ihm sein Vater ein Capitaines-Patent der französischen Armee und war seitdem Berufssoldat, der sich in zahlreichen Feldzügen bewährte. 1756 wurde er mit seiner Truppe nach Nordamerika geschickt, wo er im Kampf gegen die Briten zahlreiche Erfolge verbuchen konnte. Montcalm starb am 13. September 1759 bei einem voreiligen Angriff der britischen Truppen zur Verteidigung von Québec.

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Natürlich war die Belagerung von Fort William Henry für die Verteidiger eine aussichtslose Angelegenheit. 8.000 Belagerer standen 2.200 Verteidigern mit begrenzten Vorräten gegenüber. Gerade die Versorgungssituation war angespannt, da sich natürlich auch zahlreiche Zivilisten ins Fort geflüchtet hatten.

Die Franzosen waren gut mit Artillerie ausgestattet und begannen mit einem schweren Beschuss des Forts, den die Verteidiger aushalten mussten. Mehrfach bat er General Daniel Webb um Entsatz. Dessen letztendliche Absage erreichte Monro erst, nachdem sie den Franzosen in die Hände gefallen war. Da diese nun auch um die auswegslose Lage der Briten wussten, blieb Monro nichts anderes übrig, als mit Montcalm über die Kapitulation zu verhandeln.

Was dann geschah, wollen wir uns aus einer zeitgenössischen deutschen Quelle anhören: Dieser Vertrag, welcher am neunten August von den Befehlshabern beider Theile in den Laufgräben vor William Henry unterzeichnet wurde, schien die Engländer hinreichend für ihre kurzen Leiden und Besorgnisse zu entschädigen. Nur allzubald wurden sie aber aus trauriger Erfahrung überzeugt, dass Montcalm’s Schreiben, welches dem Obristen Monro gleich zu Anfang der Belagerung zugeschickt wurde, keine leeren Drohungen enthielt. Unmittelbar nach der Uibergabe des Fort hörte ein englischer Officier, dass der Anführer der Wilden dem französischen Befehlshaber die bittersten Vorwürfe machte. Er schalt ihm einen Lügner und treulosen Mann, der sein Versprechen nicht halte, und die zugesagte Plünderung der Besatzung verhindere. Er bestehe darauf, sagte er, dass dieser Punkt erfüllt werden müsse, und würde sich mit feinen Landsleuten selbst Genugthuung verschaffen, wenn Montcalm die Engländer in Schutz nehmen wolle. Nach diesem Wortstreite fielen die blutdürstigen Unmenschen sogleich über die wehrlosen Engländer her, und verübten Greuel, bei deren Erzählung sich die menschliche Natur entsetzt. Officiere sowohl als Gemeine wurden aus Reihe und Glied gerissen, und ohne Barmherzigkeit vor den Augen ihrer Freunde skalpirt. Alle in dem Fort befindliche englische Wilden und Negern wurden entweder todtgeschlagen oder zur immerwährenden Knechtschaft verdammt. Allen Weibspersonen wurde die Gurgel abgeschnitten, der Leib aufgerissen und das Eingeweide ins Antlitz geworfen. Kinder wurden bei den Füssen genommen, und so lange mit den Köpfen an Bäume oder Felsenstücke geschleudert, bis das Gehirn durch den zerschmetterten Schedel drang. Kurz, es war ein Mordfest, dergleichen der zum Tyger gewordene Wilde in seinen grausenvollen Einöden vielleicht seit Jahrhunderten nicht feierte. Tausend drei hundert Menschen, ohne Weiber, Kinder, und andere zum Tross gehörige Personen, mussten an diesem greulichen Tage unter dem Schlachtmesser bluten. Von der ganzen Besatzung wurden nur neun hundert Mann gerettet. Drei hundert derselben hatten sich den Franzosen in die Hände geworfen, und sechs hundert waren im ersten Getümmel nach Fort Edward geflohen. Viel Mühe kostete es diesen leztern dem Tode zu entrinnen, denn sie wurden von den nachsetzenden Wilden eine Strecke von sieben englischen Meilen verfolgt.

Dieser Bericht ist 1757 unter dem Titel Die Einnahme Des Fort William Henry In Nordamerika Von Den Königlich Französischen Truppen Unter Anführung Des Marquis von Montcalm im August 1757. erschienen. Die Kollegen der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden stellen diesen Bericht übrigens hier als vollständiges Digitalisat zur Verfügung.

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Aber kommen wir zurück in die historische Realität. Der Marquis de Montcalm gewährte den Briten höchst ehrenvolle und großzügige Kapitulationsbedingungen und ließen sie unbehelligt abziehen. Damit waren die eingeborenen Hilfstruppen nicht einverstanden, war ihnen doch vorher großzügige Kriegsbeute versprochen worden, und griffen die abziehenden Briten an. Viele wurden getötet, ausgeraubt und gefangen genommen. Von den 1.300 bis 1.500 Toten, die in zeitgenössischen Quellen genannt werden, ist die Realität weit entfernt, wo es tatsächlich zwischen 70 und 180 Getötete waren. Was natürlich auch schon zuviel war. Montcalm selbst versuchte auch, das Massaker zu stoppen, was ihm allerdings nicht gelang. Hier sieht man wieder sehr schön, wie ausgeprägt und nachhaltig schon damals die Kriegspropaganda war.

Nun folgt im Roman von Cooper die Entführung der beiden Töchter des Colonel Munro durch die Huronen. Nachdem der reale Monro nun nur eine Tochter und zwei Söhne hat, drängt sich der Verdacht auf, dass das so nicht ganz stimmen kann. Und da trügt die Ahnung auch nicht. Tatsächlich wurden Töchter entführt, aber nicht die von Lt.-Col. Monro, sondern die des bekannten Waldläufers Daniel Boone.

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Daniel Boone wurde – je nachdem welchen Kalender wir anschauen – am 22. Oktober (julianisch) oder 2. November (gregorianisch) 1734 in Birdsboro, Pennsylvania geboren. Boone war Pionier, Jäger und Forscher. So wagte er sich als einer der ersten Weißen in die Blue Ridge Mountains vor, erforschte Kentucky und Tennessee, gründete die Stadt Boonesborough in Kentucky und klöppelte Spitzendeckchen äääh kämpfte gegen Briten und Indianer. Und in diese Zeit fiel auch die Episode aus Boones Lebens, die James Fenimore Cooper im Lederstrumpf seinen Colonel Munro anhängte. Seine Tochter Jemima und die Schwestern Betsey und Fanny Callaway wurden von den Indianern entführt.

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The rescue of Jemima Boone and Betsey and Fanny Callaway, kidnapped from Boonesborough by Indians in July 1776. A. Crafts, Pioneers in the Settlement of America (Boston, 1877)

Es begab sich also am 14. Juli 1776, dass sich Jemima Boone mit ihren Freundinnen Betsey und Fanny Callaway außerhalb von Boonesborough aufhielten und dort von Indianern gefangen genommen wurden. Die drei Teenager wurden in Richtung Norden, nach Ohio verschleppt, wo sich die großen Shawnee-Siedlungen befanden. Daniel Boone verfolgte die Gruppe zusammen mit anderen Männern aus

Boonesborough und traf zwei Tage später auf die Indianer, als diese gerade eine Essenspause machten.

Boone und seine Männer konnte die Mädchen durch einen Überraschungsangriff befreien und mit ihnen zurück in ihre Heimatstadt flüchten. Dies ist eine der bekanntesten Episoden aus Daniel Boones Leben, eben nicht zuletzt durch die Darstellung in Coopers letztem Mohikaner.

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Der Lederstrumpf ist ja eigentlich kein einzelner Roman, sondern eine Romanreihe, die das Leben des Waldläufers Nathaniel Bumppo im Mittelpunkt hat. Sie besteht aus den Romanen

  • Die Ansiedler (The Pioneers; Or The Sources of the Susquehanna. A Descriptive Tale, 1823)
  • Der letzte Mohikaner (The Last of the Mohicans. A Narrative of 1757., 1826)
  • Die Prärie (The Prairie, 1827)
  • Der Pfadfinder (The Pathfinder; Or The Inland Sea, 1840)
  • Der Wildtöter (The Deerslayer, Or The First War Path, 1841)
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