Was passiert, wenn Napoleon zu Besuch kommt…

Ich habe in letzter Zeit ein bisschen nachgedacht. Wir lesen ja eigentlich immer Bücher, in denen wir die Geschichten aus der Sicht der Soldaten und Matrosen etc. sehen. Was mich aber mal interessiert hat war, wie das Leben der „einfachen Leute“, die also nicht aktiv ins Kriegsgeschehen eingebunden waren, zu „unserer Zeit“ aussah. Nachdem die Stadt Kronach im Herbst 1806 im Durchmarschgebiet für den Feldzug gegen Preußen lag und von Napoleon besucht wurde, sind die Vorkommnisse dieses Jahres recht gut dokumentiert, von daher habe ich mir mal die Quellen aus der damaligen Zeit angesehen. Was ich hier gefunden habe, möchte ich gerne mit euch teilen.

Zur Ausgangslage: Napoleon hatte 1806 seine Armee im fränkischen Raum um Bamberg herum zusammengezogen, um sie in drei Heersäulen gegen Preußen vorstoßen zu lassen. Die Hauptarmee marschierte unter Murat und Bernadotte über Bamberg, Lichtenfels, Kronach, Lobenstein und Ebersdorf. Der linke Flügel marschierte unter dem Kommando der Marschälle Lannes und Augerau von Bamberg über Schweinfurt und Coburg und der rechte Flügel unter den Marschällen Soult und Ney über Bayreuth, Hof und Plauen.  Nach kleineren Gefechten bei Schleiz und Saalfeld kam es dann zur großen Schlacht bei Jena und Auerstedt.

Aber kommen wir zurück nach Kronach. Bereits im August 1806 besuchten französische „Quartiermacher“ die Stadt ihre Umgebung. Sie interessierten sich nicht nur für die Festung Rosenberg und ihre Garnison, sondern auch für die „Gesinnung des Volkes“ und natürlich für Einquartierungsmöglichkeiten. Am 8. August traf das 4. Husarenregiment des Korps Bernadotte („rothe Husaren“) in Kronach ein und blieb zehn Tage hier. Am 8. September folgte das 5. Husarenregiment („weiße Husaren“), welches bis zum 27. September blieb. In beiden Fällen wurde das Offizierskorps in der Stadt, die Mannschaften in den umliegenden Dörfern einquartiert.

Zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung recht gut, die Franzosen, von Natur lebhaft, freundlich und gesellig waren […] bemüht, die Deutschen durch ihren Umgang zu gewinnen. Die Offiziere traten mit den Bürgern in freundschaftliche Verhältnisse, veranstalteten Tänze und Bälle, welche letztere hier etwas Neues waren, zogen die Offiziere der Festung, die königl. Beamten, und die bürgerlichen Stadtvorstände nebst deren Frauen und Töchtern zu Tafel, machten dabei selbst die Honneurs und sichten sich besonders durch zuvorkommende Höflichkeit bei den Frauen in Gunst zu setzen. […] Um auch bei dem Volke einerseits die gegen sie als Ausländer und vormalige Feinde etwa noch obwaltende Abneigung in freundschaftliche Zuneigung zu verwandeln, andererseits die Quartierlast lieber ertragen und die kostspielige Verpflegung leichter vergessen zu machen, wurde auch dieses zu vergnügen gesucht. Gymnastische und andere Spiele wurden im Freien, besonders auf der Hofwiese, zur allgemeinen Volksbelustigung vorgenommen. […] Die Kosten zu den geselligen Unterhaltungen und Vergnügungsspielen mußte die Stadt bestreiten; ‚sie seien zum Schutze des Landes da, sagten die Franzosen, und hätten somit gerechte Ansprüche darauf.‘(1)

So volksfreundlich sich auch hier das französische Militär zeigte, so galant es sich einerseits benahm, so waren doch auch andererseits seine Ansprüche im Hause, wie bekannt ist, sehr prätenziös. Der Franzose forderte gute und gut bereitete Kost, gutes Bier, Wein, Kaffee mit Arak, damals ein theurer Artikel! Solide Bedienung, und vor Allem gehörigen Respekt. Ja noch eher verzieh er einen Fehler gegen Kost und Bedienung, als gegen den Respekt seiner Person oder seiner Nation. Dagegen war er wieder höflich; denn auch der gemeine Mann besaß Bildung im Umgange. (1)

Mittlerweile wurden immer mehr Truppen im Raum Bamberg zusammengezogen und es wurde bekannt, dass das preußisch-sächsische Heer sich am Rande des Thüringer Waldes in Stellung begab. Somit herrschte unter der Kronacher Bevölkerung allgemeine Besorgnis, dass man unmittelbar vom Schlachtgeschehen betroffen würde.

Am 30. September „Nachmittags 1 Uhr“ traf General Antoine de Lasalle in Kronach ein und nahm Quartier im Pfarrhof. Im Laufe der nächsten Tage kam seine gesamte Division und wurde im Amtsbezirk verteilt. Lasalle war zwar ein sehr leutseliger und freundlicher Mann, wird aber auch als gebieterisch, stolz und anspruchsvoll beschrieben. Es ist überliefert, was Lasalle und sein Stab aus sieben Offizieren alles innerhalb von nur sechs Tagen vernichteten:

– 79 Flaschen Steinwein
– 10 Flaschen Burgunder
– 13 Flaschen Malaga
– 5 Flaschen Muskatella
– 2 Flaschen Likör
– 15 Flaschen Arak
– 1 Flasche Champagner
– 212 ¾ Maß alten Wertheimer Wein
– 10 französische Kartenspiele

Insgesamt eine Rechnung in Höhe von 508 Gulden, wobei hier das Essen noch nicht mit eingerechnet ist. Zum Vergleich: der Messner der Pfarrkirche erhielt im Jahr 1806 ein Jahresgehalt von 237 Gulden. Lasalle wollte seine Rechnung zwar bezahlen, wollte sich aber das Geld hierzu vom kgl.-bayer. Rentamt (Finanzamt) auszahlen lassen, wieder mit der Begründung, „daß er zum Schutze Bayerns da sei“. Hier biss er bei den bayerischen Beamten allerdings auf Granit und so prellte er seine Zeche einfach.

Der Aufmarsch der französischen Prominenz ging am 5. Oktober weiter, hier erschienen „Prinz“ Murat und Marschall Bernadotte, um die Festung Rosenberg zu inspizieren. Einen Tag später erschien ein „General-Adjutant“, der die Ankunft Napoleons in Kronach ankündigte. Woraufhin Lasalle aus dem Pfarrhof ausquartiert wurde und sich in einer Landgemeinde einquartierte, wo er sich auch mit Lebensmitteln versehen sollte. Er ging aber hierbei, wie auch anderwärts, zu weit, indem er an Wein, Geflügel, Zucker, Kaffee u. s. w. mitnehmen ließ, soviel er dessen bekommen konnte, und, wie sich verstand Alles unter dem Namen eines Beschützers von Bayern. Im gleichen Sinne handelten seine Husaren; gerade als wenn keine Durchmärsche mehr zu erwarten gewesen wären.(1)

An diesem Tag begann auch der Durchmarsch der französischen Truppen. Bis Dezember 1806 marschierten über 150.000 Soldaten und nochmal über 50.000 Mann Tross durch ein Gebiet, das selbst keine 40.000 Einwohner hatte. Nach den Schlachten bei Schleiz, Saalfeld, Jena und Auerstedt strömten dann zusätzlich die Verwundeten wieder zurück, die u. a. im Lazarett auf Rosenberg versorgt wurden. Auch sie mussten verköstigt werden. Natürlich war der Durchmarsch bis zum 10. Oktober am stärksten, dauerte aber ununterbrochen bis zum 20. Oktober an, danach gab es immer wieder Unterbrechungen, dauerte aber bis Mitte Dezember an.

Napoleon selbst hatte am 25. September 1806 Paris verlassen, war am 28. September in Mainz und kam am 6. Oktober über Würzburg in Bamberg an. Am 7. Oktober, „früh 5 Uhr“, traf dann in Kronach der Küchenwagen mit Personal ein und gegen 11 Uhr Napoleon selbst. Das anwesende französische Militär und die Bürger Kronachs bildeten Spaliere. Unter dem Wirbel der Trommeln, dem Schalle der Musik der Regimenter und dem tausendstimmigen Vivatrufe der dichtgedrängten Menschenmenge fuhr er durchs bamberger Thor in die Stadt. Sechs Bauernpferde hatten, weil stattlichere ermangelten, den Kaiser der Franzosen und König von Italien nach Kronach ziehen dürfen. Fürst und Marschall Berthier saß an seiner Seite, der Mameluk Rouston auf dem Bock. (1)

Mit Napoleon trafen neben Fürst Berthier die bereits bekannten Herren Murat und Bernadotte in Kronach ein. Zwei Tage später übrigens folgten Jerome Bonaparte, Fürst Talleyrand und Marschall Lefèvre.

Nach seiner Ankunft empfing Napoleon im großen Saal des Pfarrhauses zuerst die Marschälle und Generäle und danach die höheren Beamten der örtlichen Behörden. Generaladjutant Rapp, der aus dem Elsass stammte, fungierte als Dolmetscher. Besonders den Landrichter Stöcker fragte der „Kaiser“ über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bezirks aus. So wollte er die Anzahl der Mühlen, Metzger, Bäcker etc. wissen. Die Angaben Stöckers überprüfte er in einem mehrere Zoll dicken geschriebenen Buche, welches auf dem Tische aufgeschlagen vor ihm lag, [es] war eine so ins Einzelne gehende Beschreibung der Umgegend, dergleichen man in keiner vaterländischen Geographie finden dürfte. Sie war die Arbeit seiner fleißigen und gut bezahlten Spione. (1)

Danach folgte eine Unterredung mit dem Bürgermeister und dem Stadtrat. Sie stellten bei Seiner Majestät die Bitte, daß die Stadt, die jetzt zur Verpflegung der durchziehenden großen Armee sehr in Anspruch genommen werde, bei ferneren Durchzügen geschont werden möchte. Der Kaiser war so gnädig zu erwiedern, ‚er könne ihnen zar hierin nicht willfahren, indem seine Truppen verpflegt werden müßten; es werde aber auf die Stadt Kronach bei der Entschädigung besondere Rücksicht genommen werden. Denn es werde für Alles, was seine Soldaten kosten, Ersatz geleistet‘. Was von diesem Versprechen tatsächlich eingelöst wurde, könnt ihr euch sicherlich vorstellen.  Napoleons Bruder Jerome bezeichnete bei seinem Besuch dieses Versprechen als „Hofkompliment“, auf das man nicht rechnen konnte und fragte den Bürgermeister, wie der Kaiser wohl im Stande sein solle, alles zu bezahlen, was die Verpflegung seiner Armee kostet.

Nach dem Mittagessen schloss sich eine Inspektion der Festung Rosenberg und des gegenüberliegenden Kreuzberges. 500 französische Soldaten und später noch einmal 1.000 bayerische Soldaten wurden als Besatzung auf der Festung einquartiert und für ein Dreivierteljahr verproviantiert. Brod, Mehl, Schlachtvieh, Tabak, Wein, Bier, Brandwein, Arzneien, Holz u. s. w. wurden hierauf im Ueberflusse aus der Umgebung herbeigeschafft. (1)

Als Napoleon zurück im Pfarrhof war, gab er die Befehle zum Beginn des Feldzuges. Knapp 30 Kuriere wurden an die Truppen gesandt, mit dem Befehl, am nächsten Tag vorzurücken. Hierzu wurden auch Murat und Bernadotte sofort an die Spitze ihrer Truppen beordert. Diese Tatsache war bald überall in Kronach bekannt. Ein Stadtrat erinnert sich, dass ein bei ihm einquartierter französischer Arzt direkt aus dem Pfarrhof zu ihm kam und erklärte ‚Hausherr, der Krieg ist erklärt, gerade sind die Befehle zum Angriffe der Feinde abgegangen. Die Truppen an der Grenze werden heute noch aufbrechen, morgen in aller Frühe wird der Kaiser abgehen.‘ (1) Am 8. Oktober 1806, kurz nach 2 Uhr nachts, verließ Napoleon Kronach.

Seitdem die Angriffsbefehle gegeben wurden, nahm der Truppendurchmarsch durch die Region natürlich enorm zu. Der Zug der gewaltigen Heersäule bot einen imposanten Anblick. Die sich fortwälzenden Menschenmassen glichen einem dahinwogenden Strom, einer bewaffneten Völkerwanderung. Man sah nichts wie Himmel und Soldaten. Im bunten Farbenspiel der Uniformen und in abwechselnder Folge der Waffengattungen reihte sich ununterbrochen Regiment an Regiment. […] Der Lärm der so vielen Tausenden erfüllte die Luft, drang in die Ohren und bis tief in die Seele. Hier erklangen in feierlicher Melodie begeisternde Nationalgesänge, dort ertönten lustige Spottgesänge auf die feindlichen Heerhaufen; hier durchkreuzten sich Kommandowörter mit dem Schreien der sich Forttreibenden, dort mischte sich das Foudern [Zetern] der Unzufriedenen mit dem Wiehern der Streitrosse; hier erzitterten die Fenster und Räume vom Hufschlag der Pferde, dort dröhnte der Boden unter dem Gerassel der Fuhrwagen, schwankten die Brücken unter der Schwere der Feuerschlünde. Furchtbar und schaudererregend war dieses Alles während der Nacht; denn bis spät in die Nacht blieb die Kolonne in Bewegung. Dann erst machten sie Halt und quartierten sich in der Stadt oder den umlegenden Ortschaften ein; was nicht untergebracht werden konnte, bivouakirte auf der Gasse, auf der Straße und auf freiem Felde. […] Es war ein großartiger Anblick, in einer solchen sternerhellten angenehmen Oktobernacht, den ganzen Rodachgrund entlang, so weit nur das Auge trug, alle die Tausende von Wachefeuern lodern zu sehen, die die Lagerstätten der ruhenden französischen Kriegsmannen beleuchteten, und in deren Widerschein sich der Himmel röthete! […] Hiezu kam das beständige Werdarufen der Wacheposten, das Antwortgeben der Patouillen, das Klirren der Waffen; dann gegen Morgen der von allen Seiten rollende Wirbel der Trommeln, das Schmettern der Trompeten, das Rufen der Hörner, die zum baldigen Wiederaufbruche weckten. […] Ein schöneres Schauspiel hat Kronach nie gesehen; aber auch nie ein größeres Schaugeld bezahlt! (1)

Auch die Situation in der Stadt wird drastisch geschildert: Die Stadt Kronach wurde in diesen Tagen von den Franzosen im eigentlichen Sinne des Wortes überschwemmt. Tag und Nacht wimmelten die Straßen und Häuser von Soldaten. Offiziere und Gemeine, Marschälle und Generäle eilten, bunt unter einander, von Hause zu Hause, von Straße zu Straße. In den Wohnungen waren Hausplätze und Stiegen, untere und obere Zimmer, Kammern und Böden mit Menschen angestopft. Zwanzig, fünfzig, achtzig, hundert Mann, ja ganze Kompagnieen, vom Tambour bis zum Hauptmann, sah man oft in ein Haus ziehen, und Alle hatte der Bürger zugleich zu beherbergen, zu bedienen, zu speisen, zu tränken! Da hieß es, das Fleisch in Kesseln übers Feuer setzen, das Brod in Körben herbeitragen, das Bier in Butten holen, den Kaffee in großen Töpfen sieden. In Parthieen zu zehn bis zwölf Mann aßen die Soldaten an großen Tischen und eilten, um der nächsten Parthie wieder Platz zu machen. Alle Hausleute hatten vollauf zu thun und zu laufen, keine Ruhe, keine Rast Tag und Nacht, selten eine Stunde den Genuß stärkenden Schlafes. Auch den Tag über dauerten die Einquartierungen. Denn welches Regiment gerade an dem Punkte Kronach der Erholung und Erfrischung bedürftig war, ging von der Straße ab in die Stadt, woselbst es einige Zeit rasten durfte und inzwischen verpflegt werden mußte. Das nahm kein Ende. So wie ein Regiment zu dem ein Thore hinaus war, trommelte oder blies oder spielte zum andern ein anderes herein, um gleiche Erfrischung zu genießen. Trafen mehrere Regimenter zusammen, so lagerten und kochten die letztern auf der Gasse ab. Auf dem Marktplatze brannte bei der Nacht Wache-, bei Tage Kochfeuer. Die hohen Stabsoffiziere mit ihrer Bedienung wurden gewöhnlich im Pfarrhofe, Landgerichte, Rent- und Forstamte, in der Post, den Apotheken, Gasthöfen und sonstigen größeren Bürgerhäusern einquartiert. (1)

Das Betragen der Franzosen in den Quartieren war auch dieses Mal im Ganzen nicht zu tadeln. Daß es bei einem so großen Zusammenflusse von Menschen nicht ganz ohne unangenehme Auftritte ablief, brachten die Umstände mit sich. Wenn der Soldat den ganzen Tag auf dem Marsche gewesen war und Abends in’s Quartier kam, so wollte er essen und trinken; fand er dieses nicht, wer konnte ihm verdenken, wenn er unwillig wurde und zu drohen begann. Eben so war es aber auch dem Quartierträger nicht zu verargen, wenn ihm die Geduld ausging, nachdem er gegeben, was er hatte, aber immer noch mehr herbeischaffen sollte und oft bei dem besten Willen nicht mehr zu befriedigen im Stande war. Auch war es ein schlechter Trost, wenn man bei jeder Klage über die großen Opfer, die man schon gebracht hatte, oder erst bringen sollte, vom Gemeinen wie vom Stabsoffiziere nur immer mit der feststehenden Antwort: ‚Es ist Krieg‘ abgespeist wurde. (1)

Sehr mißlich aber und mit vielem Verdrusse und vielen Unannehmlichkeiten verbunden war das Geschäft der Bürgermeister und der Rathsverwandten, welche die Vertheilung der Einquartierung und die Besorgung der Magazine unter sich hatten. Obschon im Einverständnisse mit den Quartiermachern waren sie, auch bei dem besten Willen und der unverdrossensten Thätigkeit, doch oft nicht im Stande und so glücklich, Quartiernehmer und Träger zugleich zu befriedigen. Letztere klagten häufig gegen Überlastung. Allein es war da nicht viele Widerrede mehr zu machen, wenn der Offizier im Zorne nach dem Säbel griff und mit einem donnernden Schreib! Gebot, das schon volle Quartier mit noch einer halben Kompagnie zu überfüllen. Nach schwieriger und gefährlicher war das Geschäft derer, welche die Magazine zu verwalten hatten. Es gehörte Erfindungsgabe dazu, auszukommen, wenn oft nur noch Vorrath von hunderte Rationen da war, und mit Ungestüm auf der Abgabe von Fourage für ein ganzes Regiment bestanden wurde. Es geschah aber auch, daß nur die schnellste und muthvollste Entschlossenheit vor augenscheinlicher Leibes- und Lebensgefahr zu retten vermochte. (1)

Trotz den starken Lieferungen von allen Seiten her wurden doch alle Lebensmittel in der Stadt aufgezehrt und mußten sehr theuer bezahlt werden. Schnell stiegen sie von den gewöhnlichen Preisen auf das Doppelte, Dreifache, Vierfache und noch höher, und waren dafür oft nicht mehr zu haben. Selbst französische Schutzwachen mußten vor den Schenken, Brodläden und Fleischbänken dem Andrange wehren und Ordnung handhaben. Die Bürger Kronachs litten bei diesem Durchmarsche, obschon der Franzose als Freund in ihr Haus trat, mehr, als durch alle Feinde der vorigen Jahrhunderte. Keiner konnte mehr etwas sein Eigenthum nennen oder über dasselbe als Hausherr verfügen; alle Habe, bewegliche und unbewegliche, war Gemeingut des französischen Soldaten. Natürlich waren Erschöpfung des Wohlstandes und selbst Verarmung mancher braven Bürgerfamilie die traurigen Folgen, die lange nicht verschwanden und vielleicht noch nicht verschwunden sind.(1)

Wie bereits ausgeführt, kamen nach den Schlachten von Schleiz, Saalfeld, Jena und Auerstedt auch preußische Gefangene und verwundete Franzosen in Kronach an. Diese Durchmärsche dauerten bis zum 22. Oktober 1806. Leider verfügen wir hier nicht über detaillierte Zahlen, aber die Gesamtanzahl dürfte zwischen 15.000 und 20.000 Mann betragen haben.

Der Chronist Häfner schreibt hierzu: Bald nach der Doppelschlacht kamen große Transporte preußischer Gefangener, von Franzosen eskortirt, in Kronach an. Die Offiziere wurden in Quartiere gelegt, die Gemeinen in die Pfarrkirche gesperrt, wo man sie zwar nicht allzuscharf beachte, so daß es Manchem glückte zu entkommen, aber auch für ihre Verpflegung geringe Sorge trug, so daß, wenn nicht von hiesigen Einwohnern Christenpflicht an ihnen geübt worden wäre, Viele dem Hungertode erlegen sein würden. Nachgenommenen Nachtlagern zogen sie immer wieder weiter. […] Auch viele verwundete Franzosen wurden hierher geliefert und dem hiesigen Spitale, das in ein französisches Lazareth umgeschaffen worden war, zur Heilung übergeben. Man staunte über die gefährlichen Operationen, welche die Militärärzte an den Verwundeten und Verstümmelten vornahmen. Eben so wurde auch das Lazareth auf der Festung Rosenberg mit blessirten und sonst erkrankten Soldaten angefüllt.(1)

Mit den weiteren Durchmärschen kamen auch deutsche, mit den Franzosen alliierte Truppen durch Kronach sowie die kaiserliche Garde zu Pferd unter Marschall Bessières. Hier gab es einige Probleme mit den 50 „Mamelucken“, die hierbei waren. Letztere zeigten sich als sehr böse Menschen. Unzufrieden mit den Quartieren, quälten sie den Bürger auf manchfache Weise. Man erzählt sich indeß von einem handfesten Metzger, daß er seinen Aegyptier also bändigte. Von ihm aufs Aergste geplagt und im Hause herumgetrieben, ergriff er unversehens eine Ofengabel, packte ihn damit am Halse und drückte ihn fest an die Mauer hin. Der arme Teufel durfte sich nicht rühren; denn des Metzgers gewaltiger Hund verwendete kein Auge von ihm, jede Bewegung mit Zusammenreißen bedrohend. Von seinem Halsringe endlich wieder freigelassen und seinen Meister anerkennend, ging der Mameluk ungesäumt und ruhig aus dem Quartiere. (1)

Erst am 26. November wurde der der französische Stadtkommandant von Kronach, Roize, mit seinem Stab zur Armee abberufen.

So sah die Situation in der Stadt Kronach aus, aber wie erging es der Bevölkerung in den Dörfern des Umlandes? Hier haben wir den eindrucksvollen Bericht des Johann Bauer, Bauernsohn aus Oberlangenstadt. Er schreibt in seinem Tagebuch(2):

Schon morgens ½ 1 Uhr durchzogen Artillerie, Infanterie und Kavallerie zugleich mit Drängen, Fluchen und Schreien die Straßen. Früh um 6 Uhr erschien die unter dem Davoutischen Korps befindliche Räuberbande, die zwei Stunden im Ort plünderte. Alles Geflügel, Getreide und andere Viktualien wurden geraubt. Mein Vater war gerade nicht zu Hause, denn die Einquartierung war morgens um 3 Uhr aufgebrochen. Er war bei unserem Nachbarn Pfadenhauer, einem Pächter, gerade von uns gegenüber der Straße wohnend. Diesem wollten sie ein junges Füllen mit wegführen, wo mein Vater bei den Franzosen mitbegütigte, es dem Nachbarn zu lassen. Allein nun sah er, welches Unglück seinem Hauswesen drohte. Er sprang durch das Militär über die Straße, erwischte einen Pfahl und hieb einen Franzosen, der aus dem hinter den Hause stehenden Backofeneinen Laib Brot stahl, so derb auf den Arm, daß dieser ihn in die Dungstätte fallen ließ und davon lief.

Unsere Mutter und wir, als wir im Orte das Geschrei vernahmen, schlossen sogleich die Türen zu und verkrochen uns auf den Boden. Allein hier waren wir auch nicht sicher. Die Franzosen versuchten einzubrechen und das Stoßen und Schmettern an allen Türen und Fenstern war so groß, daß Ziegeln vom Dache fielen. Als wir nun durch die Ritzen eines Bretterladens vom Boden in den Stadel schauten und sahen, wie die Franzosen das Getreide hinaus trugen und auf die an der Straße stehenden Wägen verluden; als wir sahen, wie sie aus dem Backofen 18 Laib Bord raubten, welches noch nicht ausgebacken war; als wir sogar unseren Vater, der mit einem Pfahl auf die in unserem Hofe befindlichen Franzosen schlug, in Gefahr sahen, da wurde unsere Angst und unser Jammergeschrei immer größer. In voller Verzweiflung sprangen wir vom Boden herunter und zur Tür hinaus, unsern Vater zu retten – und nun fielen die Banden hinein – und alles wurde genommen, Hühner, Gänse erschlagen, Tauben erschossen, alles Hausgeräte geraubt. Wir hatten jetzt kein Brod, Mehl, Salz noch Teller, Löffel, Messer und Gabel mehr. Zwar wehrte sich meine Mutter, und meine große Schwester riß einem mehrere Teller aus der Hand – allein das Ganze konnten wir nicht erhalten, und Stöße und Stiche erfolgten jedes Mal. In diesen grauenvollen Stunden war der Durchmarsch auf der Straße so stark, daß man glaubte die Wände an den Häusern werden fortgenommen. […]

Wir hatten keinen Bissen Bord mehr, alles war aufgezehrt. Oft stunden wir wie Schattenbilder hungrig und abgezehrt am Fenster oder im Hofe, wo uns dann die Franzosen von Mitleid ergriffen, Brod, Fleisch, Würste hinwarfen, denn sie teilten gerne mit den Armen – welches wir begierig aufhoben und verzehrten.

Trotzdem die Familie derart ausgeplündert wurde, musste sie zahlreiche Einquartierungen über sich ergehen lassen. In elf Tagen waren dies 500 Mann und 300 Pferde, die Verpflegt werden mussten.

Dies war aber nicht das „Ende der Fahnenstange“. Im Mai 1807 zogen einige tausend spanische Truppen, die mit den Franzosen verbündet waren, durch Kronach. Diese Spanier blieben den Kronachern in guter Erinnerung, da sie wohl sehr zurückhaltend, mäßig in ihren Forderungen und natürlich gut katholisch waren. So war eine ihrer größten Sorgen, dass sie in den protestantischen Norden Deutschlands marschieren mussten und fürchteten, wegen ihres Glaubens gehasst zu werden. Sie erwiesen sich dahier als fromme Christen. Mehrere, selbst Offiziere, sah man in der Klosterkirche knien und beten. Sie schieden mit Thränen aus derselben, als aus der letzten ander Grenze des katholischen Deutschlands.(1)

Einzig mit ihren französischen Verbündeten waren sie sich nicht grün, sie waren nicht gerne in demselben Quartiere beisammen und, traf sich dieses, so vertrugen sie sich selten gut miteinander. Der Grund lag nicht fern. Genanntes Hülfsheer forderte Napoleons Politik als Bürgen des bestehenden Bündnisses zwischen beiden Nationen, von welchem sich Spanien los zu sagen Miene gemacht hatte. Die Spanier betrachteten sich schon gewissermaßen als Gefangene, und in der That wurden sie auch von den Franzosen überall scharf beobachtet.(1)

Damit waren Stadt und Land aber noch nicht erlöst. Im Herbst 1807 zogen sich die Truppen wieder zurück und kamen wieder durch Kronach. Diese Durchzüge dauerten vom 24. November bis 18. Dezember und hier waren auch erstmals bayerische Truppen dabei, die beim Hinmarsch über Bayreuth und Hof aufmarschiert waren. Auch russische Gefangene gingen durch Kronach nach Norden. Der letzte große Durchmarsch erfolgte vom 20. bis 30. August 1808, als 30.000 Mann zurück marschierten. Mit diesen Truppen hatte die Bevölkerung allerdings noch mehr Mühe, ihre erfochtenen Siege hatten sie stolz gemacht. Sie waren viel anmaßender und anspruchsvoller geworden. Ja was noch mehr befremdete, selbst die sonst nüchternen französischen Offiziere gaben dießmal das Beispiel von Trunkenbolden und schwärmten oft bis tief in die Nacht in der Stadt herum! Auch hatte man seine Noth mit ihnen wegen Auswechselung des preußischen Geldes, das sie in Mengen mitbrachten, aber bei uns noch nicht gern angenommen wurde.(1)

Welches Resümee kann man für diese Jahre nun ziehen? Zahlreiche Kronacher Familien standen nach den Ausgaben für die Verpflegung und Unterbringung der Soldaten vor dem wirtschaftlichen Ruin. Es war ja nicht nur der finanzielle Aufwand für den Kauf der Verpflegung, der ja auch von den Bürgern getragen werden musste, sondern die Franzosen hatten ja auch alles an vorhandenen Lebendvieh, an Pferden, Enten, Schafen, Schweinen und Kühen gestohlen sowie auch Hausrat, den sie auf dem Marsch benötigten. Dazu kam der „normale“ Diebstahl von Wertgegenständen. Dies führte dazu, dass zahlreiche, bis dahin wohlhabende Familien vor dem finanziellen Aus standen, ihre Häuser verkaufen mussten oder Schulden aufnehmen mussten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese Familien brauchten mehr als eine Generation, um wieder auf die Füße zu kommen.

Es ist mindestens ein Mord während einer versuchten Vergewaltigung bekannt, als ein französischer Soldat eine Bürgerstochter erstach. Dies sollte auf Anweisung der bayerischen Behörden unter den Tisch gekehrt werden, blieb aber im kollektiven Gedächtnis erhalten. Die Streichungen sind heute noch in den Kirchenbüchern zu finden. Übrigens soll der Geist der jungen Frau und des Franzosen noch heute ab und an im Bereich unter der Festung „umgehen“. Hierfür sind aus den verschiedenen Jahrhunderten einige Augenzeugenberichte überliefert.

Die Dunkelziffer gerade bei Vergewaltigungen dürfte um einiges höher liegen. Gerade in den Landgemeinden, wo die Kontrolle durch Offiziere nicht so stark war, ist bekannt, wie „die Franzosen“ gehaust haben.

Wie war die Stimmung in der Bevölkerung? Liest man offizielle Quellen, war die Stimmung natürlich hervorragend und die Bevölkerung stand voll hinter ihren tapferen französischen Verbündeten, die Wirklichkeit sah etwas anders aus. Kronach gehörte bis zum Reichsdeputationshauptschluss zum Fürstbistum Bamberg und genoss dort zahlreiche Privilegien. Als die bayerische Herrschaft über die Stadt kam, wurden diese Privilegien durchaus brutal gestrichen. Von daher war die Stimmung recht angespannt; man hatte sich noch nicht richtig an die bayerische Herrschaft gewöhnt. Deshalb war auch die Haltung gegenüber den Franzosen etwas „reserviert“, kamen sie doch als Verbündete der Bayern ins Land. Während des Besuchs Napoleons zu Beginn der ganzen Affäre war natürlich eine gewisse Begeisterung in der Stadt zu spüren. Viel Lametta, prachtvolle Uniformen, Militärkapellen etc. das hatte schon was und begeisterte das Volk auch. Recht kühlte diese Begeisterung aber auch schnell wieder ab. Ein großer Teil der Bevölkerung sah es auch nicht gerne, dass man Franzosen im Kampf gegen andere deutsche Staaten unterstützte.

Literatur:

(1) Hafner, Johann Peter: Napoleon in Kronach: und Durchmarsch der französischen Armee auf dem Zuge gegen Preußen im Jahre 1806. Kronach, 1840.
(2) Pöhlmann, Heinrich: Eine Frankenchronik: Geschichte des Marktfleckens Küps vorm Frankenwalde mit Umgegend. Lichtenfels, 1909.
Bauer, Franz August: Denkschrift über die Anwesenheit des französischen Kaisers Napoleon im Pfarrhause zu Kronach 1806. Kronach, 1840.
Cölln, Friedrich von: Der Feldzug der Franzosen und alliirten nordischen Völker im Jahre 1806 und 1807: Erster Theil. Leipzig, 1809.
Die Feldzüge von 1806 und 1807: In einer historisch-politisch-militairischen Darstellung. 1807.
Höpfner, Eduard von: Der Krieg von 1806 und 1807. Erster Theil: Der Feldzug von 1806. Berlin, 1850.
Kolb, Georg Friedrich: Das Leben Napoleons. Speyer, 1840.
Schäfer, Alfred: Erzählgut und Volksglaube im Frankenwald: Erlebnissagen aus dem 20. Jahrhundert. Kronach, 1989.
Schlesinger, Gerhard: Napoleon in Kronach. Kulmbach, 1979.
Stöhr, Cölestin: Neue Chronick der Stadt Cronach. Kronach, 1825.