Onkel Michaels Weihnachtsspezial #1 – Das Geheimnis des Jägerschnitzels

Liebe Leser:innen,
eigentlich wollte ich mit meinem kleinen Adventskalender-Spezial schon ein bisschen eher starten, aber leider kamen nicht genügend Fragen hierfür, deshalb wird es nun einen Weihnachtscountdown bis zum 24. Dezember geben. Wäre ja auch schade um die eingegangenen Fragen. Also, here we go!
Herzliche Grüße
Euer Onkel Michael

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Der erste, der mir eine Frage geschickt hat, ist mein lieber Freund Tuktuk, bei Twitter besser bekannt als @Mithos1987 und wer Tuktuk kennt, der wird über seine Frage nicht verwundert sein:

Hallo Onkel,
Hier meine Frage. Ist ein echtes Jägerschnitzel eine Scheibe panierte Jagdwurst mit Spirelli und Tomatensauce oder mit Rigatoni und Tomatensauce? Wähle aus den beiden Antwortmöglichkeiten.
Dein treuer Leser,
Tuktuk

Nun, lieber Tuktuk, dies ist eine Frage, die so auf die Schnelle nicht zu beantworten ist, vor allem nicht mit zwei so beschränkten Antwortmöglichkeiten. Ich weiß natürlich, dass gerade bei Twitter die heftigsten Kleinkriege über das „echte“ Jägerschnitzel toben, aber in dieser Frage gibt es kein „richtig“ oder „falsch“. Schauen wir uns die Sache einmal genauer an.

Das Jägerschnitzel wurde in Frankreich erfunden und heißt dort Escalope chasseur. Woher der Name kommt, kann nicht geklärt werden, es ist aber anzunehmen, dass die Franzosen über die Assoziation Pilz -> Wald -> Jäger auf die Bezeichnung kamen. Die ersten Rezepte findet man in Kochbüchern des frühen 18. Jahrhunderts und es handelt sich um ein unpaniertes Kalbs- oder Schweinschnitzel mit einer Pilz-Sahnesauce (in verschiedenen Variationen, mit Tomatenmark, ohne, mit Champignons, Morcheln, Steinpilz, Fußpilz – die Möglichkeiten ist Legion, all das ist eine Frage des persönlichen Geschmacks). Schon bald kam dieses leckere Gericht – an dem sich auch der Onkel gerne gütlich tut – in die deutschen Länder. Dort stand es als „Jägerschnitzel“ oder „Schnitzel Jäger Art“ auf der Speisekarte. Und das übrigens überall. Es sind alte Speisekarten aus Mecklenburg, Baden, Hessen, Sachsen oder Bayern erhalten, in denen das Jägerschnitzel wie Eingangs beschrieben aufgeführt ist.

Erst mit dem erfolgreich verlorenen Zweiten Weltkrieg und der Teilung Deutschlands kam es auch in der Causa Jägerschnitzel zu einer Trennung.

Während es in Westdeutschland schon seit Anfang der 1950er Jahre keinen Mangel an den Zutaten für die klassische Variante des Jägerschnitzel gab, war dies in Ostdeutschland anders. Durch die sozialistische Planwirtschaft waren diese Zutaten knapp und so musste sich die Bevölkerung etwas neues einfallen lassen. Und das tat sie auch. Wer zuerst auf die Idee kam, Jagdwurst zu panieren und mit Nudeln in einer Tomatensauce zu servieren, konnte ich nicht eruieren, sicher ist aber nur, dass es bald einen Siegeszug besonders in den Kantinen und Schulmensen der DDR antrat. Aber schon hier zeigt sich, dass es das „richtige“ DDR-Jägerschnitzel nicht gibt. Es kamen genauso viele Varianten auf den Tisch, wie bei der klassischen Ausgabe. Manchmal wurde statt Jagdwurst auch Bierschinken genommen, was halt greifbar war, und die Beilagen waren ebenso vielfältig. Da gab es Kartoffelbrei, Letscho, Salzkartoffeln, Kartoffelsalat oder was weiß ich alles dazu.

Und ob die DDR-Bürger überhaupt die Erfinder dieses Gerichts sind, steht noch nicht einmal so fest, wie Heidi Driesner von NTV (HIER) schreibt: Eine ostdeutsche Erfindung ist die panierte und gebratene Jagdwurst wohl nicht. Der Name schon eher, obwohl der ja naheliegt mit „Jagd“ und „Jäger“. Die Bezeichnung des Gerichts ist nur verwirrend, wenn man nicht weiß, was drin steckt in der Panade. Italien-Fans kennen vielleicht ein ähnliches Gericht: „Mortadella fritta“, zum Beispiel in der Emilia eine beliebte Vorspeise aus Bolognas berühmtester Fleischwurst-Sorte.

Wir sehen: es gibt noch nicht einmal das „original“ DDR-Jägerschnitzel, also wäre es wohl besser zur Unterscheidung der beiden so unterschiedlichen Gerichte eher die Begriffe „Klassisches Jägerschnitzel“ und „Ost-Jägerschnitzel“ (oder „DDR-Jägerschnitzel“ oder was auch immer) benutzen.

Allgemein ist der Streit oder die Diskussion über die Benennung von Lebensmitteln doch recht müßig. Deutschland hat nicht nur eine große Vielfalt auf kulinarischem, sondern auch auf sprachlicher Ebene. Das liegt natürlich an der jahrhundertelangen Aufsplitterung der deutschen Länder. Ein Bayer wird nie den plattdeutsch sprechenden Küstenbewohner verstehen und der Schwabe und der Sachse verstehen sich auch nur bedingt, wenn beide in ihrem Heimatdialekt loslegen. Und daher kommen auch die vielfältigen Bezeichnungen für so manche Speise. Das Brathähnchen heißt hier Broiler, dort Göger. Das beliebteste Faschingsgebäck heißt hier Krapfen, dort Kreppel, dort Berliner Pfannkuchen. Keine dieser Bezeichnungen ist richtig und keine Bezeichnung ist falsch. Sich darüber zu echauffieren ist pure Energieverschwendung. Wir sollten diese Vielfalt eher als charmante Ergänzung unserer Dialekt- und Sprachkenntnisse sehen.

So, lieber Tuktuk, ich hoffe, dass ich Dir damit helfen konnte. Morgen gibt es auch wieder eine interessante Frage. Bleibt gespannt!

Beitragsbild: Von jcw1967 from Leeds, UK – Harewood House Victorian Christmas, 2017 (10), CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=78305886

4 Gedanken zu “Onkel Michaels Weihnachtsspezial #1 – Das Geheimnis des Jägerschnitzels

  1. Im Zusammenhang mit Fasching ist leider der Faschingskarpfen nicht erwähnt, der seit geraumer Zeit eine nicht unerhebliche Rolle im Berliner (!) Diskurs spielt.
    Ansonsten bleibt zu sagen: Es war nicht alles schlecht in der DDR, nur das sog. Jägerschnitzel.

  2. Ach, welch gute Abhandlung über das Jägerschnitzel! Sowohl über das klassische, als auch über das „real existierende“ …
    Etwas möchte ich noch zum klassischen Jägerschitzel betonen: wie im Beitrag richtig geschrieben, handelt es sich um ein UNPANIERTES Schnitzel – und nicht wie grausamer Weise meist anzutreffen auf eines, bei dem die im besten Fall knusprige Panierung von der Soße aufgematscht wird! Eine frevelhafte Tat! (als Koch musste ich immer wieder erleben, dass ein korrekt zubereitetes Jägerschnitzel vom Gast reklamiert wurde weil: nicht paniert … Grrr)

    Ob gerade das bei der sozialistischen Variante gewollt ist (hmm – Begründung?) entzieht sich meiner Kenntnis.

  3. @ thrindt:
    Genau diese Dinge haben mich davon abgehalten, den ehrwürdigen Beruf des Kochs zu erlernen. Ich bin stattdessen Psychiater geworden, kann den ganzen Tag klugscheißen und zu Hause kochen, was ich lustig bin…

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