Mimikry

Wenn ich jemanden, der mich schon länger kennt, erzähle, dass ich an Depressionen erkrankt bin und die mir sehr zusetzen, gibt es zumeist zwei Reaktionen. Die erste: „Ach nein, das glaube ich dir nicht! Du bist doch immer so fröhlich und lustig und hast für alle ein offenes Ohr“ und die zweite: „Ach nein, das glaube ich dir nicht! Du bist doch so ein gestandenes Mannsbild, da hat man doch keine Depressionen.“ Interessant übrigens, dass die zweite Antwort hauptsächlich von Frauen kommt. Gerne mit dem Zusatz „Depressionen sind doch was für uns hysterische Weibsbilder!“ (*)

Aber das ist halt so, bei Depressionen. Man funktioniert. Man lässt es sich nicht anmerken. Immer nett, immer freundlich. Und innen drin ist dann eine große Leere, die die Krankheit in einen hineingebrannt hat. Man kann sich zwar über nichts mehr freuen bzw. die positiven Gedanken sind bald wieder weg, aber alles Negative, jede negative Bemerkung, jede Kleinigkeit, die einem passiert, ist riesig und bleibt eine gefühlte Ewigkeit und immer kreisen die Gedanken herum. Meist abends, wenn man im Bett liegt, und ganz alleine mit sich und seinen Gedanken ist. Dann schleichen sie sich an, wie das Monster unter dem Bett, vor dem man als Kind Angst hatte. Aber die wirklichen Monster sind nicht unter dem Bett, sie sind im eigenen Kopf. Und jede, wirklich jede kleine Verletzung von anderen, so unbedeutend sie auch sei, rotiert in jeder kleinen Kleinigkeit im Kopf. Da können Dir auch hundert andere, positive oder schöne Dinge passiert sein, das ist vollkommen egal. Nur diese eine negative Sache zählt. Und sie wird dann groß und größer, ohne dass Du etwas machen kannst. Vergleichen kann man das, als wenn man besoffen ist. Und sich das Zimmer um dich dreht und du willst es anhalten, aber es dreht sich immer weiter und immer schneller. Nur ist man bei Depressionen halt nüchtern, aber das Karussell hört und hört nicht auf.

Und am nächsten Morgen, wenn man dann nach zwei, drei Stunden unruhigem Schlaf aufwacht und sich fühlt wie gerädert, dann zieht man nicht nur seinen Schlüpper und die Socken an, sondern auch sein Lächeln und seine Fröhlichkeit. Denn die Anderen sollen ja nichts merken. Du musst ja für andere da sein. Du musst.

Den meiner Meinung nach treffendsten Cartoon dazu hat 2012 Kristian Nygard auf Optipess veröffentlicht: L I N K

Und das hier passt auch gut, leider hab ich das ohne Quellenangabe in meine Twitter-Timeline gespült bekommen.

(*) NEIN, ich habe Frauen hier nicht hysterisch genannt, sondern nur Frauen zitiert, die über Frauen gesagt haben, dass Depressionen eher zu hysterischen Frauen passen würden.

4 Gedanken zu “Mimikry

  1. Sehr gut beschrieben.

    Ich finde, gerade uns „starken“ Menschen, die immer so fröhlich sind und alles im Griff haben, wird es abgesprochen und man bekommt die berühmten Kommentare wie „du musst einfach mehr rausgehen“ bzw „treibe Sport, dann geht es dir sofort besser“.

    Darauf reagiere ich inzwischen höchst allergisch und verbitte mir das.

    Ich gehe schon seit Jahren offen damit um, dass depressive Phasen immer mal wieder aufploppen und kann diesen Mist nicht mehr hören.

    Gute Freunde und Freundinnen wissen inzwischen, dass ich mich dann einigel und einfach nur Ruhe brauche, irgenwann krabbel ich auch wieder raus aus dem Loch.
    Aber nach meinem Zeitplan.

    Inzwischen verstehen es alle und als Rentnerin brauche ich mich – zumindest in der Firma – nicht mehr zu rechtfertigen, das hat mich immer am meisten genervt.

    Geholfen haben mir ein sehr guter Psychiater und eine wunderbare Therapeutin, die mich einige Jahre begleitet hat.

    Das erste, was sie mir beibrachte, war: sie müssen gar nichts!

    Das habe ich sehr verinnerlicht und es hat mein Leben leichter gemacht, ich bin weg von dem Anspruch, perfekt zu sein und zu funktionieren.

    Schaffe ich es heute nicht zu duschen, schaffe ich es vielleicht morgen.
    Dito Kochen, Spazierengehen etc.

    Simple like that.

  2. „dann zieht man nicht nur seinen Schlüpper und die Socken an, sondern auch sein Lächeln und seine Fröhlichkeit.“
    … Genau das (nur mit Schuhen und Maske) habe ich heute morgen auch mal wieder gedacht…

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