Gelesen: Roth/Strüber: Wie das Gehirn die Seele macht

„Warum musste sich die Materie den Qualen des Seins unterziehen?“

So formuliert Stephen Hawking die entscheidende Frage nach der Entstehung des Lebens. Zwei fundamentale Merkmale fallen sofort ins Auge: Leben besteht aus toter Materie und dieses Leben hat sich die Fähigkeit mit negativen Emotionen erkauft.

Wie aber ist die Lebendigkeit in die Materie gekommen? Das christliche Abendland beanspruchte lange Zeit für sich, die einzig wahre Antwort zu kennen. Jeder kennt die Geschichte: Gott spielte gerne mit der Erde. Der „Lehmklumpen“ bekam eine Form, die dem Schöpfer gefiel – und um die Materie zum Bewegen zu bekommen, blies er ihm seinen Odem (= Seele) ein. Adam (= der aus Erde Geschaffene) eroberte das Paradies mit Hilfe der göttlichen „Energie“.

Die Philosophen des alten Griechenlandes beschäftigten sich ausführlich mit der Psyche (das Wort stammt ja aus dem Wortschatz der griechischen Sprache) und entwickelten so nebenbei die duale Weltanschauung: auf der einen Seite Materie, auf der anderen Seite Geist. Die griechischen Denker fanden in der Vielfalt der Naturerscheinungen drei Seelen: die vegetative Seele als grundlegendes Lebensprinzip, die Tierseele und als höchste Stufe die Vernunftseele, die nur der Mensch besitzt.

Diese Denkmodelle werfen jede Menge Fragen auf, auf die die Menschheit noch wenige Antworten gefunden hat: Wo im Körper sitzt die Seele? Wie wirkt die Seele auf den Körper? Hat der Körper Einfluss auf die Seele? Sind Körper und Seele selbständige Einheiten (hier spricht man wissenschaftlich vom „psychophysischen Parallelismus“)? Ist die Seele unsterblich, unterliegt sie also nicht den Naturgesetzen?

Gerhard Roth hat mit seinem Buch: „Wie das Gehirn die Seele macht“ überzeugende Lösungsansätze geliefert und nachvollziehbare Modelle der seelischen Seinsweise skizziert. Zugegebenermaßen sollte der Leser anatomische, biologische und medizinische Vorkenntnisse mitbringen – aber sachte, der Autor bietet in seinen Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel eine verständliche Übersicht des Geschriebenen an.

Der Weg zur Erkenntnis über die Seele führt zur alles entscheidenden Frage: Wo sitzt denn die Seele? Das babylonische Sprachengewirr lässt sich kaum wiedergeben: Sitz im Gehirn, Sitz im Herzen, oder genauer: die vernunftbegabte Seele im Gehirn, der edelmütige Teil im Herzen und der triebhafte-begehrende Teil im Unterleib. Erst die experimentelle Hirnforschung zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab immer mehr Hinweise auf die Tatsache, dass das Gehirn bei vielen „seelischen“ Prozessen wie Bewusstsein, Denken, Vorstellen, Erinnern und Wollen eine entscheidende Rolle spielt. Aber wie hängt das „geistige“ Leben mit dem Gehirn zusammen?

Anfangs taten sich die Neurobiologen mit den Erklärungen der Zusammenhänge von Sinnesorganen und bewusster Wahrnehmung der Umwelt schwer. Wie kommt die Erregungsweiterleitung von den Sinnesorganen zum Gehirn und schließlich zum eigentlichen „Seelenorgan“ als Schnittstelle zwischen Gehirn und Seele? Wie entstehen eigentlich die unterschiedlichen Sinnesqualitäten (Hören, Sehen, Tasten, Riechen), wenn alle Reize über Nerven laufen? Wie verläuft die Integration der verschiedenen Sinneswahrnehmungen im Zusammenhang mit der höheren Hirnfunktion von Bewusstsein? Wie funktionieren Lernen und Gedächtnis?

Neurophysiologen gewannen Erkenntnisse über die Erregungsweiterleitung. Einfach ausgedrückt (und trotzdem verwirrend): Reize aus Umwelt und Körper verwandeln sich in elektrische Reize, die wiederum chemische Prozesse auslösen, die dann wieder in elektrische Erregungen umgewandelt zu werden, um schlussendlich im Zielorgan Gehirn anzukommen. Aufgepasst: Ob dem Auge ein saftiger Braten vorgesetzt wird, ob es eine schöne Landschaft erblickt, oder diese Zeilen gelesen werden – es werden immer dieselben Erregungsmuster erzeugt. Wieso „sieht“ das Gehirn dann doch die Gegenstände, die es sehen soll? Anfangs glaubte man, dass verschiedene Gehirnareale für die einzelnen Sinnesorgane zuständig sind – was sich sehr bald als Irrweg herausstellte.

Gerhard Roth fügt an dieser Stelle das Kapitel über die Anatomie des Gehirns ein, das wir getrost überschlagen können. Die Schlussfolgerungen aus diesen Ausführungen könnten nicht spannender sein: Wie hängen Psyche und Persönlichkeit zusammen? Wie entwickeln sich das Gehirn und die kindliche Psyche? Wie entstehen Emotionen und wie werden sie reguliert? Gibt es einen freien Willen? Die Antworten auf diese Fragen sorgen für Überraschungen.

Wenn es euch interessiert, bin ich bereit, weitere Artikel zu schreiben!

Bibliographische Angaben:
Roth, Gerhard/Strüber, Nicole: Wie das Gehirn die Seele macht. Stuttgart: Klett-Cotta, 2022. 528 S.
ISBN Taschenbuch: 978-3-608-96251-2 // 18,00€
ISBN E-Book: 978-3-608-10750-0 // 14,99€

3 Gedanken zu “Gelesen: Roth/Strüber: Wie das Gehirn die Seele macht

  1. Lieber Onkel Michael,

    gern lese ich mehr davon, „Wie das Gehirn die Seele macht“.
    Erinnert mich sehr an „Wie der Mensch seinen Kosmos schuf“ (Fritz Gelhar)

    Viele Grüße, Dein Co-Skeptiker aus DO,
    Thomas

    Like

  2. Es wäre sehr schön, wenn wir auch andere Artikel als Buchbesprechungen von Doktor Hannes lesen könnten!

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..