Künstliche Menschen und die Kunst des Schöpfens: Eine Erkundung von Frankenstein und anderen künstlichen Wesen

Teil 1: Künstliche Menschen – Jenseits von Homunculus, Golem und Demiurg

Der Gedanke an den künstlichen Menschen hat die westliche Kultur seit Jahrhunderten begleitet, wobei er in verschiedenen Epochen und Traditionen unterschiedliche Formen und Bedeutungen annahm. Außer den bereits oft zitierten archetypischen Figuren des Homunculus, des Golem und des Demiurgen existieren jedoch auch zahlreiche andere Darstellungen, die nicht nur die technologischen, sondern auch die kulturellen, ethischen und metaphysischen Dimensionen der Schöpfung eines künstlichen Menschen thematisieren. Ein herausragendes Beispiel für diese Auseinandersetzung ist Mary Shelleys „Frankenstein“, ein Werk, das sowohl literarisch als auch philosophisch weit über die Vorstellung des „künstlichen Menschen“ hinausreicht.

1.1 Pygmalion und Galatea

Die griechische Sage von Pygmalion, einem Bildhauer, der sich in seine eigene Statue verliebte, stellt einen weiteren faszinierenden Schritt in der Entwicklung der Idee des künstlichen Menschen dar. Pygmalion erschafft aus Elfenbein eine Statue, die er nach seinem idealen Bildnis einer Frau gestaltet. Diese Statue, die er Galatea nennt, wird durch die Götter lebendig. Die Schöpfung von Pygmalion ist ein zentraler Moment in der Kunstgeschichte, da sie nicht nur die Schaffung eines künstlichen Menschen thematisiert, sondern auch das menschliche Streben nach Perfektion, das von der Natur als unerreichbar betrachtet wird. Der Akt der Schöpfung ist hier nicht nur handwerklich, sondern auch emotional und psychologisch aufgeladen.

1.2 Frankenstein: Der moderne Prometheus

„Frankenstein“ (1818) – oder genauer gesagt, die Erschaffung des „ungetauften Wesens“ durch Victor Frankenstein – stellt ein Schlüsselmoment in der westlichen Auseinandersetzung mit dem Thema künstliche Menschen dar. Shelley liefert uns die Geschichte eines Wissenschaftlers, der, getrieben von einem fast übermenschlichen Streben nach Wissen und Macht, das Geheimnis des Lebens entschlüsselt und einen Menschen aus Leichenteilen erschafft. Doch die Resultate seiner Arbeit entgleiten ihm, und das Geschöpf, das in seiner ursprünglichen Form nur als „Monster“ bekannt ist, wird zum Inbegriff der Tragödie eines Schöpfers, dessen Werk nicht nur außer Kontrolle gerät, sondern auch zum Spiegelbild der dunklen Seiten seiner eigenen Seele wird.

Frankensteins Monster ist, anders als der klassische Golem, der keine eigene Persönlichkeit besitzt, ein Wesen von tragischer Tiefe. Es ist weder rein böse noch vollkommen gut, sondern ein Produkt seiner Umgebung und der Umstände, die seine Existenz prägten. In „Frankenstein“ geht es nicht nur um das Streben nach Wissenschaft und der Überwindung der Natur, sondern auch um die Verantwortung, die mit der Schöpfung eines neuen Lebens einhergeht. Was Shelley hier aufzeigt, ist das menschliche Versagen, das den künstlichen Menschen zu einem Bild unserer eigenen Unvollkommenheit werden lässt.

1.3 Der Android als literarische Entität

Der Begriff des „Androiden“ taucht erst im späten 19. Jahrhundert auf, jedoch sind die Ursprünge der Idee viel älter. In der Literatur finden wir erste Entwürfe von künstlichen Menschen bereits bei Autoren wie E.T.A. Hoffmann in „Der Sandmann“ (1816), wo der Protagonist Nathanael in einer Mischung aus Wahnsinn und Leidenschaft eine selbstgeschaffene „Puppe“ liebt, die als Spiegelbild seines eigenen unauflöslichen Konflikts fungiert. In Hoffmanns Erzählung sind die mechanischen Wesen, obwohl sie als künstlich gelten, in der Lage, tiefere Emotionen zu erwecken – eine Problematik, die sich auch bei späteren Darstellungen von künstlichen Menschen wiederfindet.

Im 20. Jahrhundert, insbesondere mit der Entwicklung der Robotergeschichten, avancieren Androiden zu einer zentralen Figur der Literatur. In Karel Čapeks „R.U.R.“ (1920), in dem die „Roboter“ – ursprünglich humanoide Maschinen – die Menschheit ersetzen, kommt es zu einer philosophischen und existenziellen Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Wesen des Lebens und der Ethik des Schöpfens. Hier werden künstliche Wesen nicht nur als Arbeitskräfte, sondern auch als Subjekte, die zum Widerstand fähig sind, dargestellt. Diese Entwicklung zeigt den Wandel des künstlichen Menschen von einem bloßen Werkzeug zu einem eigenständigen, bewussten Akteur.

1.4 Das Cyborg und die posthumane Transformation

Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Vorstellung des künstlichen Menschen zunehmend mit der Idee des Cyborgs – des Verschmelzens von Mensch und Maschine – verbunden. In einer Ära, die von den Errungenschaften der Technologie geprägt war, begannen Philosophen und Schriftsteller wie Donna Haraway in ihrem „Cyborg Manifesto“ (1985) zu argumentieren, dass der Cyborg die Verschmelzung von biologischen und technologischen Elementen zu einem neuen, hybriden Menschen darstellt, der die traditionellen Grenzen zwischen Mensch, Maschine und Tier aufhebt. Der Cyborg ist also nicht mehr nur ein Werkzeug oder ein künstliches Abbild des Menschen, sondern ein Wesen, das die traditionellen Definitionen des Menschseins in Frage stellt.

Teil 2: Die Faszination der Menschheit für den künstlichen Menschen

Die Faszination für den künstlichen Menschen ist keine oberflächliche oder bloß spekulative Neugier; sie berührt tiefere, existenzielle Fragen. Was bedeutet es, menschlich zu sein? Wo endet der Mensch und wo beginnt das Künstliche? Der künstliche Mensch – sei er Golem, Frankenstein oder Cyborg – ist mehr als nur ein literarisches oder philosophisches Konstrukt. Er ist ein Spiegelbild unserer eigenen Wünsche und Ängste, unserer Hoffnungen und Unzulänglichkeiten.

2.1 Der künstliche Mensch als Spiegel des Unbewussten

Die Faszination für künstliche Menschen offenbart ein tiefes Unbehagen gegenüber der menschlichen Natur und ihrer Begrenztheit. Der künstliche Mensch ist das, was der Mensch selbst nicht zu sein wagt: unendlich perfekt, unsterblich, frei von Krankheit, Schmerz und Tod. Doch gerade diese Überlegenheit stellt sich als eine Illusion heraus, wie „Frankenstein“ eindrucksvoll zeigt. Der Schöpfer Victor Frankenstein ist nicht nur ein gebrochener Mann, sondern auch ein Symbol für das Scheitern des menschlichen Übermenschentums. Der künstliche Mensch, der zunächst als überlegene Kreatur gedacht ist, wird zum Schatten seiner selbst – er ist kein Erlöser, sondern eine Erinnerung an die unausweichliche Begrenztheit menschlicher Schöpfungskraft.

2.2 Der künstliche Mensch als Metapher für die Angst vor dem Verlust der Kontrolle

Mit der Entstehung der modernen Technologien, die es möglich machen, Menschen auf eine noch nie dagewesene Weise zu manipulieren – sei es durch genetische Modifikationen, künstliche Intelligenz oder die Erschaffung von Cyborgs – ist die Frage nach der Kontrolle über die Schöpfung zu einem zentralen Thema geworden. Wie bei Frankenstein ist auch hier das Risiko, das eigene Werk zu verlieren, stets präsent. Die Entfremdung des Schöpfers von seiner Schöpfung ist das, was den künstlichen Menschen zu einer dunklen, aber allgegenwärtigen Metapher macht.

2.3 Der künstliche Mensch als Projekt des posthumanen Zeitalters

Im Kontext des posthumanen Diskurses wird der künstliche Mensch zunehmend als Symbol für den Wandel des menschlichen Körpers und Geistes in einer von Technologie durchdrungenen Welt gesehen. Wenn der Mensch immer mehr zu einem Hybrid aus Biologie und Technik wird, verschwimmen die Grenzen zwischen dem Lebenden und dem Künstlichen. Der künstliche Mensch wird in diesem Sinne nicht mehr als fremde Entität betrachtet, sondern als eine Erweiterung des menschlichen Potentials. Doch diese Entwicklung wirft neue Fragen auf: Wenn der Mensch und die Maschine in einem untrennbaren Bündnis stehen, was bleibt dann noch vom „wahren“ Menschsein?

2.4 Die ethische und philosophische Dimension der Schöpfung

Die Faszination für den künstlichen Menschen kann auch als eine Reaktion auf die ethischen und philosophischen Fragestellungen verstanden werden, die durch die Möglichkeit der Schöpfung von Leben aufgeworfen werden. Was dürfen wir erschaffen? Und vor allem: Was dürfen wir tun, wenn unsere Schöpfungen beginnen, ihre eigene Existenz zu hinterfragen? Die Frage nach Verantwortung und ethischen Grenzen in der Schaffung von Leben ist eine, die uns in einer Ära der rasanten wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen immer mehr beschäftigen wird.

Der künstliche Mensch als Spiegel unserer Zeit

Die Faszination für den künstlichen Menschen bleibt ein faszinierendes und zugleich beunruhigendes Thema, das tief in der menschlichen Psyche verwurzelt ist. Der künstliche Mensch – ob in Form des Golem, Frankenstein, Androiden oder Cyborg – spiegelt unser Streben nach Perfektion, unsere Ängste vor dem Unkontrollierbaren und unsere Hoffnung auf Erlösung und Überwindung des Menschlichen wider. Doch gerade in seiner Entfremdung und seiner Tragik zeigt er uns, dass der Mensch mehr ist als nur ein Produkt seiner eigenen Schöpfung. In seiner Auseinandersetzung mit dem künstlichen Menschen ist der Mensch immer auch in einer Auseinandersetzung mit sich selbst. Und so bleibt die Frage nach dem Wesen des künstlichen Menschen die Frage nach dem Wesen des Menschen überhaupt.

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Bildnachweise: Von Gtwodahit – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=152296625
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