Gestern noch auf der Ersatzbank – Heute auf der Showbühne: Die Pest im Mittelalter

Aufgrund der katastrophalen hygienischen Bedingungen im Mittelalter waren Seuchen an der Tagesordnung. Die Pest war eine der schlimmsten Krankheiten. Aber nicht nur die schlechten hygienischen Verhältnisse waren an der weiten Verbreitung schuld, auch Kriege und Hungersnöte taten ihren Teil dazu. Die Menschen beteten in den Kirchen, daß Gott sie von diesen apokalyptischen Reitern befreie. Und tatsächlich konnte man sich nach den Heuschreckenplagen der Jahre 1338 bis 1346 in alttestamentarische Zeit zurückversetzt  fühlen. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es, daß im Juni des Jahres 1338 von Asien her Schwärme von Wanderheuschrecken auftauchten und zwar in solch großer Zahl, daß die Sonne verdunkelt und so der Tag zur Nacht gemacht wurde.

Aber nicht nur die Heuschreckenplagen kündigten für viele gläubige Christen das Ende der Welt und die nahende Strafe Gottes an. Es gab auch schwere See- und Erdbeben. Von Venedig wird sogar erzählt, daß die Beben so stark waren, daß im Turm von Sankt Markus die Glocken anfingen zu läuten.

Das große Sterben, wie die Pest im Volksmund genannt wurde, schlug in Mitteleuropa das erste Mal in der Mitte des 14. Jahrhunderts zu. Der Ausdruck Pest wurde im Mittelalter für viele Arten von ansteckenden Krankheiten verwendet. Deshalb ist es schwierig, die einzelnen Epidemie zu unterscheiden. Bei der großen Pandemie um 1348 allerdings handelte es sich um die echte Beulen- respektive Lungenpest. Dies war aber nur der Anfang einer Welle von Epidemien, die Seuche kehrte immer wieder zurück.

Im Jahre 1348 wurde die Krankheit wahrscheinlich aus dem Orient über die Häfen eingeschleppt. Wir kennen einen Bericht des Johannes von Winterthur, in dem er davon spricht, wie zahlreiche Heiden starben, und die Krankheit dann auch noch Sizilien entvölkerte. Über Sizilien schwappte die Seuche wahrscheinlich auf das restliche Europa über. In Marseille und Avignon sollen mehr als 16.000 Menschen dem schwarzen Tod zum Opfer gefallen sein. Von Avignon, damals der Sitz des heiligen Stuhls, wissen wir, daß die Lebenden noch nicht einmal die Toten begraben konnten, so groß war deren Zahl.

Böhmen blieb zunächst noch von der Pest verschont, und Studenten, die aus Bologna heimkehrten, erzählten von den Verwüstungen, die die Epidemie in Italien und Frankreich angerichtet hatte. Schon bald wußte man in ganz Europa darüber Bescheid, daß eine Seuche die Menschen und Tiere dahinraffte. Daraufhin setzte eine Fluchtbewegung vor allem der Reichen ein, obwohl diese im Gegensatz zu den Armen bessere hygienische Bedingungen und auch sonst größere Möglichkeiten sich vor der Pest zu schützen hatten. Trotzdem flohen die „besseren Herrschaften“ auf ihre Landgüter und in Gegenden, in denen die Pest noch nicht aufgetaucht war.

Besonders fromme Menschen hatten Visionen über das Auftauchen der Pest, wie zum Beispiel die selige Luitgard von Wittichen. Die Menschen interpretierten Himmelserscheinungen wie Sonnen- oder Mondfinsternis als Vorboten der Epidemien. Sterndeuter warnten aus einer bestimmten Konstellation der Sterne heraus vor dem Ende der Welt und einer Epidemie als Vorboten des Jüngsten Gerichtes. Dies entsprach dem damaligen Glauben, daß die Sterne das Schicksal der Menschen vorhersagten, ja sogar bestimmten. Jean de Venette zum Beispiel, führte die Pest auf das Auftauchen eines Kometen zurück.

In einem zeitgenössischen Bericht heißt es: … und die cometen mit swenzgen, die man im teutschen schöpfstern heißt: wo einer mit seinem swancz hin reyst, demselben lant nimpt er die feucht, die er aus allen dingen zeucht, als aus den menschen, thern und erden, darvon sie dann beraubet werden ir‘ würzlichen behenden dünst, was in pringt dürrin, hitz und prünst, darvon man spüret offenbar streyt, sterben oder hungerjahr, des all die faul lufft ursach ist … (11).

Aber egal, ob vorhergesagt oder nicht, das Elend, welches über die Menschheit kam, wirkte sich wie ein Schock auf die Bevölkerung aus. Da die Pest in der Bibel als göttliche Bestrafung dargestellt wurde, nahm man natürlich an, daß es sich auch diesmal um eine Strafe Gottes handelte. Besonders die Tatsache, daß kurz zuvor der apostolische Stuhl, wie erwähnt,  aufgrund eines Schismas von Rom nach Avignon verlegt wurde, wurde von vielen Gläubigen als große Sünde angesehen, und dies untermauerte anscheinend diese Überlegungen. Ein Vorzeichen, daß die Theorie zu bestätigen schien, war die Tatsache, daß am 20. Dezember 1347 bei Sonnenaufgang eine Stunde lang eine Feuersäule über den päpstlichen Palast in Avignon gesehen wurde.

Eine besondere Bewegung, die in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Auftreten der Pest steht, sind die sogenannten Geißler oder Flagellanten. Sie brachten die Seuche mit den Sünden der Menschen in Verbindung. 1348 tauchte auch die Vermutung auf, daß die Pest von einem Dämonen hervorgerufen wurde. Allerdings waren vor allem gebildete Menschen schon bald nicht mehr mit den theologischen Allgemeinantworten zufrieden.

Sie suchten deshalb nach befriedigenderen Erklärungen wie zum Beispiel der Theorie, die das Auftreten der Pest mit einer ungünstigen Konstellation der Sterne in Verbindung brachte. Nicht nur in Büchern und anderen Druckschriften wurde diese Überlegung verbreitet, nein, sie war sogar der offizielle Standpunkt der medizinischen Fakultät an der Sorbonne in Paris. Allerdings merkte man bald, daß diese Behauptung nicht zu halten war.

Man kam dann zu der Überzeugung, daß eine allgemeine Verunreinigung der Luft die Ursache der Krankheit sei. Natürlich kam, wie bei jeder Katastrophe, jemand auf die Idee, daß es sich dabei nicht um eine „natürliche“ Erkrankung handelte, sondern das ein böser Mensch „seine Finger“ dabei im Spiel hatte, und wer war da besser als Sündenbock geeignet, als die Juden! Wenn sie schon Christus ans Kreuz schlagen, dann vergiften sie auch die Brunnen und die Luft! Zu Beginn der Pandemie wurden außerdem noch die Aussätzigen und Armen beschuldigt, schon bald aber konzentrierte man sich ausschließlich auf die Juden.

Viele Berichterstatter kombinierten auch die Thesen. So war es Guillaume de Machaut, der den Zorn Gottes, die Vorzeichen und Ahnungen, die Brunnenvergiftung und die schlechte Luft nebeneinander stellte. Aber auch Jean de Venette oder Hugo von Reutlingen verbanden die verschiedenen Theorien. Auch später, als schon einige Pestepidemien Verderben über Europa gebracht hatten, war man nicht viel klüger und blieb bei den alten Begründungen. Die Chronographie Konrads von Halberstadt vermerkt, daß keines der Ereignisse alleine die Pest auslösen könnte, sondern das alle zusammenwirken müßten.

Für die Behandlung der Krankheit kam es nun darauf an, welcher Begründung man Glauben schenkte. Von den Ärzten bekam man Traktate, vollgestopft mit vielen guten Ratschlägen, die allerdings relativ nutzlos waren; von den Priestern erfuhr man, daß nur Gebet, Fasten und Reue zur Gesundung führten. Die Auswirkungen einer Fastenkur auf einen durch die Pest geschwächten Organismus kann man sich ja vorstellen. In der Pflege der Pestkranken taten sich vor allem die Franziskaner hervor. Dies bezahlten sie aber auch mit über hunderttausend toten Mönchen.

Nachdem die Pest wieder am abklingen war, rief der Papst für 1350 ein außerordentliches „heiliges Jahr“ aus. Dies hatte zur Folge, daß Zehntausende von Gläubigen nach Rom pilgerten, und die Seuche schließlich von hier  wieder mit in ihre Heimat zurückbrachten.

Siena betrauerte 80.000 Tote, Florenz 100.000, Straßburg 16.000, Erfurt 15.000, Basel 14.000 Tote. In Lübeck blieben angeblich nur zehn von 1.000 Bürgern am Leben. Das ergibt hier eine Zahl von 90.000 Opfern. Wien begrub täglich 500 bis 700 Leichen, und von Straßburg wird erzählt, daß täglich 1500 Menschen dem schwarzen Tod anheim fielen. Venedig verlor wie Florenz angeblich 100.000 Einwohner. In England sollen 25.000 Kleriker gestorben sein.

Im Auftrag des damaligen Papstes, Clemens VI., wurde eine Zählung der Toten angeordnet, und als die päpstlichen Beamten alle Zahlen addiert hatten, kamen sie auf 42.836.486 Pesttote. Diese Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, da es sich hier zum größten Teil um Schätzungen handelt. Wahrscheinlicher ist, daß bis 1352 die Zahl der Opfer bei etwa 18 – 20 Millionen realistischer ist.