Das Impfschiff des Don Francisco Javier Balmis y Berenguer

Als Edward Jenner im Jahre des Herrn 1796 seine neue Methode der Impfung, die so genannte Vakzination, entwickelte, hatte er damit die Möglichkeit in der Hand, die Welt von einer ihrer schlimmsten Geiseln zu erlösen. Dies zeigte sich vor allem auch in der rasanten Verbreitung, die seine Methode in Europa fand.

Der Impfstoff wurde aus mit Flüssigkeit gefüllten Pusteln gewonnen, die sich am Ende einer Infektion mit den Kuhpocken bei den Erkrankten bildeten. Dieser Impfstoff, in dem aktive Viren enthalten waren, blieb in etwa zehn Tage infektiös, also wirksam. Innerhalb dieser Frist konnte man das Vakzin auch gut transportieren, gab es doch hierfür verschiedene Methoden, sei es, dass der Impfstoff in Baumwolle getränkt oder zwischen zwei Glasplatten gepresst wurde.

Für die deutschen Länder, Italien oder die Schweiz war die Verbreitung der Jenner-Impfung kein Problem, vor allem auch, weil die Kuhpocken in Europa verbreitet waren und man so an Nachschub an Vakzin gelangte.

Nationen wie England, Frankreich oder Spanien mit ihren ausgedehnten Überseegebieten standen aber vor einem Haufen von Problemen. Wurden doch die Pocken aus Europa in die Kolonien eingeschleppt und töteten unzählige Menschen, doch waren die Kuhpocken, aus denen das Vakzin gewonnen wurde in der neuen Welt nicht heimisch und nachdem eine Reise über den Atlantik länger als zehn Tage dauerte, konnte man den Impfstoff mit den damals vorhandenen Methoden nicht einfach gen Westen verschiffen.

Was also tun? Für den spanischen König Karl IV. wurde die Frage drängender, gab es doch Anfang des 19. Jahrhunderts eine große Pocken-Epidemie in seinen südamerikanischen Kolonien. Er beschloss, eine Expedition nach Südamerika zu schicken, die nicht nur den aktuellen Ausbruch durch Impfungen bekämpfen sollte, nein, er wollte das Übel an der Wurzel packen. Die Expedition sollte auch Impfzentren aufbauen und Personal ausbilden.

Gesagt, getan. König Karl IV. startete die Real Expedición Filantrópica de la Vacuna. Auf Deutsch die „Königliche philanthropische Impfexpedition“. Sein Leibarzt Francisco Javier Balmis y Berenguer wurde deren Leiter. Außerdem nahmen noch ein stellvertretender Chirurg, zwei Assistenten, zwei Wundärzte und drei Krankenschwestern an der Expedition teil.

Das größte Problem blieb aber noch: wie bekam man das Vakzin nach Südamerika? Balmis und seine Leute entwickelten einen ausgeklügelten Plan, der sogar funktionierte. Sie nahmen 22 Waisenknaben an Bord, von denen immer zwei separiert und mit den Kuhpocken infiziert wurden. Nach zehn Tagen kam das nächste Paar dran und so bildete man quasi eine „Infektionsbrücke“ über den Atlantik.

Die Kinder wurden von Isabel Zendal Gómez, der Leiterin des Waisenhauses, aus dem sie kamen, betreut. Unter diesen 22 Kindern war im Übrigen auch der eigene Sohn von Gómez, der unerkannt Teil der Gruppe war. Bei den Kindern handelte es sich um Cándido (7 Jahre), Juan Francisco (9 Jahre), Antoni Veredia (7 Jahre), Andrés Naya (8 Jahre), Gerónimo Maria (7 Jahre), Jacinto (3 Jahre), Vicente Ferrer (7 Jahre), Juan Antonio (5 Jahre), Vicente Maria Sale y Bellido (3 Jahre), Pascual Aniceto (3 Jahre), José Mauel Maria (6 Jahre), José Jorge Nicolás de los Dolores (3 Jahre), Tomás Melitón (3 Jahre), Clemente (6 Jahre), Francisco Antonio (9 Jahre), José (3 Jahre), Francisco Florencio (5 Jahre), Domingo Naya (6 Jahre), Manuel Maria (3 Jahre), Martin (3 Jahre), Benito Vélez (9 Jahre) sowie einem unbekannter Knabe.

Neben den Kindern nahm die Expedition auch wissenschaftliche Instrumente und Lehrbücher mit auf die Reise, um damit die geplanten Impfzentren auszustatten. Es handelte sich hierbei um eine Reiseapotheke mit den gängigsten Medikamenten für Seereisen, Leinentücher für die Impfungen, mehrere tausend Objektträger, je vier Barometer und Thermometer, 500 Exemplare des Werkes von Dr. Jacques-Louis Moreau de la Sarthe „Trai-té historique et pratique de la vaccine“ (Historische und Praktische Abhandlung über den Impfstoff), Sechs Notizbücher, um die Ergebnisse und Maßnahmen während der Expedition aufzuschreiben und noch mehr Geraffel.

Am 30. November 1803 war es dann so weit, die Korvette Maria Pita und mit ihr die Real Expedición Filantrópica de la Vacuna unter Leitung von Don Francisco Javier Balmis y Berenguer (habe ich schon mal erwähnt, dass ich Spanisch echt klasse finde?), nebst Mitarbeiterstab, Kinder, Lehrbücher und Instrumente, stachen in La Coruna in See und segelten los.

Die Schilderung der weiteren Ereignisse übergebe ich an dieser Stelle der Medicinisch-chirurgischen Zeitung vom 2. Jänner 1807. Darin heißt es auf der Titelseite:

Madrid. Den 7ten Sept. hatte der königl. Spanische Wundarzt, Dr. Don Francisco Xavier de Balmis, das Glück, dem König von Spanien vorgestellt, und zum Handkuß gelassen zu werden. Dieser verdienstvolle Mann hat die Erde in der einzigen, reinen und menschenfreundlichen Absicht umschifft, den entferntesten spanischen Besitzungen und andern Nationen die schätzbare Wohltat der Vaccination zuzuführen.
Se. Majestät hat den von ihm hierüber abgestatteten Bericht mit der größten Theilnahme angehört, und sein höchstes Wohlgefallen darüber geäußert.
Dr. Balmis war den 30. Nov. 1803 mit verschiedenen Aerzten und Wundärzten und 22 Knaben, welche die Blattern noch nicht gehabt hatten, und vermittelst welcher er, durch allmählige Einimpfung der Schutzblattern, beständig mit frischer Materie versehen seyn wollte, aus dem Hafen Corunna abgereist. Seine erste Station war auf den kanarischen Inseln, die zweite zu Portorico, die dritte zu Caraccas. Hier theilte sich die Gesellschaft in zwey Abtheilungen, die erste, unter Dr. Francisco Salvani, segelte nach Südamerika; die zweyte unter Dr. Balmis nach Havannah und Yucatan.
Hier zerfiel sie wieder in zwey Unterabtheilungen, deren Vereinigungspunkt Mexico war, und beyde bereits’ten nund die spanischen Besitzungen im nördlichen Amerika. In Mexico wurde eine Anstalt zur Fortpflanzung der Vaccination errichtet, eine Art medicinischer Missionarien, von denen man sich den besten Fortgang verspricht.
Hierauf schiffte sich Dr. Balmis im Hafen von Acapulco ein, und segelte nach den philippinischen Inseln, dem letzten Ziele seiner philanthropischen Reise. Nach zwey Monathen erreichte er diese Inseln mit 26 Knaben, die er, wie die vorigen, allmählig vaccinierte. Es verdient als ein seltener Fall angeführt zu werden, daß der benachbarte Archipelagus der Visayas- oder Revos-Inseln, welcher mit den philippinischen in beständigem Kriege ist, um der Wohlthat der Vaccination theilhaftig zu werden, die Waffen niederlegte, und aus Dankbarkeit mit Spanien Frieden machte.
Endlich berührte Dr. Balmis auch in China die Städte Macao und Canton, schiffte sich in der ersten Stadt auf einem portugiesischen Fahrzeuge ein, und kam den 15. August glücklich in Lissabon an, nachdem er im Vorbeygehen die Insel St. Helena berührt, und daselbst vaccinirt hatte. So lernte diese englische Insel von Spanien eine Erfindung ihres Mutterlandes schätzen.
Die sügliche Abtheilung der Aerzte befand sich zu Ende März 1805 in Sta. Fe, und nahm nach Lima und Suayaquil ihre Richtung.

Insgesamt teilte sich die Expedition in fünf Unterabteilungen, die alle spanischen Kolonien von Texas über Guatemala bis Chile bereisten. Dazu kamen noch die Philippinen, Macao, Canton und St. Helena. Letzteres war umso bemerkenswerter, da St. Helena eine britische Kolonie war und sich Spanien und Großbritannien zum damaligen Zeitpunkt im Kriegszustand befanden. Der spanische Vizekönig von Chile meldete nach Madrid, dass innerhalb weniger Wochen 50.000 Personen erfolgreich geimpft wurden. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass direkt durch die Expedition 500.000 Menschen geimpft wurden.

Die Expedition und ihre Teilnehmer wurden von der Bevölkerung stürmisch begrüßt, brachten Sie doch ein Mittel, das helfen sollte, die gefürchteten Pocken im Zaum zu halten. Wie es aussah, wenn die Maria Pita in einen Hafen einlief, können wir einem Bericht entnehmen, der am 19. März 1804 in der Kaiserlich und Kurpfalzbairisch privilegirten Allgemeinen Zeitung erschien und aus Santa Cruz auf Teneriffa stammte: In der Nacht kam die Korvette, Maria Pita, nach einer glücklichen Fahrt von 9 Tagen, von Corunna auf unserer Rhede mit den Aerzten und Kindern an, durch welche in den kanarischen Inseln und in den spanisch-amerikanischen Besitzungen die wichtige Entdekung der Schutzblattern-Impfung verbreitet werden soll. Wir erwarten hier keine so schnelle Ankunft dieser Expedition, doch durch den Eifer unsers Kommandanten, Marquis de Casa Cagigal, und die Thätigkeit des Direktors Don Franc. Xav. De Balmis wurde indes der Mangel vorhergehender Dispositionen ersetzt, und ohnerachtet der Dunkelheit der Nacht und des stürmischen Meeres wurdne eine Stunde nachher 10 Kinder der angesehensten Familien der Insel mit der völlig reifen Materie von 4 Kindern geimpft, welche man beim Auslaufen aus Corunna vaccinirt hatte, und bei denen sich die Blattern, ohnerachtet der Seekrankheit, des Erbrechens, und anderer bei Seereisen gewöhnlichen Zufälle, auf die gewöhnliche Art gezeigt hatten.
Tages darauf berief der Kommandant die Geistlichkeit, die Civil- und Militärbeamten zu sich, und nachdem er ihnen in einer Rede das unschätzbare Wohlwollen unsers Monarchen, indem er diesen Inseln die größte Wohltat erzeige, welche sie nur erhalten könnten, und den Werth und die Dankbarkeit, mit der wir dieselbe annehmen müßten und die Nothwendigkeit geschildert hatte, durch unser Beispiel und durch Ueberzeugung die Vorurtheile des unwissenden Volkes zu bekämpfen, begab er sich mit dem ganzen Gefolge unter Vortretung eines Pikets Grenadiere und unter Kriegsmusik nach dem Hafen.
Der Kommandant nahm zuerst eins von den 22 Kindern, welche die Korvette überbracht hatte, bei der Hand, die Prälaten und Chefs folgten diesem Beispiele, und führten sie unter Zuruf und wiederholten Artilleriesalven nach dem Hause, das zu ihrer Aufnahme eingerichtet war. Hernach erließ der Kommandant ein Edikt an das Volk und die Familienväter, und besondere Bekanntmachungen an den Bischof, an den Präsidenten des königl. Justiztribunals und an die Magistrate und Obrigkeiten der andern Inseln, meldete ihnen die Ankunft der Expedition, ihren Zweck, und ihre feierliche Aufnahme und Unterhaltung von der Stadt Laguna, ermahnte sie, unter dem Volke günstige Meinungen über dieses unschätzbare und zuverläsige Sicherheitsmittel vor den natürlichen Blattern zu verbreiten und sie aufzumuntern, Kinder, welche die Blattern noch nicht gehabt, nach Teneriffa in Begleitung eines Arztes zu schiken, um die einfache Vaccinationsart zu lernen, und daß die Operation nicht nur unentgeldlich seyn, sondern auch die Armen Wohnung und Unterhalt erhalten würden.

Die 22 Waisenknaben blieben alle in Südamerika und wurden dort Zeit ihres Lebens sehr verehrt. Auch Isabel Zendal Gómez blieb in der Neuen Welt; ihre Spur verliert sich 1811 in der mexikanischen Stadt Heroica Puebla de Zaragoza. Sie war wohl am Aufbau mehrerer Impfzentren und Krankenstationen beteiligt.

Bei uns in Mitteleuropa ist diese Begebenheit nur eine Fußnote der Medizingeschichte. In Lateinamerika und Spanien allerdings wird die Erinnerung an Balmis und die 22 Waisenknaben noch heute hochgehalten. So wurde der Stoff erst vor wenigen Jahren in einer Fernsehserie und einem Spielfilm verarbeitet.

Auch in unseren Tagen wurde das Werk von Dr. Balmis und seiner Expedition gewürdigt. Der Einsatz der spanischen Streitkräfte während der Corona-Pandemie lief unter dem Namen „Operacion Balmis“.

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