Eine kleine Kulturgeschichte des Tabakrauch-Einlaufes

Die Geschichte der Medizin ist eine Geschichte voller Missverständnisse – Und das ist auch gut so! Denn die Medizin ist eine lebendige Wissenschaft, die sich stetig weiterentwickelt. Natürlich irrt sie manchmal dabei oder manche Therapien und Ansichten veralten, aber es kommt immer etwas Besseres nach. Im Gegensatz beispielsweise zur Homöopathie.

Auf diesem Wege entwickeln sich natürlich auch immer wieder Therapieformen, die wir heute, hunderte von Jahren später als skurril und mitunter recht witzig ansehen. Um so eine Therapieform soll es heute gehen. Und diese Therapie ist buchstäblich voll für’n Ar…. naja, ihr wisst, was ich meine.

Mit der Kolonisierung des amerikanischen Kontinents kam auch der Tabak nach Europa und damit auch die Erzählungen, wie südamerikanische Eingeborene diesen Tabak als Heilmittel benutzten. Die Shipibo aus Peru wendeten beispielsweise eine Mischung aus Tabaksaft und Ingwer als Mittel gegen Würmer an. Und die Aguaruna, ebenfalls aus Peru, hatten eigene Rituale, um Tabak für Heilkuren zu präparieren. Von zahlreichen anderen Stämmen ist bekannt, dass sie aus Tabak Klistiere und Zäpfchen herstellten. Dazu zählten aber auch Einläufe mit Tabakrauch, die allerdings zumeist nur für rituelle und nicht für medizinische Zwecke eingesetzt wurde. (1)

Der nordamerikanische Stamm der Catawba behandelte seine Pferde mit Tabakraucheinläufen. Eine Praxis, die bei dänischen Bauern noch bis ins 19. Jahrhundert hinein bekannt war. (5)

Der erste europäische Arzt, der Tabakrauch einsetzte war der Engländer Nicholas Culpeper. Er setzte es hauptsächlich in der Schmerztherapie ein. Sogar bei Entzündungen, Eingriffen, Koliken oder Leistenbrüchen. Thomas Sydenham erwähnte Tabakraucheinläufe erstmals 1686 und auch König James I. ging davon aus, dass der Tabak „Gentlemen-Krankheiten“ heilen würde.In den medizinischen Mainstream gelang der Tabak allerdings erst einige Jahre später durch Richard Mead. (2, 5)

Mead war es auch, der erstmals dazu riet, bewusstlose Ertrinkungsopfer, mit Tabakraucheinläufen zu behandeln. Der erste dokumentierte Fall allerdings stammt aus dem Jahr 1746, als eine Frau aus dem Wasser geborgen wurde und bewusstlos blieb. Ihr Ehemann nahm spontan, seine Tabakspfeife, steckte deren Stiel in den Hintern der Frau und blies in den Pfeifenkopf. Die heiße Glut des Tabaks soll die Frau wieder zurück ins Bewusstsein gebracht haben. Was mit der Pfeife geschah, ist allerdings nicht überliefert. (2, 5)

Diese Praxis wurde mit der Zeit immer beliebter. Man nahm an, dass der Tabakrauch im Darm aufgenommen wurde und die Herzfrequenz des Patienten erhöhte, die Atemfunktion stärkte und den Patienten von innenheraus trocknete. (2)

Tabakrauch-Einläufe wurden daraufhin schwer modern und man behandelte jede mögliche und unmögliche Erkrankung von Kopfschmerzen, Magenkrämpfen bis hin zu Typhus und Cholera alles damit. Es wurde wie oben beschrieben, eine Tonpfeife verwendet, deren Stil man in den Anus des Patienten schob. Der Behandler blies dann in den Pfeifenkopf und der Rauch wurde in den Darm gedrückt.

In einem englischen Lehrbuch heißt es dazu: And so is tobacco given in A pipe [when] it is well Lighted the small end to be oyled and put up into ye fundament and some body put the great end into their Mouth and blow the smoake up into the body this never fails to give ease to the winde collick you may put A small Glister pipe into the body and put the small end of the pipe Tobacco in the End of ye Glister pipe this way will Convey the Smoak into ye body very well. (4)

Allerdings gab es zahlreiche Fälle, bei denen der Behandler die Darmwinde des Patienten einatmete. Gerade bei Cholerakranken passierte es auch oft, dass der Behandler den sogenannten „Reiswasserstuhl“ (ein trüber, sehr wässriger Durchfall) einatmete oder schluckte. Daraufhin erfand man eine Art Blasebalg, an dem ein Gummischlauch befestigt war. Dieser Schlauch kam dann in den Anus und mit Hilfe des Blasebalgs wurde kräftig Rauch in die armen Menschen geblasen. Ich stelle mir das nicht gerade lustig vor… (2, 3)

Aber eine kurze Zeit lang waren Tabakeinläufe neben Aderlässen und Blutegeln die beliebteste Therapie.

1774 gründeten die Londoner Ärzte William Hawes und Thomas Cogan eine Einrichtung, um Ertrinkenden das Leben zu retten. Eine sehr noble Idee. Diese Institution ging später in der Royal Humane Society auf, die unter der Schirmherrschaft von Königin Elizabeth II. steht. (2,3)

Damals ging diese Gesellschaft auch her und errichtete alle paar Meilen am Themseufer Rettungsstationen, in denen sich auch eine Ausrüstung für Notfall-Tabakrauch-Einläufe befand. (5)

Als der englische Chirurg und Wissenschaftler Sir Benjamin Collins Brodie 1811 allerdings entdeckte, dass es sich bei Nikotin um einen hoch giftigen Stoff handelt, nahm die Verwendung des Tabaks rapide ab. Es sind zwar noch Berichte aus den Jahren 1827, 1835 und 1847 bekannt, diese stellen aber Ausnahmen dar.

Zitierte Literatur
(1) Smoking and Health in the Americas: A 1992 Report oft he Surgeon Genearl, in collaboration with the Pan American Health Organization. Washington, 1992. S. 21.
(2) https://allthatsinteresting.com/blowing-smoke. Abgerufen am 23. Februar 2019.
(3) Haynes, Sterling: Special Feature Tobacco Smoke Enemas. In: BCMJ, 54/2012, H. 10, S. 496-497.
(4) Smith, Lisa: Tobacco Smoke Enemas in Eighteenth-Century Domestic Medicine. https://recipes.hypotheses.org/10722. Abgerufen am 23. Februar 2019.
(5) Wikipedia contributors, „Tobacco smoke enema,“ Wikipedia, The Free Encyclopedia, https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Tobacco_smoke_enema&oldid=884845494 (abgerufen am 23. Februar 2019).
(6) Lawrence Ghislaine: Tools of the Trade, Tobacco Smoke Enemas. In: The Lancet 359 issue. 9315 (April 2002): 1442.

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