Bei der Dreckapotheke handelt es sich definitiv nicht um eine Offizin, die nicht regelmäßig gereinigt wird. Vielmehr handelt es sich um ein Konzept zur Heilung, das schon in frühgeschichtlicher Zeit Anwendung fand.
In der Dreckapotheke werden Bestandteile, Exkremente und Sekrete von Menschen und Tieren zur Heilung verwendet. So beispielsweise Kot, Urin, Speichel, Schleim, Schweiß, Ohrenschmalz, Parasiten, Menstrualblut, Eierschalen, Eiter, sog. Leichenfett und ähnlich nette Dinge.
Wie gesagt, derartige, nun sagen wir mal großzügig „Arzneimittel“ wurden bereits im alten Mesopotamien verwendet ebenso wie in der ägyptischen Hochkultur. Die Ägypter waren hier besonders erfindungsreich und waren auch die ersten, die Leichen eine besondere Heilkraft zuschrieben. So wurden beispielsweise Sperma, Blut oder Haare von Ermordeten verwendeten. Interessant ist hierbei, dass ab dem 12. Jahrhundert zerstoßene Mumien als Medikament Verwendung fanden. Nun, der Heilerfolg bei Waschungen mit Tierurin oder die Verwendung von Nilpferdkot dürfte relativ überschaubar gewesen sein. Und auch die Verhütung durch ein Diaphragma das aus Leinenfasern bestand, die mit Krokodilkot beschmiert wurden, dürfte wenig zielführend gewesen sein, wenn sie nicht sogar eine Sepsis zur Folge hatte. Aber gut, damals war das halt „State of the Art“. Worauf sich die Überlegungen stützten, die zu diesen Heilmitteln führten, lesen wir später.
Plinius der Ältere, der große römische Gelehrte nahm in seine „Naturalis historia“ auch eine umfangreiche Liste von derartigen Arzneien auf, die aus und vom Menschen und Tier gewonnen wurde.
Dies zieht sich fort bis ins Mittelalter und in die Neuzeit, wo die Dreckapotheke durch den Eisenacher Arzt Christian Franz Paullini einen besonderen Auftrieb bekam, aber auch von ihm hören wir später.
Bis ins Jahr 1920 wurde übrigens ein Mittel mit dem Namen „Humanol“ vertrieben. Hierbei handelte es sich um steriles Menschenfett zur Injektion. Zur Dreckapotheke gehörte natürlich auch die „Frischzellentherapie“, wurden hier doch Zellen von fetalen Kälbern oder Schafen verwendet. Dieses Verfahren wurde erst 1980 in Deutschland verboten. Die älteren unter uns erinnern sich sicherlich an das Buch „Urin – Ein ganz besondere Saft“, durch das in den 1990er Jahren die Verwendung von Eigenurin propagiert wurde.
Und auch in der Homöopathie spielen sogenannte „Nosoden“ und „Sarkoden“, die aus Eiter o.ä. gewonnen werden eine Rolle. Auch ist es ja in bestimmten Kreisen heutzutage en vogue, nach der Geburt Globuli aus der Plazenta oder der Nabelschnur basteln zu lassen. Darüber habe ich HIER ja schon einmal geschrieben.

Foto: Susanne Aust
Nun schauen wir uns einmal an, welche Theorien die Grundlagen der Dreckapotheke sind. Insgesamt sind es drei:
- Das Ähnlichkeitsprinzip (Simile-Prinzip)
- Das Unähnlichkeitsprinzip (Contraria-Prinzip)
- Die Singularitätsmagie
Dadurch, dass die Dreckapotheke in verschiedenen Kulturen und Zeiten angewandt wurde, ist es auch nicht verwunderlich, dass diese Theorien teilweise Gegensätze bilden.
Das Ähnlichkeitsprinzip similia similibus curentur kennen wir ja aus der Homöopathie. Und hier muss ich alle Hahnemann-Fans enttäuschen, der gute Samuel hat dieses Prinzip weder entdeckt, noch erfunden, haben doch schon die alten Ägypter danach behandelt. Man kennt es auch unter den Bezeichnungen „Analogiezauber“, „Sympathiezauber“ oder „Sympathetische Magie“. Noch heute wird ja beispielsweise in der chinesischen Medizin das Horn des Nashorns als Potenzmittel verwendet, weil es an einen erigierten Penis erinnert. Auch die Verwendung von Bestandteilen von Tigern oder Bären beruht auf der Vorstellung, dass man die Kraft und Stärke des Tieres hierdurch in sich aufnehmen kann. Auf Grund dieser Vorstellungen wurden auch Leichenteile in der Dreckapotheke verwendet. Auf der anderen Seite steht dann das Contraria-Prinzip „contraria contrariis curantur.“, also die Vorstellung, dass „Antisympathiemittel“, also Gegensätzliches, Heilwirkung hat.
Die Singularitätsmagie wiederum beruht auf der Maxime, dass besondere, wertvolle und kostbare Dinge nicht nur als Raritäten, also monetär wertvoll sind, sondern auch wegen ihrer immanenten Kräfte, und sie dient gleichzeitig gewissermaßen der theoretischen Absicherung des tradierten Wissens gegenüber eventueller negativer Erfahrung, denn das Kostbare ist eben störungsanfälliger und nicht für jedermann verfügbar.
Im Mittelalter gab es dann auch zusätzlich noch die Vorstellung, dass die ja auch geruchsintensive Behandlung gerade mit Kot und Urin so ekelbehaftet ist, dass die Krankheitsdämonen hiervor die Flucht ergriffen.
In der Dreckapotheke wurde wirklich alles verwendet. Blut, Kot, Urin, Menstruationsblut, Spinnweben, Sekrete aller Art, Rotz, Eiter, Organe, ja sogar ganze Tiere wie Bienen, Spinnen, Flöhe oder andere Insekten. Auch Brackwasser fand seine Anwendung.

Foto: Susanne Aust
Verwendet wurden diese Ingredienzien auf vielerlei Art und Weise sowohl äußerlich als auch innerlich. So als Umschläge, Einreibungen, Pillen, Pflaster, Klistiere, Öle, Salben, Pulver, Tränke oder als Leckmittel.
Paullini, von dem wir gleich noch hören werden, schreibt beispielsweise folgendes: Wie ich einst über den Hessendamm nach Halberstadt ritt, begegneten mir unten am Damme nicht weit vom Wirtbshause zwei Fuhrleute, deren einem die Wespen und Hornissen das eine vordere Pferd übel zugerichtet hatten, dass es kaum noch fort hinken konnte. Ich rieth ihm: er sollte also bald frischen und wo möglich annoch warmen Kuhdreck ihm um die Beine schlagen und vorher mit seinem Urin die Füsse waschen, in den Koth aber etwas zerschnittenen frischen Salbei mischen. Er that’s und dankte mir hernach deswegen zu Quedlinburg, denn es gleich gut gethan hatte. (1)
Aber nicht nur aus Tieren wurden Arzneimittel gewonnen. Im Volksglauben vieler Kulturen war die Vorstellung verankert, dass in einer Leiche ein Teil der Lebenskraft zurückbleibt, der dann durch die Anwendung von Teilen des toten Körpers auf einen lebenden Menschen übertragen werden kann, wodurch dieser von Leiden kuriert wird. Prinzipiell wurde der Mensch in der Materia medica zu den Tieren gezählt, so dass aus Menschen gewonnene Arzneimittel zu den Animalia zählten. Allerdings wurde den Heilmitteln menschlichen Ursprungs eine besondere Heilwirkung zugesprochen, da der Mensch als das vollkommenste unter den Tieren und als Ebenbild Gottes angesehen wurde. Für Arzneimittel menschlichen Ursprungs wurden vor allem hingerichtete, im Krieg gefallene oder durch Unfälle ums Leben gekommene Menschen verwendet, da man glaubte, dass in diesen im vollen Vorhandensein ihrer Lebenskraft Verstorbenen noch mehr von dieser enthalten sei, als in den Körpern von Alten oder nach längerem Siechtum Verstorbener.(2) Hierin erklärt sich auch die Verwendung von Mumienpulver, das noch bis 1912 vertrieben wurde.

Foto: Susanne Aust
Besondere Verbreitung fand die Dreckapotheke im 18. Jahrhundert, nachdem der Eisenacher Arzt, Universalgelehrte und Dichter Christian Franz Paullini (25. Februar 1643 bis 10. Juni 1712) im Jahre 1696 sein Buch Heilsame Dreck-Apotheke : Wie nemlich mit Koth und Urin Fast alle/ ja auch die schwerste/ gifftige Kranckheiten/ und bezauberte Schaden/ vom Haupt biß zun Füssen inn- und äusserlich glücklich curirt worden veröffentlichte.
Paullinis Intention war es, auch einfachen Menschen dieses Wissen zugänglich zu machen, damit diese sie sich kostengünstig selbst herstellen konnten. Hierzu sammelte er unzählige Rezepte und Anweisungen, die seiner eigenen Auskunft nach teilweise bis auf Galen zurückgingen. Diese Veröffentlichung brachte ihn von seinen Kollegen und von Apothekern natürlich zahlreiche Kritik ein.
In seinem Buch schreibt Paullini: Im Koth und im Urin liegt GOTT und die Natur. Kuhfladen können dir weit mehr als Balsam nützen. Der blosse Gänsedreck geht Mosch und Ambra für. Was Schätze hast du offt im Kehricht und Mistpfützen. Der beste Theriak liegt draußen vor der Thür. Vom Ohrensausen, üblen Gehör und Taubheit. Vor allerley Mängel am Gehör, wird gelobt Menschen-Urin, und zwar des Patienten eigener […]. Lasse einen neuen glasurten Topff mit einem Deckel machen, darinne Tobackspfeiffen gehen können, thue einen glüenden Stein hinein, stecke in das eine Loch eine Tobackspfeiffe, mit dem Knopff auf den Stein. Aus dem andern Loch laß die Pfeiffe umgekehrt mit dem Knopff oben heraus gehen, lasse deinen Urin auf den Stein, halte das Ohr auf die andere Pfeiffe, und lasse den Qualm in die Ohren. Haasen-Urin wird gar sehr recommendirt von Ruland nicht allein vor die Taubheit und Klingen der Ohren, sondern auch vor die Ohren-Geschwäre, Ohrenwürmer und Ohrenweh.(1)
So abstrus und eklig sich dies alles für uns heutzutage anhört, sollten wir uns doch nicht darüber lächerlich machen. Vielmehr müssen wir uns vor Augen halten, dass unsere Vorfahren all jene Kenntnisse der Medizin, Chemie oder Physik eben nicht hatten. Derartige Therapiekonzepte waren vielmehr Ergebnisse der Versuche, sich die Welt und ihre Zusammenhänge zu erklären. Natürlich sind diese überkommenen Therapiekonzepte heute zu Recht in das Kuriositätenkabinett der Medizin verbannt.
Vielen Dank an Susanne Aust für die Bilder aus dem Pharmaziemuseum der Universität Basel!
Dies sollte jeder lesen, der in der Heilkunde auf „altes Wissen“ schwört.
Danke, Michael, für diesen doch erhellenden Beitrag.
Ich möchte damit daran anknüpfen, dass man sich nun mal nicht aussuchen kann, ob man den einen Teil „alten Wissens“ toll findet und verteidigt und den anderen irgendwie doof oder eklig und ihn einfach ignoriert. Man sieht, wie an einen Irrtum wie dem „naturalistischen Fehlschluss“, also, der Annahme, die Natur halte „Botschaften“ gezielt für den Menschen bereit, völlig unvereinbare Schlussfolgerungen geknüpft werden.
Hahnemanns Ausprägung des Ähnlichkeitsprinzips ist eine sehr ausgeklügelte, aber letztlich auch auf die Ähnlichkeitsmagien alter Zeiten zurückzuführen. Und ja, auch er hielt buchstäblich JEDE Substanz für geeignet, ein homöopathisches Mittel abzugeben. Er umging den Ekelfaktor nur durchs Verdünnen…
Gegen Nosoden und Sarkoden sprach er sich übrigens in der 6. Auflage des Organon deutlich aus, denn das hielt er eben nicht für sein „Ähnlichkeitsprinzip“, sondern den aus seiner Sicht untauglichen Versuch, mit dem „Original“, der kranken Körpersubstanz, also einem „Gleichen“ zu heilen. Vorsicht – nicht zu lange drüber nachdenken, was das bedeutet, könnte Schäden im Vernunftapparat hervorrufen…
Sehr schöne Reise in die Vergangenheit!
Manche Therapien aus der Dreckapotheke sind aus heutiger Sicht ganz gut zu erklären: eine Mischung aus Schafsdung, Käseschimmel und Honig etwa, die man auf Unterschenkelgeschwüre auftrug, konnten durch das Schimmelwachstum durchaus einen antibiotischen Effekt zeigen.
Super geschriebener und informativer Artikel :-). Eine sehr gute Aufstellung. In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen 🙂