In meinem letzten Artikel habe ich euch ja erzählt, wie Edward Jenner die Pockenschutzimpfung entdeckte und diese große Verbreitung fand. Wisst ihr, was damals auch seinen Urstand feierte? Die Impfgegner! Genau, nicht nur wir plagen uns heute mit dieser üblen Mischung aus schlichtem Wissensdefizit, weltanschaulicher Verblendung und Verdrehung von Fakten herum, sondern schon damals wurde Dr. Jenner dem ausgesetzt.
Als einer der ersten trat beispielsweise der Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia Herr Dr. Jan Ingenhousz auf dem Plan. Ingenhousz war ein hervorragender Arzt und Botaniker, der beispielsweise als erster grundlegend die Photosynthese der Pflanzen erforschte. Er korrespondierte mit Benjamin Franklin, war Mitglied der Royal Society und der American Philosophical Society.
Aber er mochte Jenners Vaccination nicht leiden. Warum? Nun, Dr. Ingenhousz war ein bekannter und anerkannter Anwender der sogenannten Variolation, also der Vorgängermethode von Jenners System. Diese Variolation wand er bei der Familie Georgs III. von Großbritannien an und an der Familie eben jener Kaiserin Maria Theresia, was ihm eine Stellung als Hofarzt bei einem jährlichen Salär von 5.000 Gulden einbrachte. Von daher war es nicht verwunderlich, dass er bereits im Oktober 1798 begann – trotz aller vorliegenden Beweise – zu behaupten, dass eine durchlebte Kuhpockeninfektion keinen Schutz gegenüber den Menschenpocken böte.
In meinen Augen ist das Verhalten von Dr. Ingenhousz nur natürlich, stellte Jenner mit seiner neuen Methode quasi sein medizinisches Lebenswerk in Frage und damit seine Reputation und sein Auskommen. Ich weiß nicht, ob ich an Stelle des niederländischen Doktors nicht auch so vehement gegen die Vaccination eingetreten wäre.
So, Jan Ingenhousz repräsentiert die Gruppe derjenigen Ärzte, die eine andere Meinung zu der Thematik vertreten, aber damit in die Diskussion einsteigen. Das ist ja noch legitim. Aber es kamen dann auch jene Dummbeutel mit an, die sich nicht weiter mit der Materie beschäftigt hatten und nur irgendwelche Schlagzeilen nachblökten.
Schon bald kursierten in Zeitungen und Flugblättern Karikaturen, wie Menschen nach der Impfung zu Kühen mutieren. Ist natürlich Blödsinn, aber das reicht ja schon, um Verwirrung und Verunsicherung zu säen. Oftmals wurde den Impfärzten vorgeworfen, sie betrieben eine „Verjauchung“ des Blutes.
Besonders den Kirchen war die Vorstellung, Menschen mit tierischem Material zu behandeln, äußerst suspekt und sie agitierten mit allen möglichen „religiösen“ Argumenten gegen die Pockenschutzimpfung.
Und als Rattenschwanz kamen dann noch die ganzen Blockflöten und Wichtigtuer mit ihren absurden Vorstellungen und Behauptungen an. Also das, was wir heute als „Aluhüte“ bezeichnen, die sich in einen pseudoreligiösen Wahn hineingesteigert haben und mit rationalen Argumenten nicht mehr erreichbar sind. Wie beispielsweise der zwielichtige Pater Joachim Haspinger, der behauptete, den Tirolern solle „bayerisches Denken“ eingeimpft werden. (Er nahm also den Chip, den heutige Wahnwichtel in den Impfdosen wähnen, voraus.)
Als 1881 dann noch Eugen Dühring in seinem antisemitischen Pamphlet Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage behauptete, dass die Schutzimpfung nur ein „Aberglaube“ sei, den „die Juden“ erfunden hätten, um sich „die Taschen vollzustopfen“, war also auch dieses Klischee geboren.
Das Bild des raffgierigen Juden, der sich entweder an den Impfungen bereichern oder damit „tapfere arische Kindlein“ meucheln will, zieht sich auch durch die ganze Zeit des sog. „Dritten Reiches“. So gab es beispielsweise den Reichs Impfgegner e.V., der mit seinen Flugblättern und Schriften gegen Impfungen agitierte. Auch in der nationalsozialistischen Propagandazeitung „Der Stürmer“ wurde regelmäßig gegen den „jüdischen Impfwahn“ gewettert.
Aber die Geschichte der Impfgegner ist sicherlich einen eigenen Artikel wert. Kommen wir zurück zu Edward Jenner, über den auch einige Kübel an Mist ausgekippt wurden.
Die wohl übelste Blase, die aus dem jämmerlichen Sumpf der persönlichen Diskreditierung Jenners immer wieder aufstieg ist die, dass er seine eigenen Kinder durch eine von ihm durchgeführte Vaccination umgebracht hätte. Als „Beweis“ gelten hierbei die „frühen“ Todesfälle seiner beiden Kinder Edward Robert (starb mit 11 Jahren) und Catherine Fitzhardinger (starb mit 39).
Was die Flitzpiepen von Impfgegnern allerding nicht bedenken ist, dass Jenner gerade diese beiden Kinder nie nach seiner Methode geimpft hat. Lediglich sein Sohn Robert wurde von ihm vacciniert und der wurde ja immerhin 57 Jahre alt.
Sohn Nr. 1 Edward Robert starb nachgewiesener Maßen an Tuberkulose, die er sich wohl von seinem Hauslehrer eingehandelt hatte, und seine Tochter starb im Kindbett nach der Geburt ihrer Tochter Catherine Sarah Jenner Bedford (später verh. Scobell).
Auch James Phipps, der im Knabenalter als erster Patient von Jenner nach seiner Methode geimpft wurde, wurden schlimmste Schicksale angedichtet. Allerdings lebte er glücklich und zufrieden mit seiner Frau und seinen Kindern in einem Cottage, das der Arzt ihm geschenkt hatte und starb im Alter von 65 Jahren.
Aber Fakten haben Impfgegner ja noch nie interessiert.
Man kann die weiteren Vorwürfe gegen Jenner im groben zu folgenden drei Punkten zusammenfassen:
1. Edward Jenner war überhaupt kein richtiger Arzt.
2. Edward Jenner war die bezahlte Marionette einer dunklen Macht.
3. Edward Jenner wurden zahlreiche private „Verfehlungen“ vorgeworfen.
Merkt ihr was? Genau! Das sind genau die gleichen Argumente, mit denen man heute versucht, die Homöopathiekritikerin Dr. Natalie Grams zu diskreditieren. Und genausowenig wie bei Dr. Grams trafen diese Argumente damals auch nicht bei Edward Jenner zu.
Ihr seht, es gibt tatsächlich nichts Neues unter Sonne. Wenn die Schwurbelfraktion auf sachlicher Ebene nicht weiter kommt, wird auf der persönlichen Ebene diskreditiert.
Jenner hat sich übrigens nie zu diesen Vorwürfen geäußert. Er forschte bis an sein Lebensende und publizierte regelmäßig seine Erkenntnisse. Damit hat er seine Gegner wohl am meisten getroffen.
Hallo Michael, es ist in der Tat spannend, wie sehr sich die Gruppe der Impfgegner von damals ähnelt. Wie man um seine Pfründe bangte und Verschwörungstheorien in die Welt setzte. Ich hab da auch mal darüber geschrieben, über Bayern und Tirol. Heute sind die Impfgegner größtenteils Heilpraktiker, damals war es die Zunft der Bader, die durch ausgebildete Ärzte ersetzt werden sollten…
https://chiemgaugemseneier.wordpress.com/2017/06/10/die-geschichte-der-impfgegener-bayern-und-sued-tirol/
Von daher war es nicht verwunderlich, dass er bereits im Oktober 1798 begann – trotz aller vorliegenden Beweise – zu behaupten, dass eine durchlebte Kuhpockeninfektion einen Schutz gegenüber den Menschenpocken böte.
-> Sollte es nicht „keinen“ heißen?
Danke Dir für den Hinweis!
Ich hab den unkorrigierten Text reinkopiert. Wird aber gleich erledigt!
Liebe Grüße
OM
Gern 🙂 Lese Deine Artikel sehr gern, vielen Dank für die Mühe!