Die Geschichte des Roten Kreuzes begann mit einem Mann: Henry Dunant. Dunant wurde am 8. Mai des Jahres 1828 im schweizerischen Genf geboren. Sein Vater war der Kaufmann Jean-Jacques Dunant, seine Mutter Antoinette Dunant, geborene Colladon. Bereits früh begleitete der kleine Henry seine Mutter bei Armen- und Krankenbesuchen und trat der Almosengesellschaft bei. Mit seinen Freunden veranstaltete er Abende für Bedürftige, woraus im Jahre 1852 dann der Christliche Verein Junger Männer (CVJM) hervorgeht. 1849 beendete Dunant vorzeitig seine Schulausbildung am Calvin-Kolleg und begann eine Banklehre. 1853 bereiste er im Auftrag der „Genfer Gesellschaft für die Kolonien“ Algerien und gründete dort die Mühlenaktiengesellschaft von Mons-Djemila. Bei diesem Vorhaben wurden ihm allerdings von der französischen Kolonialverwaltung viele Steine in den Weg gelegt. Er fasste den Plan, bei Napoleon III, Nominalkaiser von Frankreich, vorzusprechen und ihn um Hilfe für seine algerischen Projekte zu bitten. General de Beaufort vermittelte ihm auch tatsächlich eine Audienz bei Napoleon III Hierfür musste Dunant allerdings nach Norditalien reisen, wo sich der Franzose wegen des Krieges zwischen Italien und Frankreich auf der einen Seite und Österreich auf der anderen Seite aufhielt. Hier machen wir nun einen kleinen Exkurs in die italienische Geschichte.
Durch Erbfolge fielen die Provinzen Lombardei und Venetien gegen Ende des 18. Jahrhunderts an das Kaiserhaus Habsburg. Hiervon waren die Norditaliener natürlich nicht sehr begeistert und sahen die Österreicher nur als Besatzungsmacht an. Bereits im März 1848 gab es einen Volksaufstand, der die österreichische Herrschaft vertreiben sollte, um ein geeinigtes Italien zu schaffen. Dieser Aufstand wurde allerdings mit großer Brutalität vom österreichischen Feldmarschall Radetzky niedergeschlagen. Im Jahr 1859 nun unterstützte das Königreich Sardinien-Piemont massiv die italienischen Nationalisten, die sich bewaffneten, was den Österreichern natürlich nicht sehr gefiel. Kaiser Franz Joseph I stellte ein Ultimatum zur Entwaffnung, was die Italiener verstreichen ließen. Daraufhin wurden die österreichischen Truppen verstärkt und marschierten gegen die Aufständischen. Auf der einen Seite standen also die Österreicher, auf der anderen Seite die Truppen des Königreichs Sardinien-Piemont, die mit den französischen Truppen Napoleons III verbündet waren sowie die „Società Nazionale“ der Aufständischen unter Führung von Guiseppe Garibaldi.
Die österreichischen Truppen wurden von Kaiser Franz Joseph I geführt, der noch jung und unerfahren war. So gab es einige recht unverständliche Manöver der österreichischen Truppen, die von den alliierten Streitkräften natürlich ausgenutzt wurden. Am Donnerstag, den 23. Juni 1859 hatten die Österreicher Feindberührung an den Ufern des Flusses Mincio. Sie trieben überall die feindlichen Vortruppen mit Leichtigkeit zurück, besetzten Pozzolengo, Volta, Cuidizzolo und drangen am Abend bis Solferino und Castelgoffredo vor. Am nächsten Morgen warfen sie die feindliche Avantgarde noch weiter zurück, wobei der linke Flügel bis nahe an den Fluss Chiese kam; jetzt aber stießen sie auf die feindliche Hauptmacht, und die Schlacht wurde größer. Die beiden Flügel der Österreicher blieben im Vorteil, besonders der rechte, der die Piemontesen arg zurichtete, sodass die Österreicher hier sogar siegreich waren. Aber im Zentrum der Schlacht zeigte sich, dass die Italiener und Franzosen ihre Truppen besser in Stellung hatten bringen können und so blieb der Ort Solferino, der Schlüssel zum Zentrum der Schlacht, in deren Händen. Gleichzeitig bedrängten die alliierten Truppen den linken Flügel der österreichischen Armee so stark, dass Kaiser Franz Joseph den Befehl zum Rückzug geben musste, da er keine Reserven mehr hatte. Zu Hilfe kamen den Österreichern aber auch einsetzende Wolkenbrüche und Gewitter.
Allerdings waren die Franzosen und Italiener ebenfalls so geschwächt, dass sie die Österreicher unbehelligt abziehen ließen. Friedrich Engels schrieb in der Zeitung „Das Volk“ am 2. Juli 1859 über die Schlacht von Solferino: Soviel ist aber gewiß, daß die österreichischen Truppen wieder mit ausgezeichneter Tapferkeit gekämpft haben. Das beweist ihr standhaftes Aushalten, 16 Stunden gegen einen überlegenen Feind, und namentlich ihr geordneter Rückzug. Sie scheinen vor den Herren Franzosen gar keinen besonderen Respekt zu haben; Montebello, Magenta, Solferino scheinen ihnen keinen anderen Eindruck zu hinterlassen als die Gewissheit, daß sie bei numerischer Gleichheit nicht nur mit den Franzosen, sondern auch mit der Dummheit ihrer eigenen Generale fertig werden. Daß sie 30 Kanonen und angeblich 6000 Gefangene verloren haben, ist ein sehr erbärmliches Resultat für den Sieger in einer solchen Hauptschlacht.
Henry Dunant hatte die Schlacht bei Solferino hautnah miterlebt. Auf Vermittlung des Generals de Beaufort bekam er eine Audienz bei Kaiser Napoleon III, den er um Hilfe für seine algerische Mühlengesellschaft bitten wollte. So kam er am 24. Juni 1859 als „Tourist“, wie er selber schreibt, nach Solferino. Das Erlebnis der Schlacht erschütterte den jungen Schweizer Geschäftsmann ungemein. Dunant beschrieb in seinem Buch „Eine Erinnerung an Solferino“ die Schrecken der Schlacht recht eindrucksvoll:
Geschlossene Kolonnen drängen gegeneinander mit dem Ungestüm zerstörender Wildbäche, die alles vernichten, was ihnen im Wege steht. Französische Regimenter greifen in Schützenlinien die österreichischen Massen an, die immer neue Verstärkung erhalten, immer zahlreicher werden und die, Mauern aus Erz gleich, dem vorstürmenden Gegner Widerstand leisten.
Es ist ein Kampf Mann gegen Mann, ein entsetzlicher, schrecklicher Kampf. Österreicher und alliierte Soldaten treten sich gegenseitig unter die Füße, machen einander mit Kolbenschlägen nieder, zerschmettern dem Gegner den Schädel, schlitzen einer dem anderen mit Säbel und Bajonett den Bauch auf. Es gibt kein Pardon. Es ist ein allgemeines Schlachten, ein Kampf wilder, wütender, blutdürstiger Tiere. Selbst die Verwundeten verteidigen sich bis zum letzten Augenblick. Wer keine Waffen hat, packt den Gegner und zerreißt ihm die Gurgel mit den Zähnen.
An anderer Stelle wütet ein ähnlicher Kampf. Er wird noch schrecklicher durch das Nahen der Reiterschwadron, die im Galopp anstürmt. Die Pferde zertreten mit ihren beschlagenen Hufen Tote und Verwundete. Einem armen Blessierten wird die Kinnlade fortgerissen, einem anderen der Kopf eingeschlagen, einem dritten, den man hätte retten können, die Brust eingedrückt. In das Wiehern der Pferde mischen sich Verwünschungen, Wutschreie, Schmerz- und Verzweiflungsrufe. Den Reitern folgt im gestrecktem Lauf bespannte Artillerie. Sie bahnt sich ihren Weg über Tote und Verwundete, die auf dem Boden liegen. Gehirn spritzt aus den zerplatzenden Köpfen, Glieder werden gebrochen und zermalmt. Körper werden zu formlosen Massen. Die Erde wird buchstäblich mit Blut getränkt. Und die Ebene ist übersäht mit unkenntlichen Resten von Menschen…
An anderer Stelle liegen Unglückliche, die von Kugeln oder Granatsplittern getroffen und zu Boden gestreckt sind, denen aber darüber hinaus noch durch die Räder der Geschütze, die über sie hinweg fuhren, Arme und Beine zermalmt wurden. Der Anprall der zylindrischen Kugeln zerschmettert die Knochen vollständig, so daß eine Verwundung immer sehr schwer ist.
Um die Toten zu beerdigen und ihre Namen festzustellen, werden bei der französischen Armee eine Anzahl Leute in jeder Kompanie ausgeschieden. Im Allgemeinen ist es so, daß die Mannschaften eines jeden Korps ihre eigenen Waffengefährten betreuen. Sie stellen nach der Auffindung die Erkennungsnummer des Getöteten fest und legen dann mit Hilfe dafür bezahlter lombardischer Bauern den Leichnam in voller Uniform in ein Massengrab. Leider muß man annehmen, daß einige Bauern aus Achtlosigkeit oder grober Nachlässigkeit mehr als einen Lebenden mit den Toten beerdigt haben.
Mehr als vierzigtausend Tote und Verwundete lagen auf dem Schlachtfeld. Ziemlich genau zu jener Stunde, in der Dunant bei Solferino eintraf, ritt der siegreiche Kaiser Napoleon III mit großer Eskorte über das Schlachtfeld. Dabei wurde Majestät leider übel. Den Gestank eines eilig besuchten Feldlazarettes ertrug der Mann mit anfälligem Magen schon gar nicht mehr. Speiend und im Zustand des Nervenzusammenbruches schafften ihn Adjutanten ins behagliche Quartier.
Dies unterscheidet den Kaiser vom Handelsmann: Dunant, der noch nie zuvor die Schrecken eines Schlachtfeldes gesehen hatte, krempelte die Ärmel hoch und organisierte im nahen Ort Castiglione den Sanitätsdienst. Sein weißer Anzug färbte sich mehr und mehr mit Blut, aber er schaffte es, die ansässigen Bauern zur Mithilfe zu gewinnen. Unter dem Ruf „Wir sind alle Brüder“ kümmerten sich die Italiener auch um die österreichischen Verwundeten, die ja eigentlich „der Feind“ waren. Längst war sein ursprünglicher Reisezweck vergessen. Anstatt um seine algerischen Mühlen kümmerte Dunant sich um Verbandsmaterial, Wasser und Helfer. Er ging über das Schlachtfeld und kümmerte sich um die Sterbenden.
Dunant beschreibt die Szenen, die sich ihm boten, recht eindringlich: Die unglücklichen Verwundeten, die man tagsüber aufsammelt, sind bleich, fahl und verstört. Einige, und insbesondere diejenigen, die stark verstümmelt sind, sehen stier vor sich hin und scheinen nicht zu begreifen, was man ihnen sagt … Die, deren offene Wunden sich bereits entzündet haben, sind wie von Sinnen vor Schmerzen … Was für Todeskämpfe, was für leidvolle Szenen spielen sich in diesen Tagen des 25., 26. und 27. Juni ab. Die Wunden, sind durch Hitze und Staub, durch Mangel an Wasser und Pflege entzündet, und so werden die Schmerzen immer stärker. Erstickende Dünste verpesten die Luft, trotz lobenswerter Anstrengungen der Intendantur, alle in Lazarette verwandelten Räumlichkeiten sauber zu halten. Immer fühlbarer wird der Mangel an Hilfskräften, an Krankenwärtern und Dienstpersonal, denn die Transporte, die nach Castiglione abgehen, bringen von Viertelstunde zu Viertelstunde neue Züge von Verwundeten… Da sind einige, bei denen Mantel, Hemd, Fleisch und Blut eine unbeschreibliche schauervolle Mischung bilden, in die sich Würmer eingefressen haben. Viele erzittern bei dem Gedanken, von diesen Würmern zernagt zu werden. Sie glauben, die Maden kämen aus ihrem eigenen Körper, während sie jedoch von Myriaden von Fliegen stammen, von denen die Luft wimmelt. Dort liegt ein völlig entstellter Soldat, dessen Zunge übermäßig lang aus dem zerrissenen und zerschmetterten Kiefer heraushängt. Er macht alle Anstrengungen, sich zu erheben. Ich benetze seine vertrockneten Lippen und seine verdorrte Zunge. Dann nahm ich eine Handvoll Scharpie, tauche sie in einen Kübel, den man mir nachträgt, und drücke das Wasser aus diesem Schwamm in die unförmige Öffnung, die die Stelle seines Mundes vertritt. Einem anderen Unglücklichen ist durch einen Säbelhieb ein Teil des Gesichts fortgerissen worden. Nase, Lippen und Kinn sind von dem übrigen Teil des Kopfes getrennt. Unfähig zu sprechen und halb blind, macht er Zeichen mit der Hand. Durch diese erschütternde Gebärde, die von unartikulierten Tönen begleitet ist, lenkt er die Aufmerksamkeit auf sich. Ich gebe ihm zu trinken und lasse auf sein blutiges Antlitz einige Tropfen klaren Wassers träufeln. Ein Dritter, dessen Hirnschale weit offen klafft, liegt in seinen letzten Zügen. Sein Gehirn fließt auf die Steinfliesen der Kirche. Seine Unglücksgefährten versetzen ihm Fußtritte, weil er den Durchgang hindert. Ich schütze ihn in seinem Todeskampf und bedecke seinen armen Kopf, der sich noch schwach bewegt, mit meinem Taschentuch.“
Nur eine Frage beschäftigt den Schweizer Kaufmann: Gibt es während einer Zeit der Ruhe und des Friedens kein Mittel, um Hilfsorganisationen zu gründen, deren Ziel es sein müsse, die Verwundeten in Kriegszeiten durch begeisterte, aufopfernde Freiwillige, die für ein solches Werk besonders geeignet sind, pflegen zu lassen?“ So führt er in seinem Buch seine Gedanken aus.
Und weiter schreibt er: „Welchen Nutzen hätte eine Schar tatkräftiger, begeisterter und mutiger Helfer auf dem Felde der Vernichtung bringen können in jener unheilvollen Nacht, als Tausende von Verwundeten vor Qual stöhnten und herzzerreißend um Hilfe riefen. Menschlichkeit und Zivilisation verlangen gebieterisch, daß man ein Werk, wie wir es hier angedeutet haben, in Angriff nimmt.
Aber auch als Dunant in seine Genfer Heimat zurückgekehrt war, beschäftigte ihn das Gesehene noch stark und so erschien am 9. Juli 1859 im „Journal de Genève“ ein Hilfsaufruf für die Verwundeten der Schlacht von Solferino. In den Jahren 1860 und 1861 widmet sich Dunant hauptsächlich seinem Buch „Eine Erinnerung an Solferino“, in dem er seine Eindrücke und Erlebnisse des Jahres 1859 niederschreibt und die regierenden Häuser Europas zur Gründung einer internationalen Hilfsallianz aufruft. Dieses Buch, das noch heute ein beeindruckendes Mahnmal für den Frieden darstellt, erschien 1862 in einer Auflage von 1.600 Stück. Die Kosten hierfür übernimmt Dunant selbst. Nicht in Frage gestellt ist das Recht der Nationen, Kriege zu führen. So fällt es auch den kriegerischsten Herrschern leicht, Dunants Ideen aufzugreifen. Dunant schlägt den kriegführenden Mächten in Europa vor:
- Einen internationalen Vertrag zu schließen
- Hilfsgesellschaften zur Unterstützung der Heeressanitätsdienste im Kriegsfall zu bilden und
- Verwundete und Kranke, Sanitätseinrichtungen und Personal zu schützen.
In den Metropolen Europas riss man sich um die „Erinnerung an Solferino“ und ihren Autor. Von Paris bis Petersburg eilte Dunant mit messianischem Eifer. Er war zudem ein glänzender Überreder. Er besuchte Regierung um Regierung, hielt Vortrag um Vortrag. Daneben liefen seine algerischen Geschäfte, aber sie liefen schlecht.
1863 gründete Dunant mit den vier Genfer Bürgern Gustave Moynier, Dr. Louis Appia, Dr. Théodore Maunoir und General Dufour das „Komitee der Fünf“, die Keimzelle des heutigen „Internationalen Komitees vom Roten Kreuz“. Am 26. Oktober 1863 trat dann bereits in Genf eine Konferenz zusammen. 26 Vertreter von siebzehn Nationen nahmen teil, dazu die Mitglieder des Komitees der Fünf. Das Heft fest in der Hand hatte General Dufour. Dunant selbst, kommerziell schon angeschlagen und nie sehr realistisch im Umgang mit Bürokratien, war auf die Rolle des Schriftführers beschränkt. Er sagte kein Wort. Paragraphen, Abkommen, Beschlüsse sind seine Sache nicht. Aber trotzdem wurde mit den Beschlüssen, nationale Gesellschaften zu gründen und eine weiße Armbinde mit dem roten Kreuz als gemeinsames Zeichen zu bestimmen, Dunants erstes großes Ziel erreicht: Der Grundstein für die weltumspannende Rotkreuz-Bewegung war gelegt, das Rote Kreuz am 29. Oktober 1863 geboren.
Im August des Jahres 1864 entstand nach langer Beratung das „Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde“. Diese erste Konvention sieht unter anderem folgende Grundsätze vor:
- Ambulanzen und Militärspitäler sowie Krankenpersonal werden im Krieg als neutral angesehen.
- Landesbewohner, die Verwundeten zu Hilfe kommen, sind zu schonen.
- Verwundete oder kranke Soldaten sind ungeachtet ihrer Nationalität zu versorgen.
Die Genfer Konvention wird ständig erweitert, deswegen sprechen wir auch von DEN Genfer Konventionen. Die Chronologie lautet:
1864 – Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde
1899 – Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See
1919 – Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen
1949 – Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten
1977 – Erweiterung des Vertragswerkes um zwei Zusatzprotokolle über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte und den Schutz der Opfer nicht-internationaler bewaffneter Konflikte
Die ursprüngliche Konvention von 1864 wurde am 22. August von 16 Staaten unterzeichnet. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts traten 38 weitere Staaten bei.
In der ersten Genfer Konvention wurde auch die Unterscheidung zwischen dem Roten Kreuz als Schutzzeichen und Kennzeichen geregelt.
So bahnbrechend die Annahme der Genfer Konvention für die Menschheit war, so enttäuscht war doch Henry Dunant. Manchmal erscheint auf der Bühne des Weltgeschehens ein Mensch. Noch ist ihm das Außergewöhnliche seiner Bestimmung kaum anzumerken. Er tut, was er aus einem schwer erklärbaren Inneren heraustun muss. Und verschwindet dann im Nirgendwo. Dunants Schicksal ist hart, groß und einzigartig. Schon bei den Verhandlungen von 1864 ist der Mann, der später als Gründer des Roten Kreuzes anerkannt wird, auf die Funktion eines Frühstücksdirektors gesunken. Mit anderen Worten: er kümmert sich um die Zerstreuung der Staatsvertreter.
1864 wurde die Rotkreuzarmbinde das erste Mal im deutsch-dänischen Krieg als anerkanntes Schutzzeichen verwendet.
Vier Jahre später beschuldigte man Dunant des betrügerischen Bankrotts und sein Komitee sagte sich von ihm los. Dunant trat als Sekretär des „Internationalen Komitees vom Roten Kreuz“ zurück und übersiedelte nach Paris, wo er in ärmlichen Verhältnissen lebte. Auf der Pariser Weltausstellung wurde ihm eine Goldmedaille für seine Verdienste verliehen. 1870 gründete Dunant eine „Allgemeine Fürsorgegesellschaft“ und kurz darauf eine „Allgemeine Allianz für Ordnung und Zivilisation“. Dies empfand das Rote Kreuz allerdings als Provokation, sodass die Allgemeine Allianz ihre erste Internationale Konferenz 1872 nicht überlebte.
Während des Russisch-Türkischen Krieges von 1877/78 erklärte das Osmanische Reich, dass das rote Kreuz die religiösen Gefühle seiner Soldaten verletzen würde und nahm deshalb den roten Halbmond als Schutzzeichen an. Deswegen sprechen wir heute noch von der Rotkreuz- bzw. Rothalbmondbewegung.
Dies zeigt, dass die Idee des Roten Kreuzes mehr und mehr Verbreitung fand, was natürlich in erster Linie dem Werk Henry Dunants zuzuschreiben ist. Elf Jahre lang irrte er auf seiner Mission für die Durchsetzung der Genfer Konventionen durch ganz Europa. Er schlief auf Bahnhöfen und in Grünanlagen, hatte oft nur ein einziges Stück Brot am Tag zu essen. In seinem Elend wandt er sich 1887 an seinen Bruder Pierre und bat ihn um Hilfe.
Der Familienrat der Dunants beschloss daraufhin, Henry eine jährliche Pension von 1.200 Franken zu überweisen. Dies war seine Rettung. Dunant fand schließlich nach Heiden hoch über dem Bodensee und ließ sich dort ebenfalls 1887 nieder. Dort lebte er in der Pension „Le Paradis“. Allmählich erholte er sich wieder, arbeitete im Hotel „Freihof“ in Heiden und kümmerte sich dort um die Betreuung von hohen Gästen des Hotels. Er wurde zu einer vertrauten Gestalt in dem kleinen Ort und die Kinder hatten den Mann mit dem weißen Bart rasch in ihr Herz geschlossen. Die Idee des Roten Kreuzes ließ ihn aber nicht los und so veranstaltete er einen Aufruf an die Einwohner Heidens, in dem er daran erinnerte, dass das Rote Kreuz in der Schweiz gegründet wurde. Allerdings erwähnte er nicht, dass er dessen Gründer war, denn er legte Wert darauf, im Hintergrund zu bleiben, da er es als besser im Interesse des Werkes betrachtete. Seine Bemühungen fruchteten allerdings und 1888 wurde die Rotkreuzsektion Heiden gegründet.
Der Schleier des Vergessens begann sich im Jahre 1892 zu lichten. In Anwesenheit von Kardinal Langeérieux beendete Domherr Broyé in Reims seine Messe mit den Worten: Erlauben sie, mir hier den Namen eines Mannes zu nennen, dem wir den Fortschritt der brüderlichen Nächstenliebe verdanken: Es ist Henry Dunant. Ein Mann, der ein solches Werk schuf, gehört nicht mehr einer einzigen Nation, sondern der gesamten Menschheit an! Daraufhin reiste der Journalist Georg Baumberger nach Heiden und berichtete über Dunant in der „Deutschen Illustrierten Zeitung über Land und Meer“ woraufhin ein Strom der Sympathiekundgebung losbrach, die Welt hatte Dunant wieder.
Briefe und Geschenke trafen ein. Die Bewunderer schrieben von überall her. Aus Genf jedoch, wo das Internationale Komitee durch die Wiederauferstehung ihres Ex-Sekretärs in Verlegenheit gebracht wurde, hörte man kein einziges Wort. Ein Genfer Bürger kommentierte die Angelegenheit so: Stimmt dies, dann ist es eine Schande für seine Stadt, seinen Kanton und die gesamte Zivilisation!
Baumberger richtete einen Aufruf an den schweizerischen Bundesrat. Er traf den Nagel auf den Kopf und zögerte auch nicht, vom „Dunant-Skandal“ zu sprechen. In Stuttgart gründete Professor Müller ein Aktionskomitee für Dunant. Anlässlich des 25. Jahrestages des Eingreifens des Roten Kreuzes in den Krieg von 1870 sagte Müller in einer Ansprache: Der Urheber eines der wohltätigsten Werke unseres Jahrhunderts lebt seit 29 Jahren in erbärmlichen Verhältnissen, zerfressen von Kummer und vergessen! Alle zivilisierten Nationen stehen in seiner Schuld! Dieser Aufruf brachte 25.000 Mark ein, Dunant lehnte es allerdings ab, dass dieses Geld für ihn ausgegeben werden sollte. Er verlangte, dass das Geld dem Roten Kreuz zufließt, um dessen Arbeit zu unterstützen. Hieraus entstand die „Dunant-Stiftung“.
Dies wurde ihm vom Internationalen Komitee allerdings nicht gedankt, die Männer des Genfer Komitees wollten ihn zur Seite drängen, um allen Ruhm der Gründung für sich selbst in Anspruch zu nehmen, so wurde Gustave Moynier als Gründer des Roten Kreuzes genannt. Die Welt kannte allerdings die Wahrheit. So schrieb Papst Leo XIII an Dunant: „Wir nehmen lebhaftes Interesse an dem großartigen Werk, dem Sie all ihre Kraft mit so viel Aufopferung widmeten. Und Freifrau von Frederiksz schrieb in einer Denkschrift: Ich möchte es mit all jenen, die ich 1870, 1876 und 1877 unter der Fahne des Roten Kreuzes pflegte, noch einmal sagen: Gesegnet sei der, der das Mittel fand, durch das schönste und christlichste Werk auf Erden die Grauen des Krieges und die Leiden zu lindern.
Ehrungen, Bekundungen und Auszeichnungen aller Art aus aller Welt ermutigten Dunant, der nun zur Feder griff, um die Ideen von Pazifismus und Abrüstung festzuhalten. Die „Dunant-Bewegung“ wurde ins Leben gerufen. Nichts und niemand konnte sie stoppen. In Paris wurde die „Weltweite Liga der Frauen für allgemeine Abrüstung“ ins Leben gerufen und Dunant wurde ihr Präsident. Bertha von Suttner reiste quer durch Europa, um seine Ideen bekannt zu machen. Zu diesem Zeitpunkt allerdings war Dunant schon sehr krank.
Erst ein Projekt des Zaren Nikolaus II gab ihm wieder neuen Schwung. Der russische Zar wollte nämlich eine Konferenz einberufen, um Mittel und Wege zu finden, die Katastrophen, die die ganze Welt bedrohen, zu verhüten.
Diese Konferenz fand am 18. Mai 1899 in Den Haag statt. An ihr nahmen neben den europäischen Staaten auch die USA, Mexiko, Persien, China, Japan, Siam und die Türkei teil. Allerdings konnten trotz der intensiven Beratungen nicht alle Ziele des Zaren verwirklicht werden. So erwies sich die von den Russen als Hauptthema in die Konferenz getragene Rüstungsfrage als sehr problematisch. Die drei russischen Vorschläge einer qualitativ zu begrenzenden Rüstung, einer quantitativen Begrenzung und eines Verbotes zukunftsweisender Waffensysteme scheiterten an den fehlenden Kontrollmöglichkeiten. Hinter diesem scheinbar rein technischen Problem verbarg sich jedoch vor allem das Beharren der einzelnen Staaten auf nationale Souveränität. Die Haager Friedenskonferenz endet daher in Bezug auf die Rüstungsbeschränkung nur mit einer unverbindlichen Resolution. Was allerdings eingeführt wurde, war der Haager Schiedsgerichtshof. Nachdem bereits im Vorfeld der Konferenz klargeworden war, dass die Rüstungsfrage ein wenig erfolgreiches Thema werden würde, konzentrierten sich die Verhandlungen auf die Kriegsvermeidung durch Schiedsinstanzen. Aber auch hier ergab sich, dass die teilnehmenden Staaten keine tatsächlichen Ergebnisse erwarteten. Das große öffentliche Interesse, das die Konferenz begleitete, zwang die Delegationen dennoch, positive Ergebnisse zu formulieren. So fixierte die verabschiedete Schiedsgerichtskonvention hauptsächlich die gängige politische Praxis. Hinter der neu geschaffenen Institution des „Ständigen Haager Schiedsgerichtshofes“ verbarg sich lediglich eine Liste von Persönlichkeiten, derer sich streitende Parteien als Schiedsrichter bedienen konnten. Vor allem Frankreich, Österreich und das Deutsche Reich beharrten hier auf der absoluten nationalen Souveränität.
Die Kodifikation des Landkriegsrechts wurde durch das Haager Abkommen über die Rechte und Gebräuche des Landkriegs weitgehenst abgeschlossen. Die Landkriegsordnung, die in großen Teilen auf die nicht ratifizierte Brüsseler Deklaration von 1874 zurückging, wollte mit der Verrechtlichung des Krieges dessen „Humanisierung“ bewirken und regelte so unter anderem die Rechtsstellung der Kriegsgefangenen, die zulässigen Kriegsmittel und die Rechte in okkupiertem Gebiet. In einem weiteren Abkommen werden die Grundsätze der Genfer Konvention von 1864 für den Seekrieg übernommen, davon haben wir ja schon gehört.
Dunant schrieb in Heiden zahlreiche Artikel zu der Friedenskonferenz in Den Haag und meinte schon, dass dies der Anfang einer neuen Ära sei. Seine finanziellen Probleme waren schon seit einigen Jahren verschwunden, seit ihn ein Telegramm der russischen Zarin Maria Feodorowna erreichte, in dem sie ihm mitteilte: Ich schätze Ihre Verdienste im Dienst der Menschlichkeit, nämlich des Roten Kreuzes, und freue mich, eine Entscheidung des Zentralkomitees mitzuteilen, nach der Ihnen eine jährliche Summe von 4.000 Francs gewährt wird. Weitere Ehrungen wurden Dunant verliehen, so ehrte ihn der 12. Internationale Ärztekongress in Moskau mit dem Ehrenpreis für seine außerordentlichen humanitären Verdienste. Und die Ärztevereinigung aus dem russischen Odessa telegrafierte ihm: Sie haben unschätzbare Dienste geleistet, um die Leiden zu lindern und das Leben zahlloser zu retten.
Aber für Dunant kam die Nachricht, die alle Glückwünsche, Preise und Auszeichnungen übertraf, aus Bern: Er wurde offiziell zum Gründer des Roten Kreuzes und als Urheber der Genfer Konvention anerkannt. Weiterhin verbreitete die Dunant-Stiftung das Buch „Die Entstehungsgeschichte des Roten Kreuzes“ eines Herrn Müller. Herr Müller erhielt von der Pazifistin Bertha von Suttner einen Brief, in dem sie anregte: Anläßlich seines 70. Geburtstages sollte man etwas tun, damit all seine Zeitgenossen ihm ihre Ehre erweisen.
Daraufhin machte sich Müller an die Arbeit, die einzelnen Teile für eine „Akte Dunant“ zusammenzutragen, die so vollständig als möglich sein sollte. Diese Akte sandte er dann an den norwegischen Militärarzt Hans Daue und an den norwegischen Schriftsteller Björnstjerne Bjoernsson, Mitglied des Nobelkomitees.
Und am 10. Dezember 1901 erreichte Dunant ein Telegramm aus Christiania in Norwegen: An: Henry Dunant, Heiden. Das Nobelkomitee des norwegischen Parlaments hat die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß es den Friedensnobelpreis 1901 je zur Hälfte an Sie, Henry Dunant, und an Frédéric Passy verliehen hat. Das Komitee sendet seine Ehrerbietung und seine aufrichtigen Wünsche.
Aus allen Teilen der Welt trafen Telegramme, Briefe und Urkunden in Heiden ein. Und die europäischen Herrscher überhäuften den Pilger der Wohltätigkeit mit Glückwünschen. In Genf löste diese Nachricht allerdings Aktivitäten in anderer Richtung aus. Nachdem der Nobelpreis mit 73.391,11 Kronen dotiert war, versuchten Dunants alte Gläubiger, dieses Geld an sich zu bringen, was vom Nobelkomitee allerdings verhindert wurde. In seinem Testament aber führte Dunant aus: Ich will, daß dieses Geld in erster Linie dazu verwendet wird, meine alten Gläubiger auszuzahlen. Der Rest soll je zur Hälfte an philantropische Werke in der Schweiz und in Norwegen aufgeteilt werden.
Am 30. Oktober 1910 starb Henry Dunant im hohen Alter von 82 Jahren in der Stille Heidens. Er starb, wie Fernand Gigon ausführte In Frieden mit Gott und durch die Menschheit gezeichnet. Seine letzten Worte waren: Ich wünsche zu Grabe getragen zu werden wie ein Hund, ohne eine einzige von euren Zeremonien, die ich nicht anerkenne. Ich rechne auf eure Güte zuversichtlich, über meinen letzten irdischen Wunsch zu wachen. Ich zähle auf eure Freundschaft, daß es so geschehe.
Ein Gedanke zu “Henry Dunant und die Gründung des Roten Kreuzes”
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