Der Mensch und sein Wurm – Heute: Der Zahnwurm

Bereits bei den Völkern des Altertums gab es den Glauben, dass es eine ganz besondere Beziehung zwischen Mensch und Wurm gibt. So gibt es immer wieder die Vorstellung, dass der menschliche Körper aus Würmern künstlich zusammengesetzt wurde und nach dem Tod sich wieder in Würmer auflöst. Im Mittelalter hatte sich die Vorstellung dahingehend geändert, dass man glaubte, der Mensch trüge einen Wurm in sich, der ihn von innen heraus auffräße, bis der Mensch stirbt. Woher dieser Glaube kommt, liegt im Dunkeln. Allerdings ist es denkbar, dass diese Vorstellung auf das Auffinden von Parasiten in menschlichen Kot oder Auswurf zurückgeht, bewegen wir uns doch hier in einer Zeit mit nur rudimentärer Hygiene.

Ganz besonders interessant ist der Glaube an den sogenannten „Zahnwurm“. Dieser Zahnwurm soll im Inneren eines Zahnes wohnen und Zahnschmerzen verursachen.

Die erste schriftliche Überlieferung stammt aus der Zeit um 1800 v.Chr. aus Mesopotamien. Hierin heißt es:

Wenn der Zahn eines Menschen vom Wurm befallen ist,
zerpulverst du (Wasser)melde in Feinöl.
(Bei der Applikation verfährst du folgendermaßen:)
Wenn sein Zahn auf der rechten Seite erkrankt ist, so gießt du es auf den Zahn in der linken Seite und er wird gesund werden.
Wenn (aber) sein Zahn auf der linken Seite erkrankt ist, so gießt du es auf den Zahn in der rechten Seite und er wird gesund werden.

Auch bei den Assyrern, den Ägyptern und selbst bei den Azteken und Mayas taucht der Zahnwurm immer wieder auf, genauso wie im griechisch-römischen Altertum. Scribonius Largus geht sogar so weit, den Zahnwurm auch als Heilmittel zu sehen.

Die Inder wiederum gingen davon aus, dass der Zahn hohl wird, sich mit Essensresten und Dreck anfüllt und dadurch erst die Würmer entstehen. Im „Astangahrdayasamitha“ des Vâgbhata heißt es dazu:

Ist das Knochenmark durch die Dosa`s 67 unter Vorherrschen des Windes nach ihrem Eindringen in Zahn und Wurzel ausgetrocknet, der Zahn ausgehöhlt und mit Speise und Schmutz angefüllt worden […], entstehen durch die Fäulnis feine Würmer, und dadurch entsteht ohne Grund heftiger Schmerz oder Nachlassen desselben. Ist der Zahn unter Jucken schwarz und lose geworden […], heisst er Pralûna („abgeschnitten“), doch hat er [Ausfluss von] Eiter und Blut, nennt man ihn Krmidantaka („Wurmzahn“).

Bei den Chinesen gab es sogar selbsternannte „Zahnwurmentferner“, die mit allerlei Tricks den Menschen eine Entfernung des Zahnwurmes bei Eingriffen vorgaukelten. Ähnliche Quacksalber gab es auch in der arabischen Welt.

Auch in Europa war der Zahnwurm gut bekannt, so schreibt Hildegard von Bingen in ihrer „Causae et curae“:

Der Mensch muß immer wieder die Zähne zwischendurch durch Spülen mit Wasser reinigen; tut er dies nicht regelmäßig, dann entsteht als Folge mitunter im Fleisch um die Zähne ein Livor (=Zahnbelag) und vermehrt sich, so dass das Zahnfleisch krank wird. Auch entstehen aus dem Livor, der sich um die Zähne abgelagert hat, schon einmal Zahnwürmer, die ebenfalls das Zahnfleisch anschwellen lassen; so hat der Mensch seinen Zahnschmerz.

Hilft dies nicht, empfiehlt sie zur Behandlung des Zahnwurmes eine Räucherung mit Aloe und Myrrhe. Dies unterscheidet sich grundlegend von den bis dahin durchgeführten Behandlungen, die hauptsächlich in Räucherungen mit Bilsenkraut bestanden.

Der Glaube an den Zahnwurm hielt sich tatsächlich recht lange, findet man doch in zahlreichen medizinischen Werken des Mittelalters Kapitel über seine Behandlung. Diese Behandlungen muten dann doch skurril an. Erst 1557 finden wir mit dem französischen Professor Jacques Houllier einen Kritiker des Zahnwurm-Glaubens. Houllier geht davon aus, dass die Zahnschmerzen durch normale Fäulnis entsteht und gerade die Räucherungen mit Bilsenkraut Betrug seien. Damit blieb er allerdings recht alleine, findet man doch bis weit ins 17. Jahrhundert hinein den Zahnwurm in der medizinischen Literatur. Allein das Maß an Skurillität bei der Behandlung nahm zu. So sollte nund der Magensaft frisch geschlachteter Schweine oder ein Haschee aus geröstetem Hasenkopf und weiblichen Schamhaaren helfen. Der Holländer Anton van Leeuwenhoek behandelt schmerzende Zähne mit Vitriol und geht davon aus, dass er damit den Wurm im Zahn tötet.

Zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurden es immer mehr Wissenschaftler, die sich der Zahnwurm-Theorie entgegenstellten. Letztendlich war es der Franzose Pierre Fauchard, der den Zahnwurm endgültig ins Reich der Fabeln verwies. Er schreibt:

Manchmal findet man Würmer in der Karies der Zähne zwischen dem Zahnstein; man nennt sie Zahnwürmer (vers dentaires). Darüber gemachte Beobachtungen werden von berühmten Autoren berichtet. Da ich noch nie welche gesehen habe, schließe ich sie weder aus, noch gebe ich sie zu. Doch verstehe ich, daß es physisch nicht unmöglich ist; aber zur gleichen Zeit glaube ich, dass nicht diese Würmer die Zähne annagen und zerfressen; daß man sie dort bloß antrifft, weil die Nahrungsmittel oder der verdorbene Speichel in die Karies der Zähne Eier von irgendwelchen Insekten übertragen haben, welch sich mit den Speisen vermengt gefunden haben, und daß diese Eier, nachdem sie so niedergelegt waren, sich haben öffnen und auf diese Weise zu Tage haben treten können. Wie dem auch sei, da diese Würmer nicht die einzige Ursache sind, die es bei einer solchen Gelegenheit zu bekämpfen gilt, erfordert ihr Vorhandensein keine besondere Rücksicht.

Und weiter:

Ich habe Alles, was ich konnte, gethan, um mich mit eigenen Augen von der Existenz dieser Würmer zu überzeugen. Ich hab das ausgezeichnete Mikroskop von Monsieur de Mondeville angewandt. Damit habe ich eine Menge Untersuchungen sowohl von Caries in eben ausgezogenen Zähnen, wie von Zahnstein verschiedener Sorten vorgenommen, ohne daß ich doch je Würmer habe entdecken können.

Nur noch der Volksglaube und die Laienmedizin hält noch am Würmer-Glauben fest. Und auch in der Wissenschaft gab es zuerst noch einige Diskussionen, wie es halt immer so ist. So verwundert es auch nicht, dass man noch 1825 einen Bericht im „Magazin für die gesammelte Heilkunde“ zu diesem Thema findet.

Und mit der 1890 von Willoughby D. Miller aufgestellten „Chemoparasitären Theorie“ war der Zahnwurm endgültig ein Fabeltier geworden.