Ein Schuss! Ein Schrei! Homöopathie bei Karl May

Jaja, ich weiß ja, Karl May habt ihr alle schon gelesen, wahrscheinlich mit der Bettdecke über’n Kopf und mit Taschenlampe. Und auch wenn ihr jetzt wahrscheinlich laut BUUUUUUH! ruft, ich konnte mit Mays Büchern nie etwas anfangen, obwohl ich ihm weiß Gott oft genug eine Chance gegeben habe. Winnetou, Der Schatz im Silbersee, Old Firehand, bei allen habe ich es noch nicht einmal zur Hälfte geschafft. Wollte ich Abenteuer, griff ich tatsächlich lieber zu den Jugendbuchausgaben der Klassiker. Die Schatzinsel, Gullivers Reisen, Robinson Crusoe, alle habe ich verschlungen, aber Karl May blieb mir immer verschlossen.

Die Filme ja, die mochte ich. Sogar weniger die Western sondern eher die Orientabenteuer, in denen Lex Barker als Kara Ben Nemsi und Ralf Wolter als Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah durch Jugoslawien ritten und verzweifelt den Orient suchten.

Hätte ich die Bücher gelesen, hätte ich sicherlich bemerkt, dass in Karl Mays Orientzyklus auch die Homöopathie eine kleine Nebenrolle spielt. Im Band „Durch die Wüste“ sogar eine größere.

Aber wie kommt Kara Ben Nemsi, der sächsische Reisende überhaupt dazu, Behandlungen durchzuführen? Das erfahren wir auf Seite 79 des Bandes: Im Morgenlande wird jeder Deutsche für einen großen Gärtner und jeder Ausländer für einen guten Schützen oder für einen großen Arzt gehalten. Nun war mir unglücklicherweise in Kairo eine alte, nur noch halb gefüllte homöopathische Apotheke von Willmar Schwabe in die Hand gekommen; ich hatte hier und da bei einem Fremden oder Bekannten fünf Körnchen von der dreißigsten Potenz versucht, dann während der Nilfahrt meinen Schiffern gegen alle möglichen eingebildeten Leiden eine Messerspitze Milchzucker gegeben und war mit ungeheurer Schnelligkeit in den Ruf eines Arztes gekommen, der mit dem Scheidan im Bunde stehe, weil er mit drei Körnchen Durrhahirse Tote lebendig machen könne. (*)

Die „Homöopathische Dispensieranstalt“ bzw. ab 1866 „Homöopathische Central-Apotheke“ von Wilmar Schwabe im Leipziger Thomaskirchhof 12 kannte Karl May recht gut. Dort hatte er sich 1865 oberhalb der Apotheke eine möblierte Wohnung gemietet und für einen Betrug und Diebstahl verwendet. Karl May hatte bei einem Pelzhändler ein besonders wertvolles Stück zur Ansicht in diese Wohnung bestellt. Unter dem Vorwand, ihn seiner Frau zeigen zu wollen nahm er den Pelz dem Verkäufer ab, ging ins Nebenzimmer und verschwand über die Hintertreppe mit dem teuren Teil. Er wurde allerdings bei dem Versuch, den Pelz zu verkaufen verhaftet.

Das „Leipziger Tageblatt“ vom 10. Juni 1865 schrieb dazu: Am 20. März d.J. traf er hier ein, suchte und fand eine im Tageblatte angekündigte Wohnung als seinem Zwecke entsprechend auf dem Neukirchhofe Nr. 12, 3 Treppen, wurde mit der Wirthin über den Miethzins einig, hing seine Geldtasche in dem dortigen Kleiderschranke auf und entfernte sich sodann Behufs eines dringenden Geschäftsweges, nachdem er sich für einen Noten= und Formenstecher Hermes ausgegeben hat.

Bald darauf kehrte er in seine Stube zurück, gefolgt von dem Lehrling eines hiesigen, auf dem Brühle wohnhaften Kürschnermeisters, der einen von Hermes erhandelten Reisepelz im legalen Werthe von 60 Thlr. überbrachte, um dagegen den Kaufpreis in Empfang zu nehmen. Hermes probierte nochmals das Kleidungsstück um, meinte, daß es nicht das ausgesuchte sein könne, weil es ihm zu weit vorkomme und entfernte sich dann, um das Geld, so wie Tinte und Feder zur Quittung überbrachten Rechnung zu holen, in das Nebenzimmer, um von hier aus, ohne zuvor seinem Versprechen Folge geleistet zu haben, sofort zu verschwinden.

Inzwischen hatte May nichts Eiligeres zu thun, als den erschwindelten Pelz an den Mann zu bringen. Einem Meubleur auf der Reichsstrasse bot er ihn vergeblich zum Kaufe um 40 Thlr.] an. Glücklicher war er bei einer Frau B. auf der Halle’schen Straße, welche ihm versprach, den Pelz für nächsten Morgen beim Leihhause zu verpfänden, da es an jenem Abende bereits zu spät sei, ihm auch auf sein Verlangen abschlägig 10 Thlr. aushändigte.

Am anderen Morgen gelang es der Polizeibehörde zwar, sich in den Besitz des Pelzes zu setzen, May’en konnte man indessen erst sechs Tage später festhalten, als er durch einen Packträger versuchte, den Rest des Pfandschillings zu erlangen. Der Betrüger wurde, wie s.Z. berichtet wurde, im Rosenthale mit Hilfe des gedachten Packträgers festgehalten.

Aber das nur am Rande. Schauen wir, was Kara Ben Nemsi im Orient so treibt mit seiner homöopathischen Reiseapotheke. Ein einflussreicher Verwaltungsbeamter stellt sich bei ihm vor, als er gerade in Ägypten weilt. Die Frau des Beamten sei erkrankt und kein Arzt konnte ihr bisher helfen.

»Was fehlt ihr?«

»Niemand weiß es; aber ihr Leib ist krank, und ihre Seele ist noch kränker.« […]

»Es ist großes Herzeleid gekommen über das Haus meines Gebieters, denn Güzela, die Krone seines Herzens, schwindet hin in die Schatten des Todes. Kein Arzt, kein Fakhir und kein Zauberer vermochte den Schritt ihrer Krankheit aufzuhalten. Da hörte mein Herr – den Allah erfreuen möge – von dir und deinem Ruhme und daß der Tod vor deiner Stimme flieht. Er sandte mich zu dir und läßt dir sagen: Komm und nimm den Tau des Verderbens von meiner Blume, so soll mein Dank süß sein und hell wie der Glanz des Goldes.« […]

Ich erhob mich, warf ein anderes Gewand über und griff nach meinem Kästchen mit Aconit, Sulphur, Pulsatilla und all‘ den Mitteln, welche in einer Apotheke von hundert Nummern zu haben sind. […]

»Also wenn sie krank ist und keine Speise zu sich nimmt -«

»Keine?«

»Nicht die geringste!«

»Weiter!«

»Den Glanz ihrer Augen und die Fülle ihrer Wangen verliert – wenn sie müde ist und doch den Genuß des Schlafes nicht mehr kennt – – –«

»Weiter!«

»Wenn sie nur lehnend steht und langsam, schleichend geht – vor Kälte schauert und vor Hitze brennt – – –«

»Ich höre. Fahre fort!«

»Bei jedem Geräusch erschrickt und zusammenzuckt – wenn sie nichts wünscht, nichts liebt, nichts haßt und unter dem Schlage ihres Herzens zittert – – –«

»Immer weiter!«

»Wenn ihr Atem zu sehen ist wie der des kleinen Vogels – wenn sie nicht lacht, nicht weint, nicht spricht – wenn sie kein Wort der Freude und kein Wort der Klage hören läßt und ihre Seufzer selbst nicht mehr vernimmt – wenn sie das Licht der Sonne nicht mehr sehen will und in der Nacht wach in den Ecken kauert – – –«

Wieder blickte er mich an, und in seinen flackernden Augen war eine Angst zu erkennen, welche sich durch jedes der aufgezählten Krankheitssymptome zu nähren und zu vergrößern schien. Er mußte die Kranke mit der letzten, trüben und also schwersten Glut seines fast ausgebrannten Herzens lieb haben und hatte mir, ohne es zu wissen und zu wollen, mit seinen Worten sein ganzes Verhältnis zu ihr verraten.

»Du bist noch nicht zu Ende!«

»Wenn sie zuweilen plötzlich einen Schrei ausstößt, als ob ein Dolch ihr in die Brust gestoßen würde – wenn sie ohne Aufhören ein fremdes Wort flüstert -«

»Welches Wort?«

»Einen Namen.«

»Weiter!«

»Wenn sie hustet und dann Blut über ihre bleichen Lippen fließt – – -«

Er blickte mich jetzt so starr und angstvoll an, daß ich merken mußte, meine Entscheidung sei ein Urteil für ihn, ein befreiendes oder ein vernichtendes. Ich zögerte nicht, ihm das letztere zu geben: »So wird sie sterben.« […]

Wieder blickte er mich mit seiner eisigen Starrheit an, dann aber schlug er die Hände vor das Gesicht.

»Ist es wahr, Hekim, daß sie bereits morgen tot sein kann?«

»Es ist wahr.«

»Kann sie nicht gerettet werden?«

»Vielleicht.«

»Sage nicht vielleicht, sondern sage gewiß. Bist du bereit, mir zu helfen? Wenn sie gesund wird, so fordere, was du willst.«

»Ich bin bereit.«

»So gieb mir deinen Talisman oder deine Medizin.«

»Ich habe keinen Talisman, und Medizin kann ich dir jetzt nicht geben.«

»Warum nicht?«

»Der Arzt kann nur dann einen Kranken heilen, wenn er ihn sehen kann. Komm, laß uns zu ihr

gehen oder laß sie zu uns kommen!«

Er fuhr zurück, wie von einem Stoße getroffen.

»Masch Allah, bist du toll? Der Geist der Wüste hat dein Hirn verbrannt, daß du nicht weißt, was du forderst. Das Weib muß ja sterben, auf welchem das Auge eines fremden Mannes ruhte!«

»Sie wird noch sicherer sterben, wenn ich nicht zu ihr darf. Ich muß den Schlag ihres Pulses messen und Antwort von ihr hören über vieles, was ihre Krankheit betrifft. Nur Gott ist allwissend und braucht niemand zu fragen.«

»Du heilst wirklich nicht durch Talisman?«

»Nein.«

»Auch nicht durch Worte?«

»Nein.«

»Oder durch das Gebet?«

»Ich bete auch für die Leidenden; aber Gott hat uns die Mittel, sie gesund zu machen, bereits in die Hand gelegt.«

»Welche Mittel sind es?«

»Es sind Blumen, Metalle und Erden, deren Säfte und Kräfte wir ausziehen.«

»Es sind keine Gifte?«

»Ich vergifte keinen Kranken.«

»Kannst du das beschwören?«

»Vor jedem Richter.«

»Und du mußt mit ihr sprechen?«

»Ja.«

»Was?«

»Ich muß sie fragen nach ihrer Krankheit und allem, was damit zusammenhängt.« […]

»Und du mußt auch ihre Hand betasten?«

»Ja.«

»Ich erlaube es dir auf eine ganze Minute. Mußt du ihr Angesicht sehen?«

»Nein; sie kann ganz verschleiert bleiben. Aber sie muß einige Male in dem Zimmer auf und ab gehen.«

»Warum?«

»Weil an dem Gange und der Haltung vieles zu erkennen ist, was die Krankheit betrifft.«

»Ich erlaube es dir und werde die Kranke jetzt herbeiholen.«

»Das darf nicht sein.«

»Warum nicht?«

»Ich muß sie da sehen, wo sie wohnt; ich muß alle ihre Zimmer betrachten.«

»Aus welchem Grunde?«

»Weil es viele Krankheiten giebt, die nur in unpassenden Wohnungen entstehen, und das kann nur das Auge des Arztes bemerken.« […]

Obgleich ich bereits aus der Aufzählung der Symptome gemerkt hatte, daß Güzela an einer hochgradigen Gemütskrankheit leide, that ich doch, als ob ich an eine bloß körperliche Erkrankung glaube; denn grad weil ich vermutete, daß ihr Leiden die Folge eines Zwanges sei, der sie in die Gewalt dieses Mannes gebracht hatte, wollte ich mich so viel wie möglich über alles aufklären. […]

Wir traten in das andere Gemach. In weite Gewänder gehüllt, stand eine Frauengestalt tief verschleiert an der hintern Wand des Zimmers. Nichts war von ihr zu sehen, als die kleinen, in Sammtpantoffeln steckenden Füße.

Ich begann meine Fragen, deren Enthaltsamkeit den Aegypter vollständig befriedigte, ließ sie eine kleine Bewegung machen und bat sie endlich, mir die Hand zu reichen. […]

»Wie lange dauert es, bis sie gesund wird?«

»Das kann bald, aber auch sehr spät geschehen, je nachdem Ihr mir gehorsam seid.«

»Worin soll ich dir gehorchen?«

»Du mußt ihr meine Medizin regelmäßig verabreichen.«

»Das werde ich thun.«

»Sie muß einsam bleiben und vor allem Aerger behütet werden.«

»Das soll geschehen.«

»Ich muß täglich mit ihr sprechen dürfen.«

»Du? Weshalb?«

»Um meine Mittel nach dem Befinden der Kranken einrichten zu können.«

»Ich werde dir dann selbst sagen, wie sie sich befindet.«

»Das kannst du nicht, weil du das Befinden eines Kranken nicht zu beurteilen vermagst.« […]

»So gib ihr die Medizin!« […]

Wir kehrten in das Selamlük zurück, wo ich nach Halef schickte, der alsbald mit der Apotheke erschien. Ich gab Ignatia nebst den nötigen Vorschriften und machte mich dann zum Gehen bereit.

»Wann wirst du morgen kommen?«

»Um dieselbe Stunde.« […]

[Am nächsten Tag]

Als ich dort eintrat, kam er mir mit einer sichtlich freundlicheren Miene entgegen, als diejenige war, mit welcher er mich gestern entlassen hatte.

»Sei mir willkommen, Effendi! Du bist ein großer Arzt.«

»So!«

»Sie hat bereits gestern schon gegessen.«

»Ah!«

»Sie hat mit der Wärterin gesprochen.«

»Freundlich?«

»Freundlich und viel.«

»Das ist gut. Vielleicht ist sie bereits in weniger als fünf Tagen vollständig gesund.«

»Und heute früh hat sie sogar ein wenig gesungen.«

»Das ist noch besser […] «

Soweit wird dies in der homöopathischen Literatur oftmals dargestellt und darauf eingegangen, ja geschwärmt, über welche Fachkenntnisse Karl May verfügt haben musste. Gut, die muss er auch gehabt haben, entspricht doch das Vorgehen Kara Ben Nemsis insbesondere den §§ 84, 93, 94, 183 und 253 des Organon. Und auch die Gabe von Ignatia war aus homöopathischer Sicht so korrekt.

Was allerdings in den Schilderungen immer wieder fehlt ist essentiell.

Die Patientin Güzela wurde entführt und in die Ehe mit dem Verwaltungsbeamten gezwungen. Sie wurde dem Mann ihres Herzens kurz vor der Hochzeit geraubt und versinkt deswegen in Schwermut. Dies erfährt Kara Ben Nemsi durch geschickte Befragung und stellt ihr die Befreiung in Aussicht, was wohl eher für die schnelle Besserung des Gesundheitszustandes der Patientin verantwortlich gewesen sein dürfte, als die Zuckerkügelchen. Nachdem Güzela befreit wurde und zurückkehren kann, sind ihre Beschwerden komplett verschwunden.

*Ironie on* Also wieder einmal eine perfekte homöopathische Erfolgsgeschichte. *Ironie off*

Nun könnten wir natürlich sagen, dass diese beiden gut zusammenpassen. Also auf der einen Seite der verurteilte Betrüger und Hochstapler und auf der anderen Seite eine Scheintherapie, die nur auf dem Placeboeffekt basiert. Aber das machen wir ja nicht, das wäre ja zu billig und außerdem sind wir – im Gegensatz zu den Verfechtern der Homöopathie – ja höflich und kultiviert. Aber irgendwo finden sich auch in der Darstellung dieser kurzen Episode immer wieder Augenwischereien, Weglassungen und Vorspiegelungen wieder. Das sollte uns doch zu denken geben.

Alle Zitate aus: May, Karl: Durch die Wüste: Reiseerzählung. Zürich: Haffmans, 1990.

Beitragsbild: Von http://karl-may-wiki.de/index.php/Max_Weltehttp://karl-may-wiki.de/index.php/Datei:KarlMay_OS_1896_4.jpg, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=8636486