Clemens Maria Franz von Bönnighausen war nicht nur ein enger Freund Samuel Hahnemanns und dessen Lieblingsschüler, sondern auch der erste Heilpraktiker in Deutschland. Er wurde am 12. März 1785 auf dem Gut Heringhafen bei Tubbergen in der niederländischen Provinz Overijssel als Spross einer Familie aus dem westfälischen Uradel geboren. Er war das fünfte Kind des kurkölnischen Kammerherrn und fürstbischöflich-münsteranischen Major Ludwig Ernst Freiherr von Bönnighausen und seiner Frau Theresia Regina, geborene Reichsfreiin von Weichs zur Wenne und verstarb am 25. Januar 1864 in Münster.
Zur Schule ging Bönnighausen am Gymnasium Paulinum in Münster. Nachdem er diese erfolgreich abgeschlossen hatte, begann er im Wintersemester 1803/1804 das Jura-Studium in Groningen an der niederländischen Reichsuniversität, welches er am 30. August 1806 mit seiner Dissertation De jure venandi abschloss, wonach er am 1. Oktober 1806 in den niederländischen Staatsdienst eintrat. Seine erste Stelle hatte er am Obergericht in Deventer.
Sein Vater war Abgeordneter des Wahlkommitees von Oberijssel und in dieser Funktion begab er sich an den Hof des damaligen niederländischen Königs Louis Napoleons. Der junge Clemens begleitete ihn.
Der König fand Gefallen an dem jungen Juristen und ernannte ihn zum Auditeur am Staatsrat und ein Jahr später zum Auditeur des Königs und Generalsekretär der Steuern. Außerdem wurde er königlicher Bibliothekar, Chef des topographischen Büros und der Trésorerie des pensions et des secours. Am 1. Juli 1810 dankte der König ab und Bönnighausen musste alle seine Ämter abgeben.
Mittlerweile war sein Vater verstorben und hatte Bönnighausen sein Landgut Darub im Kreis Coesfeld vererbt und damit hatte er stramm zu tun und lehnte auch Angebote ab, wieder in den niederländischen Staatsdienst zurückzukehren.
Und auch privat änderte sich einiges für Clemens von Bönnighausen, heiratete er doch am 4. Oktober 1813 seine Cousine Franziska Maria Walburgis Freiin von Schade zu Ahausen auf Haus Ahausen in Attendorn. Mit ihr hatte er einen Sohn.
Nachdem sein Landgut Darub etwas heruntergekommen war, brachte er alles wieder auf Vordermann. Auch beschäftigte er sich viel mit Ackerbau und Viehzucht und der Botanik. Auf ihn ging auch die Gründung des des Landwirtschaftlichen Vereins für den Regierungsbezirk Münster.
1813 wurde Westfalen Preußisch und die Preußen passten die Verwaltungsstrukturen natürlich ihrem Königreich an. In Westfalen gab es seither drei Regierungsbezirke, die wieder in Landkreise zerfielen. Für den neu gegründeten Landkreis Coesfeld wurde Bönnighausen 1816 zum Landrat ernannt. Sein Jahresgeahlt betrug 800 Taler und sein Landratsamt richtete er auf Gut Darub ein. Er hatte noch einen Kreissekretär und einen Kreiskopisten zur Verfügung.
In dieser Funktion musste er sich auch mit dem Fall der ehemaligen Nonne Anna Katharina Emmerick (1774-1824) beschäftigen. Nachdem ihr Kloster aufgelöst wurde, wurde sie Haushälterin bei einem französischen Priester. Bald schon wurde sie aber krank und angeblich erschienen an ihr die Stigmata des Martyriums Jesu Christi. Dazu kamen noch Passions-Visionen. Das gab natürlich einiges an Aufruhr und die preußischen Behörden schalteten sich ein.
Bönnighausen als Landrat stand einer Kommission vor. Diese bestand sowohl aus Geistlichen wie aus Wissenschaftlern. Dies waren: der Pfarrer Niesert (Velen), Prof. Roling (Münster), Curatvikar Rosery (Leyden) Kreis-Physikus Dr. Rave (Ramsdorf), Dr. Busch (Münster) sowie eine Pflegerin.
Das Ergebnis der Inspektion sah so aus:
1. Aus allem diesem schließe ich also, daß die Jungfer Emmerich noch würklich krank sey, die ehemaligen Wunden auf irgend eine künstliche Art hervorgebracht seien. In wie weit und ob die Jgfr. Emmerich Theil genommen habe, kann ich nicht bestimmen.
2. Nach diesen hier angeführten Gründen bin ich der subjektiven Ueberzeugung, deren objective Begründung sich wegen der gänzlich verschwundenen Blutungen und Krusten an den Maalstellen freilich jetzt nicht strenge mehr erweisen läßt, daß die Jungfer A. C. E.
1) des Gebrauchs ihrer Vernunft, ihres Gedächtnißes und ihrer sonstigen Seelenkräfte völlig mächtig;
2) schwach, aber nicht eigentlich krank sey, und endlich
3) daß die früher da gewesenen, angeblich periodisch blutenden Wunden an Händen, Füßen auf der Brust und um das Haupt weder Folge einer Krankheit, noch als außer der Sphäre der physischen Welt begründet anzusehen, sondern als erkünstelt und mit Vorsatz hervorgebracht, mithin als zu der Klasse der verstellten Krankheiten gehörend, zu betrachten sind.(1)
Nachdem 1820 seine Frau Franziska verstorben war, heiratete er 1822 seine zwei Ehefrau Maria Amalia Christina von Hamm, mit der er neun Kinder hatte. Da er immer öfter auch in Münster zu tun hatte, ließ er ab 1826 dort ein Haus für sich und seine Familie errichten und lebte abwechselnd dort und auf seine Gut.
1822 wurde er auch als Landrat abeglöst und wurde zum Generalcommissar des Katasters für das Rheinland und Westfalen ernannt. Auf seinen ausgedehnten Dienstreisen konnte er auch intensive botanische Studien betreiben, die in der Veröffentlichung des allseits anerkannten Werkes Prodromus florae Monasteriensis Westphalorum mündeten. Aufgrund dieser Publikation wurde er auch zum Direktor des botanischen Gartens in Münster übertragen. Von 1824 bis 1828 und ab 1829 war er Privat-Dozent an der Akademie zu Münster.
Die erste Berührung mit der Homöopathie hatte er im Herbst 1827, als Bönnighausen so schwer an einer Lungentuberkulose (Schwindsucht) erkrankte, dass er sogar einen Abschiedsbrief an seinen Freund und Arzt August Weihe (1779-1834) richtete. Weihe war der erste homöopathisch praktizierende Arzt im Rheinland und in Westfalen. Dieser übernahm ab da die Behandlung. Ab Sommer 1828 galt Bönninghausen als gesundet und war seitdem ein entschiedener Anhänger und Förderer der Homöopathie.
Wie jeder neue Jünger wurde er auch Bönnighausen zu einem großen Verfechter der Homöopathie. Das Problem war, dass er allerdings kein Arzt war und dies deshalb nur theoretisch tun konnte. So entstanden in dieser Zeit zahlreiche Publikationen. 1828 schrieb Bönnighausen erstmal Samuel Hahnemann an, um ihn zur Behandlung seines Sohnes zu befragen. Dies wurde ein äußerst intensiver Briefwechsel, aus dem nach einem ersten Treffen 1833 auch eine Freundschaft erwuchs. Bönnighausen wurde von Hahnemann mehrfach als „Lieblingsschüler“ bezeichnet. Hahnemann schlug ihn auch vor, ein Repertorium der homöopathischen Arzneimittel zu erstellen. Dieses erschien 1832 und 1835.
Ab 1830 genügte ihm die theoretische Auseinandersetzung mit der Homöopathie nicht mehr und so begann er, neben seiner eigentlichen Arbeit, eine homöopathische Praxis aufzubauen. Eine seiner ersten Patientinnen war die Dichterin Annette von Droste zu Hülshoff (1797-1848). Oftmals verband Bönninghausen seine Dienstreisen mit Krankenbesuchen.
Natürlich gefiel der Münsteraner Ärzteschaft dieses Treiben nicht und so verwundert es nicht, dass der Arzt Johann Bernhard Seveneick 1836 Bönnighausen bei den Behörden an. Diese reagierten und erließen einen ministeriellen Erlass, durch den ihm die Behandlung von Patienten verboten wurde. 1843 erhielt Bönninghausen per Kabinetts-Order des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. vom 11. Juli 1843 die Erlaubnis zur Ausübung einer homöopathischen Praxis ohne Nachweis eines medizinischen Studiums. Diese Erlaubnis stützte sich auf die Gutachten der homöopathischen Ärzte Johann Ernst Stapf (1788-1860), Georg Wilhelm Gross (1794-1847) und Samuel Hahnemann (1755-1843).
Durch diese Erlaubnis, auch ohne Medizinstudium Patienten zu behandeln, gilt Bönninghausen als erster zugelassener Heilpraktiker.
Das „Therapeutische Taschenbuch“, Bönnighausens Hauptwerk, erschien 1846. Es wurde bis heute fortgeführt und ist auch heute noch in Gebrauch. In diesem Repertorium gliederte er die Patientensymptomatik in Haupt- und Nebensymptome ein, arbeitete Mittelverwandtschaften aus, beschrieb die Anwendung von Zwischenmitteln und erhob die C 200 zur Regelpotenz. Auf Bönninghausen geht auch die 1848 erfolgte Gründung der Versammlung der homöopathischen Ärzte Rheinlands und Westphalens.
Bönninghausens besondere Verdienste lagen neben der Erstellung der ersten praxisnahen Repertorien in der Erarbeitung einer Systematik der Hauptwirkrichtungen der homöopathischen Arzneimittel und der Erarbeitung der Wirkung von Homöopathika untereinander. Als erster Homöopath führte Bönninghausen in größerem Rahmen auch Tierbehandlungen durch, die er in einem gleichnamigen Journal dokumentierte, obwohl ihm auch dafür das Studium fehlte. Er behandelte tollwütige Tiere, wobei ihm nach der Behandlung einer tollwutkranken Sau von der Regierung 1850 unter Androhung einer Geldstrafe untersagt wurde, tollwutkranke und –verdächtige Tiere sowie alle Tiere, die ansteckende oder seuchenartige Krankheiten zeigten, zu behandeln.(2)
Bönninghausen starb nach einer Schilderung seines Sohnes Friedrich v. Bönninghausen an einem Schlaganfall, der seine linke Seite lähmte. Verkompliziert wurde das Leiden durch eine „Verschleimung der Brust, die von Zeit zu Zeit verstärkten Husten und während des schwieriger sich lösenden Auswurfs Engbrüstigkeit verursachte. Er war linksseitig vollständig gelähmt, die linke Körperhälfte gefühl- und bewegungslos. Bedenklicher war noch der Zustand der Lunge; auch hier war linksseitig keine Tätigkeit mehr wahrzunehmen.“ Laut seinem Sohn war sein Sensorium ungetrübt, und Bönninghausen nahm noch an der Wahl seiner Arzneimittel teil. Er starb ruhig und sanft bei abnehmender Atemtätigkeit am 26. Januar 1864 morgens um 3.45 Uhr.
Zitate
(1) Bönninghausen, Clemens: Dritte und hoffentlich letzte Nachschrift zu meiner Geschichte der Untersuchung der Nonne A. C. Emmerich zu Dülmen, mit autentischen Belägen. Hamm, 1820
(2) Backert-Isert, Jutta: Clemens Maria Franz von Bönninghausen (1785-1864) und seine tierhomöopathische Praxis in ihrem therapiegeschichtlichen Kontext. Diss. Hannover, 2006
Eine erstaunliche Tatsache eigentlich, dass Bönnighausen Hahnemanns Wohlwollen in so hohem Maße genoss. Bei Licht betrachtet, lösten sich seine Arbeiten, besonders das „Therapeutische Taschenbuch“, ja vom konsequenten Hahnemannschen Individualansatz, ja, legten eigentlich sogar den Grundstein für eine Form von indikationsbezogener „Krankheitsbehandlung“ und zur „Systematisierung“ der Homöopathie. Das „Taschenbuch“ von 1846 war das erste Repertorium, das über eine Auflistung und Zuordnung hinaus einzelne Heilmittel nach ihrer „Stärke“ in Beziehung zu jedem Symptom und untereinander bewertet. (Ein Thema, über das trotz Bönninghausen noch heute in trauter Uneinigkeit in der homöopathischen Szene gerungen wird; die Methoden von Sehgal oder auch Jan Scholten fußen teilweise auf Bönninghausen.) Ähnliche Ansätze bei anderen waren für Hahnemann „Afterhomöopathie“.
Ohne Zweifel spielte dabei Bönninghausens vielfach berichtetes „sanftmütiges Wesen“ eine große Rolle, was bei Hahnemann wohl den Eindruck machte, hier sei ein bedingungsloser Jünger erstanden, der auch insofern keine Konkurrenz für ihn darstelle, als dass er ja kein praktizierender Arzt war. Hahnemann war sich Bönninghausens so sicher, dass er ja später selbst der Fürsprecher dafür wurde, dass dieser der „erste Heilpraktiker“ werden konnte.
Mal wieder ein toller biografischer Beitrag über eine wichtige Persönlichkeit aus der Homöopathie, danke!