Leute, Leute, Leute, ich kann nur noch mit dem Kopf schütteln. Habt ihr die Bilder gesehen? 20.000 Männekens, die durch die Hauptstadt marodierten. Was mich ja fasziniert hat, war, wie heterogen der „Protest“ war. Da waren Virenleugner, Impfgegner, Anthroposophen, Eso-Hebammen, Neonazis, Reichsbürger, Verschwörungsanhänger jedweder Couleur und wat weiß ich nicht noch alles, mit dabei. Der esoterisch angehauchte Oberstudienrat aus der Provinz neben dem Hardcore Neonazi.
Und das ist es auch, was mir Angst macht, denn bei solchen „gemischten“ Veranstaltungen mischen sich auch die Ansichten und der Oberstudienrat kommt mit dem Denken des Hardcore Neonazis in Berührung, was sonst nie oder nur selten passiert wäre. So findet dann auch eine schleichende Radikalisierung der Mittelschicht statt.
Aber was treibt die Menschen zu so einer Demo? Sicherlich sind ein guter Teil Verschwörungsgläubige, die sich schon sehr tief in diesen Sumpf verstrickt haben. Aber ich denke, dass viele der 20.000 Demonstrierenden auch getrieben sind von Angst und Verunsicherung. Angst vor einem Virus, das man nicht sehen kann, gegen das es keine Impfung und keine Behandlung gibt. Ein Virus, das entweder nur eine kleine Grippe oder massive Symptome auslösen kann. Menschen, die keine Verbindung zur wissenschaftlichen Forschung haben und auch nicht wissen, wie eine solche abläuft. Die nicht wissen, dass es ganz normal ist, dass Wissenschaftler mit wachsendem Erkenntnisgewinn ihre Empfehlungen ändern. Die nicht wissen, dass es ganz normal ist, wenn Forscher A eine Studie veröffentlicht, darauf Forscher B sagt „Schieb ma rüber, will ich mir genau anschauen“. Dass dies eben kein Wissenschaftler-Krieg ist, wie es manche scham- und charakterlosen Boulevardmedien suggerieren wollen. Und, und, und…
Und ja, ich verstehe diese Menschen, dass sie sich angesichts der auf sie einstürmenden Medien- und Informationsflut manchmal den einfachsten Lösungen hinwenden. Und die einfachsten Lösungen, die gibt es halt bei den Initiatoren der Verschwörungsmythen.
Aber wisst ihr was? Diese Leute können wir noch erreichen. Auch wenn es mühsam ist. Auch wenn es stundenlange Diskussionen bedeutet. Es lohnt sich, weil wir vielleicht den Einen oder Anderen von der Schmuddelseite wegbekommen können.
Da hilft es aber nicht, wenn wir den Demonstranten pauschal das Etikett „Bekloppt“ anheften oder uns über sie lustig machen. Gut, manchmal, wenn es mir zuviel wird, dann tue ich das auch. Ich weiß, dass das nicht richtig ist, aber ihr wisst ja: ohne Schuld – Stein und die Geschichte.
Es hilft auch nichts, wenn wir uns jetzt hinstellen und fordern, dass die Teilnehmer der Demo im Bedarfsfall keine Beatmungsgeräte bekommen. Wisst ihr, so ein Unsinn macht mich wirklich wütend. Wer sind wir denn, dass wir aus moralischen und nicht aus rein medizinischen Überlegungen heraus angeben, wer ein Beatmungsgerät bekommt und wer nicht? Ja, das Verhalten dieser Menschen war rücksichtslos, aber das Vorenthalten einer notwendigen medizinischen Behandlung ist ein Verbrechen. Ihr merkt, bei so einer Diskussion verstehe ich keinen Spaß.
Dazu kommt noch, dass durch solche Argumentationen diejenigen, die noch „zu retten“ wären, aus Trotz nur noch tiefer in den Sumpf von Verschwörungserzählungen und anderen Mist hineingedrückt werden. Das gipfelt dann in diesem klassischen Wagenburg-Denken und wenn die Herrschaften mal so weit sind, dann erreichen wir sie absolut nicht mehr.
Ach je, es wird einfach ein riesiger Haufen Arbeit werden, den Teil der 20.000, den man noch erreichen kann, wieder einzunorden, aber es lohnt sich. Denn was wäre die Alternative? Eine noch stärkere Spaltung der Gesellschaft? Das kann es ja nicht sein.
Also, packen wir es an!
Lieber Onkel Michael,
so sehr ich sonst Deine (gespielte) Erregung und Deinen Wortwitz schätze, so sehr glaube ich zeigen zu können, dass Du heute etwas daneben liegst.
1. Ich möchte nicht, dass Menschen oder ihre Meinungen eingenordet werden. Die Demonstration zeigt hingegen, dass unsere Demokratie gut funktioniert und die Grundrechte wahrgenommen werden können. Eine Minderheit darf unter Auflagen ihre von der Regierung abweichende politische bzw. weltanschauliche Meinung kundtun.
2. Rechtes Gedankengut und esoterische Weltanschauungen, wozu ich auch nichtevidezbasierte Heil(s)versprechen zähle, mischen sich nicht erst auf dieser Demonstration (https://www.youtube.com/watch?v=k75BqMKAgyM). Sie sind auch nicht erst jetzt in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die politischen Positionen, die heute die AfD vertritt, hörte ich in den Kohl-Jahren von der CDU und Homöopathie muss man sich leisten können.
3. Die Teilnehmer der Demonstration handeln im höchsten Maße rational – wenn auch nicht faktisch rational. Gehen 20000 Menschen auf die Straße, erzeugt dies ein so großes Wir-Gefühl, dass Attila Hildmann von 1,3Mio. spricht. Außerdem weiß ICH (als Verschwörungsgläubiger) etwas besser als DIE und deswegen kann ICH auch mit der unkontrollierbaren und unverständlichen Situation gut umgehen. Evidenzbasierte Überzeugungen erfüllen diese Funktionen nicht. Kontingenz und Ungewissheit muss man erst einmal aushalten können.
In Einem gebe ich Dir recht. Die öffentliche Meinung dürfen wir nicht jener Minderheit überlassen. Deswegen gab es in Berlin Gegendemonstrationen und von Dir immer wieder faktenbasierte Gegendarstellungen. Dafür danke ich Dir herzlich.
Viele Grüße
Tut mir leid, ich bin da gar nicht optimistisch. Wir haben es da mit Leuten zu tun, bei denen die Gehirnwäsche schon in spürbarem Ausmaß gewirkt hat. Wenn man sieht, wie Dunja Hayali tapfer die Straße abschreitet und wirklich ALLE, auch die nicht wie Pegidioten Aussehenden, ohne Unterlass „LÜ-GEN-PRES-SE“ bölken oder zumindest schadenfroh grinsen, weil auch sie Hayali nicht mögen, dann ist klar, dass da keine Besonnenen dabei sind. Niemand springt ihr bei. Sie ist Feindin. Das ist wie auf einer Trump-Convention, auf die du als CNN- oder NYT-Reporter kommst.
Bei diesen 17000 Knalltüten ist nichts mehr zu wollen. Vielleicht bei den Einskommadreimillionen potentiellen Followern, die zu Hause geblieben sind.
Meines Erachtens werden von den hier Demonstrierenden die wenigsten noch so zu erreichen sein, dass sie ihre Meinung insgesamt ändern.
Ähnlich wie bei Pegida und ähnlichen Veranstaltungen wird sich eher in der eigenen Blase eingeigelt, weil Argumente meist nur die üblichen Phrasen sind und zumindest viele der Teilnehmer innerlich wissen, dass da viel Quatsch dabei ist, der sich nicht belegen lässt. Insofern haben die Teilnehmer diese Wagenburgmentalität längst drin. Daher schotten sie sich ab und lassen gar nicht erst mit sich diskutieren. Und wenn ich sehe, dass ich nur die Masse für Ideologen liefere, dann verschwinde ich. Tue ich das nicht, dann bin ich mindestens naiv oder denke selbst so.
Was die „Ängste“ betrifft, ist das gut möglich, dass dem einen oder anderen der Hintern auf Grundeis geht angesichts der durchaus prekären Folgen von Corona. Diese sind von den Initiatoren jedoch nur Mittel zum Zweck und niemals haben diese die Absicht, das zu lösen. Woanders waren das nur „besorgte Bürger“ und dann doch viele mit rechter Denke im Tarnmäntelchen zivilen Protests.
Das Blöde ist dabei, diese nicht nur wirtschaftlichen Konsequenzen hätte es ohne Corona auch gegeben, nur eben versetzt und schleichender. Jetzt ist das Virus ein Katalysator, der das treibt.
Was die Aussagen mit den Beatmungsgeräten und ähnliches betrifft, so wurden bei vergleichbaren Veranstaltungen schon Galgen präsentiert und auch jetzt werden wieder diverse „Wünsche“ gegenüber Menschen anderer Meinung geäußert. Da sind also die Kritiker der Demonstranten nicht allein.
Warum wird medial eigentlich den Gegendemonstrationen nicht auch dieser Fokus zuteil? Weil die Schreihälse medial besser Aufmerksamkeit nach sich ziehen?
Wie wäre es mit ähnlich vielen Berichten über die Menschen die sich wegen oder trotz Virus einbringen, helfen, ihr eigenes Leben meistern und trotzdem nicht verzweifeln. Sind bestimmt ein paar mehr als die meist doch nur instrumentalisierten Follower von ein paar Über-Egomanen, die sich nur aus Eigennutz so echauffieren und dabei versuchen mit Lautstärke die fehlenden Inhalte zu kompensieren.
Gerade um die üblichen Verdächtigen wie um Jebsen war es wieder ruhiger, ein Naidoo ist als Künstler vermutlich ähnlich „angesagt“ wie der Kochbuchautor Hildmann oder Haintz als Anwalt in seiner Branche taugt. Da frage ich mich eher, was mit denen nicht stimmt, dass diese so eine Show um ihrer selbst willen abziehen müssen und dabei nicht unter dem Hammer „Kampf gegen´s System“ können…