Und es begab sich im Jahre des Herrn 1347, dass mit der Pest eine Geisel erschien, die ganze Landstriche in Europa verheerte. Und der Schnitter Tod hatte eine reiche Ernte, fuhr er doch fast 25 Millionen Seelen in seine Scheuer ein. Aus dem Grab der Styx ausgebrochen, zeigte die bleiche Tisiphone ihre schreckliche Wut, und man hörte nicht mehr Hahn, nicht mehr Henne krähen, sondern nur noch ein großes Greinen und Weheklagen.
Egal ob Kaiser oder Papst, Kaufmann oder Handwerker, König oder Bettelmann, alle wurden gleichermaßen von Bruder Hain in die Ewigkeit gerissen. Nicht vor Reichtum, Macht oder Ansehen machte der Tod halt und diesmal ritt er nicht auf einem kohlschwarzen Rappen, diesmal kam er auf den Bakterien Yersinia pestis, die man damals natürlich noch nicht kannte.
Diese Macht des Todes, der sich keiner entziehen konnte, wurde in den Totentänzen dargestellt. Es gab Lieder, Gedichte und Bilder, die zeigten, wie der Tod mit den Menschen tanzte und sie mit sich nahm. Hans Christian Anderesen schreibt hierzu: Das Leben ist wie die Lampe, die auch schon anfängt auszubrennen, wenn sie angezündet wird! So alt wie jeder von euch ist, so viele Jahre habe ich schon mit euch getanzt. Jeder hat seine eigenen Touren, und der eine hält den Tanz länger aus als der andere. Aber die Lichter verlöschen zur Morgenstunde, und dann sinkt ihr alle müde in meine Arme – das nennt man sterben.
Erstmals war es das französische Gedicht „Le respit de la mort“, das im Jahr 1376 in Frankreich erschien. Aus Frankreich sind auch die ersten Gemälde mit diesem Sujet bekannt. Dort hießen sie „Danse macabre“. Am bekanntesten sind in Frankreich die Totentänze an der Mauer des Friedhofes „Cimetière des Innocents“ in Paris, das 1424 entstand und das Wandgemälde in der Abtei La Chaise-Dieu (1410-1425). Im deutschsprachigen Raum sind der Basler Totentanz (1439-1440), der Lübecker Totentanz (1460) in der dortigen Marienkirche, das im Zweiten Weltkriege zerstört wurde, und der Totentanz aus der Nikolaikirche zu Reval (Tallinn). Zahlreiche weitere Darstellungen sind in ganz Deutschland und Europa zu finden.
Zu jedem Tanzpaar gehörte auch eine Wechselrede zwischen dem Tod und dem jeweils zugehörigen Menschen. Dabei handelte es sich – je nach Ausrichtung – um fromme, spöttische, mystische etc. Texte. Ab dem 16. Jahrhundert wurden bei den Gemälden die Verse aber oftmals auch weggelassen und in eigenen Büchern veröffentlicht. Hier ein Beispiel aus dem Lübecker Totentanz von 1463. Die jeweiligen Bilder stammen aus dem Totentanz der Nikolaikirche.(**)

Der Tod zum Papst.
Her pawes, du byst hogest nu,
Dantse wy voer, ik unde du!
Al hevestu in godes stede staen,
Een erdesch vader, ere unde werdicheit untsaen
Van al der werlt, du most my
Volghen unde werden, als ik sy.
Dyn losent unde bindent dat was vast,
Der hoecheit werstu nu een gast.
Der Papst.
Och here got, wat is min bate,
Al was ik hoch geresen in state,
Unde ik altohant moet werden
Gelik als du een slim der erden?
Mi en mach hocheit noch rickheit baten,
Wente al dink mot ik nalaten.
Nemet hir exempel, de na mi siet
Pawes, alse ik was mine tit!
Übersetzung:
Der Tod zum Papst.
Herr Papst, jetzt bist Du der Höchste,
laß uns vortanzen ich und Du!
Magst Du auch der Stellvertreter Gottes gewesen sein,
ein Vater auf Erden, Ehre und Ansehen empfangen haben,
von allen Menchen dieser Welt, so musst Du mir
doch folgen und werden, wie ich bin.
Dein Lösen und Binden war gültig,
aber jetzt verlierst Du Dein hohes Ansehen.
Der Papst.
Ach, Herr Gott, was nützt es mir –
Mag ich auch zu einem hohen Rang aufgestiegen sein,
so muss ich doch jetzt sofort
gleich Dir ein Häuflein Erde werden.
Mir können weder Ansehen noch Reichtum nützen;
Denn ich muss alles zurücklassen.
Nehmt Euch hieran ein Beispiel, die ihr nach mir
Papst sein werdet wie (ich) es meiner Zeit war.(*)
Im Wandel der Zeiten änderten sich auch die Darstellungen der Totentänze. Wandteppiche, Friese, Holzschnitte, Kupferstiche, all dies entstand im Laufe der Jahrhunderte. Im bayerischen Straubing gibt es sogar eine Totentanzkapelle. In der Musik ist sicherlich das Stück „Danse macabre“ des französischen Komponisten Camille Saint-Saëns am bekanntesten. Das 1916 entstandene Fahrtenlied „Der Tod in Flandern“ (Der Tod reit‘ auf einem kohlschwarzen Rappen) erinnert zwar an die Totentänze, kann aber eher nicht dazu gezählt werden.
Darstellungen des Totentanzes gab es seit dem 14. Jahrhundert immer wieder, faszinierte dieses Motiv doch zahlreiche Künstlerinnen und Künstler. Zuletzt durch die beiden Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert wurde dieses Sujets wiederentdeckt. Die erste monumentale Darstellung des 20. Jahrhunderts ist der „Plötzenseer Totentanz“, den der Wiener Maler und Bildhauer Alfred Hrdlicka in der Gedenkkirche Berlin Plötzensee Mitte der 1960er Jahre schuf.
(*) aus: Fröhlich, Harry: Der Totentanz in der Lübecker Marienkirche. Hamburg, 2014.
(**) Bilder aus den Wiki Commons.