Verharmlost mir die Reichsbürger nicht!

Es ist wirklich amüsant zu sehen, wie schnell der Putsch-Plan der Reichsbürger-Verschwörung verharmlost wird. In den Medien werden die Putschisten als harmlose alte Zausel dargestellt, die halt ein bisschen Revolution spielen wollten und eh psychisch krank sind. Sogar die von mir so hoch geschätzte Samira El Ouassil, die sonst immer den Nagel auf den Kopf trifft, kapriziert sich in ihrer Spiegel-Kolumne bei dem Thema auf die getragene Mode des Reichsbürgerhäuptlings („Der Cord-Geist“).

Und von rechts der Mitte kam sofort das Geblöke, die Polizei möchte sich doch mit wichtigeren Vorkommnissen, insbesondere dem Mord eines Mädchens durch einen Asylbewerber in Illerkirchberg, kümmern. Nun, meine liebe kognitiv eingeschränkten Mitbürger*innen des rechten Lagers, es wird euch überraschen: die Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder haben genügend Kapazitäten, um sich um beides zu kümmern und auch noch um Verkehrssünder und auch noch um Steuerhinterzieher und auch noch um die anderen Galgenvögel, die so kreuchen und fleuchen. Aber das ist ja eine bekannte Taktik der Ablenkung, dass alles andere viel, viel schlimmer ist. Doch, sie verfängt nicht. Oder sollte jedenfalls nicht verfangen, denn die rhetorischen Taschenspielertricks der rechten Vollhonks dürften ja Dank der Corona-Pandemie allseits bekannt sein.

Was tatsächlich erschreckt, ist die Tatsache, dass sich das rechte, gewaltbereite Spektrum massiv in das bürgerliche Lager vordringen und dort seine Ideen implementieren konnte. Auch das haben wir der Corona-Pandemie zu verdanken und der Verharmlosung der Querdenker durch Politik und auch Gesellschaft. Denn hier kamen viele, die einfach nur gegen die Schutzmaßnahmen der Regierung waren, erstmals in Kontakt mit den Verschwörungstheorien der Reichsbürger, Impfgegner und ähnlichem Gesocks. Und so konnten sich deren Ideen einem Krebsgeschwür gleich tief ins Fleisch der Mitte einfressen.

Worauf ich persönlich ja gespannt bin ist die Frage, ob endlich mal die Verquickungen der AfD und ihren diversen Parlamentsfraktionen in die rechte Verschwörungsideologenszene untersucht wird. Und wenn man schon dabei ist, könnte man ja auch endlich mal die Verbindung nach Rußland und eventuelle Geldströme unter die Lupe nehmen. Aber gut, mit seinem Tweet hat der feine Herr Bystron ja schon mehr oder weniger eine enge Verbindung zugegeben.

Eigentlich wollte ich hier an der Stelle noch ein paar wohlgesetzte Schlußbemerkungen fallen lassen und den Artikel beschließen. Aber dann las ich die Kolumne des Herrn Richters a.D. Fischer bei Spiegel Online und der Herr Richter a.D. hat das Geschehen seiner Meinung nach sicherlich messerscharf analysiert und folgendes Resümee gezogen:

1. »Reichsbürger« sind psychisch auffällig.

2. Es drohte und droht der Bundesrepublik Deutschland weder ein Staatsstreich noch ein Putsch.

3. Das Wichtigtuergeschwätz von der »Vereitelung eines Staatsstreichs« (»SZ«, 8. Dezember) ist nicht aufklärend, sondern albern.

4. Gewaltfantasien sind sozial und individuell verbreitet, bedenklich und bemitleidenswert, strafbar nur im Ausnahmefall. Das gilt für Könige wie für Märtyrer gleichermaßen.

5. Der Hammer hängt, wo der Hammer hängt. Ein Stabsfeldwebel und ein schwerhöriger Major a.D. wissen, was gemeint ist.

6. Die Empörungsmaschine möge sprachlich abrüsten und analytisch zulegen.

Und ich sehe schon wieder, wie sich die rechten Vollhonks auf diesen Artikel stürzen. „Ja, wenn sogar ein Bundesrichter a.D. das so sieht, dann muss es ja stimmen.“ Ich sehe die Tweets und Telegram-Beiträge schon bildlich vor mir. Abgesehen davon, dass ich das argumentum ad verecundiam für den so ziemlich dümmsten Fehlschluss halte, den man ziehen kann, liegt der Richter a.D. meilenweit daneben. Aber warum sollte man aus den Geschehnissen der letzten Jahre lernen, wenn man die Reichsbürger schön in die Schublade „Bekloppte Rentner“ stecken und dann ruhig weiterschlafen kann.

4 Gedanken zu “Verharmlost mir die Reichsbürger nicht!

  1. Sehr gut geschrieben; Danke für die Hinweise auf die SPIEGEL-Kolumne. Scheint hinter der Bezahlschranke zu stecken, aber das schaffe ich schon.
    PS: Kennen Sie den anonymen Autor Prof. Schwurbelstein? Ist auf Instagram, Facebook und Twitter unterwegs und hat ein Buch über Verschwörungsmythen und Querdenker geschrieben. Auch die Reichsbürger haben ein eigenes Kapitel – in dem er vor über einem Jahr schon vor der Verharmlosung warnte. Gute Ergänzung zu Ihrer Arbeit und Ihren Blogbeiträgen.

  2. Sie sprechen mir aus der Seele. Erstaunlich, wie von rechter Seite alles klitzeklein geredet wird. Dabei fehlt doch jegliches Hintergrundwissen für eine fundierte Beurteilung.

  3. Der Onkel trifft Mal wieder den Nagel auf den Kopf.

    Nur in einem irrt er, dass sich das rechte, gewaltbereite Spektrum massiv in das bürgerliche Lager vordringen und dort seine Ideen implementieren konnte. Solange ich politisch denken kann, lese ich dieses Erschrecken. Rechte Ideen und bei einem kleinen Teil Gewaltbereitschaft waren immer schon und sind Teil der Bourgeoisie.

  4. „Ein „Operettenputsch“, eine „Hanswurstiade“, ein „Spuk“, veranstaltet von „Dilettanten der schlimmsten Sorte“ – fast unisono urteilte Deutschlands Presse über die Ereignisse. Konnte ein eher komisch als gefährlich wirkender Mann mit seinen paar Hundert Anhängern wirklich die Republik gefährden? Doch eher nicht“.

    Onkel Michael trifft mit seinem Kommentar mal wieder ins Schwarze.
    Der oben zitterte Artikel aus der WELT, der sich auf den Hitlerputsch bezieht warnt vor Verharmlosung.
    Übrigens auch die NSDAP war Anfangs eine Splitterpartei. Während sie 1924 und 28 nur um die 3% stagnierte, schoss sie 2 Jahre später auf über 18%, verdoppelte sich 1932 dann auf 37% und 1933 sogar auf 44%.
    Kein Grund also derartige Vorkommnisse zu verharmlosen sondern es gilt „Wehret den Anfängen“.

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