Und Jimmy ging zum Regenbogen

Buchbesprechung (für starke Denker*)

JA: der Titel stammt von einem Roman des Erfolgsautors Johannes Mario Simmel, und NEIN, die Rezension bezieht sich nicht auf den Inhalt des Buches. Die Frage lautet vielmehr: Erreicht Jimmy sein Ziel, und wenn ja, was sucht und findet er (umsonst wird er nicht diesen Fußmarsch auf sich nehmen)? Märchen und Sagen berichten von großen Schätzen an dem Ort, an dem der Regenbogen die Erde berührt. Wir besitzen jedoch auch die leise Vorahnung des Scheiterns, da das Naturphänomen die Angewohnheit hat, sich immer weiter zurückzuziehen.

Die Lebenserfahrung bestätigt oft die Tatsache: Ich möchte etwas ganz Bestimmtes (Ding, Person, Gefühl) haben – und es geht weg. Aus der griechischen Mythologie sind uns die „Tantalusqualen“ überliefert. Tantalus, ein Sohn der Titanen, zog sich den Zorn der Götter zu, weil er sie betrogen hatte. Die Strafe war furchtbar: Sie verurteilten ihn zu ewigen Qualen. Er musste in einem Teich stehen, über dem Zweige mit Birnen hingen. Wollte er eine Frucht pflücken, wichen die Zweige nach oben weg, wollte er trinken, floss das Wasser ab. Obwohl alles in greifbarer Nähe schien, waren Hunger und Durst sein ständiger Begleiter. Tantalusqualen sind demnach Leidenserfahrungen, etwas Unerreichbares beständig vor Augen zu haben und es doch nicht besitzen können.

Der Soziologe Hartmut Rosa beschäftigt sich seit langem ausführlich mit dem Phänomen, dass wir vieles „verfügbar“ haben und dennoch gefühlt mit leeren Händen dastehen. Er nennt diesen Widerspruch „Unverfügbarkeit“, und diesen Titel trägt auch das Buch (eine Kurzfassung des wissenschaftlich breiter angelegten Buches „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“). Wie lautet seine Erklärung für „das immer Mehr“ und andererseits „nie genug“?

Jetzt wird es schwierig! Der Mensch als „Eroberungstier“ hat die eigene Reichweite bis in das All hinaus erweitert. Er will erreichen, dass ihm die ganze Welt untertan ist: sie soll wirtschaftlich und technisch verfügbar sein, berechen- und steuerbar sein, kontrollierbar und erfahrbar gemacht werden. Was steht diesem Streben entgegen? Wir erleben täglich das genaue Gegenteil: Glück, Liebe, Gesundheit und Tod  beugen sich nicht unserer Verfügbarkeit.

Und doch: Wir zielen auf allen Ebenen (individuell, kulturell, institutionell) auf die Verfügbarmachung von Welt – mit dem Erfolg, dass die Welt für uns ein „Aggressionspunkt“ geworden ist: Sie muss mit Macht in die Knie gezwungen werden.  Sie lässt sich in Gänze aber nicht beherrschen, erobern, nutzbar machen, kontrollieren – und wird damit in der Beziehung zu ihr ein übermächtiger Feind. Und das mit dramatischen Folgen: Angst, Wut, ja Verzweiflung machen sich unter den Menschen breit.

Der Ausweg ist noch schwieriger zu erklären: Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir unsere Beziehung zu uns selbst und zu unserer Umwelt auf den Kopf stellen: Das Feindbild abbauen und uns „berühren“ lassen. Heißt: in Resonanz treten. Resonanz bedeutet ein Beziehungsmodus, der die Merkmale positiver Gefühle in sich trägt. Bedeutet im tiefen Sinne: ein „Geschehen lassen“, das wiederum die Selbstwirksamkeit voraussetzt.

Eine Sicherheit zum Schluss: Alle wichtigen Dinge in deinem Leben waren nicht geplant, sie sind „geschehen“.

*Risiken und Nebenwirkungen: Frust beim Lesen

Bibliographische Angaben Print:
Rosa, Hartmut: Unverfügbarkeit. Berlin: Suhrkamp, 2020. 130 S.
ISBN: 9783518471005 – 10,00€

Bibliographische Angaben E-Book:
Rosa, Helmut: Unverfügbarkeit. Wien: Residenz-Verl., 2018. 136 S.
ISBN E-Book: 9783701745876 – 13,99€

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