Als die Pest im Jahre 1771 Moskau verheerte

Als weiland das russische Heer im Jahre 1770 von seinem Feldzug in Moldawien und Georgien in das russische Reich der Zarin Katharina II. zurückkehrte, brachte es das Verderben mit: die Beulenpest.

Im November 1770 brach die Krankheit erstmals in einem Lazarett außerhalb Moskaus aus und wurde zuerst für Fleckfieber gehalten. Dieser Ausbruch ließ sich noch unter Kontrolle bekommen. Kurz darauf erkrankten Arbeiter einer Textilfabrik, aber auch dies wurde noch nicht ernst genommen. Man fühlte sich sicher. Zu sicher. Dann starben 27 Menschen in einem Krankenhaus, dessen Leiter, der Arzt Afanassi Filimonowitsch Schafonski, mahnte und warnte, aber man hörte nicht auf ihn. Ja, ihm wurde vorgeworfen, dass er Panik verbreiten wolle.

Im Frühjahr starben mehrere tausend Menschen und keiner spottete mehr. Aber dieser Ausbruch schien bald schon beendet zu sein. Man fühlte sich wieder sicher. Bis zum Juni 1771, dann schlug die Seuche erbarmungslos zu. Im Nikolaus-Kloster, im Simonow-Kloster, im Danilow-Kloster und in weiteren geeigneten Gebäuden wurden Spitäler eingerichtet. Jedes mit mehr als 2.000 Betten ausgestattet.

Was tat man dagegen? Die Sperrzone von 30 Kilometer um Moskau herum wurde aus Angst vor einer Hungersnot nicht abgesperrt. Es wurde ein Versammlungsverbot erlassen, öffentliche Bäder geschlossen und der Lumpenhandel verboten. Kranke wurden nur nachts in die Spitäler verbracht, Verstorbene heimlich außerhalb der Stadt beerdigt, da Bestattungen innerhalb Moskaus verboten worden waren. Leichenzüge waren verboten, genauso wie Bittprozessionen. In den Spitälern wurde mit Wasser verdünnter Weinessig zur Desinfektion benutzt. Pfleger trugen Handschuhe und zusätzliche Schutzkleidung, die ausgekocht wurde.

Aber all diese Maßnahmen wirkten nicht. Im August 1771 wurden täglich um die 600 Tote gezählt, der September sah deren mehr als 20.000. Trotz aller Warnungen und Verbote wurden immer noch Prozessionen und Leichenumgänge begangen, so dass sich die Krankheit immer weiterverbreitete.

Der deutsche Arzt Johann Jacob Lerche, der sich zu dieser Zeit in Moskau aufhielt, beschrieb die Zustände so: Das Elend in Moscau war unbeschreiblich: täglich sahe man in allen Strassen Todte und Kranke hinausführen; einige lagen hin und wieder auf den Strassen, die todt niedergefallen, oder aus den Häusern hingeworen waren. Es waren nicht mehr Leute und Wagen genug bei der Policey, so daß viele Todte 3 bis 4 Tage in den Häusern liegen blieben. Aber dieser Jammer wurde durch einen schrecklichen Aufruhr des Volks noch viel Ärger. Daraufhin wurden Zuchthausinsassen in die Häuser geschickt, die die Toten mit Haken auf die Straßen zerrten. Ihr einziger Schutz war hierfür geteerte Kleidung. Auch ein Aufruf der Zarin Katharina Anfang September 1771 brachte keine Änderung.

Die Stadt war auch ohne richtige Führung. Der Adel floh auf seine Landgüter, die Kaufleute und Beamten verließen ebenfalls die Stadt. Der kaiserliche Gouverneur, der Generalfeldmarschall Pjotr Semjonowitsch Saltykow musste fliehen, da er um sein Leben fürchten musste. In Moskau selbst war nur noch ein Rumpf aus Verwaltung, Militär und Ärzten verblieben.

Das Volk war zu einem wütenden Mob geworden, in dem allerlei Geschichten kursierten, ja sogar die Ärzte wurden beschuldigt, die Krankheit selbst ausgebracht und verbreitet zu haben. Der russische Arzt Schafonski aus dem Spital zu Lefortowo konnte nur knapp der Lynchjustiz entgehen und der Arzt Samojlovič berichtet: Der Pöbel empörte sich gegen alle Ärzte und Wundärzte, und ich fiel zuerst in ihre Hände. Sie ergriffen mich, und nachdem sie mich geschlagen, fragten sie mich, ob ich der Wundarzt wäre, der die Aufsicht über die Kranken dieses Spitals hätte? Aus Furcht eines so grausamen Todes zu sterben, versicherte ich sie, ich wäre nur ein Unterwundarzt aus einem ganz andern Spitale, wo ich in Besoldung stünde. Da dieser wüthende Pöbel glaubte, ich habe ihm die Wahrheit gesagt, wurde er ruhig, und ließ mich in des Spital hineingehen: durch dieses Mittel entwischte ich diesen Undankbaren, welche mein Verderben suchten.

Viele kleine und mittlere Krawalle gab es zu dieser Zeit, doch noch größeres Unheil sollte sich allerdings nur kurz darauf ereignen. Alles begann, als Kaufmann, der wohl einen lahmen Fuß hatte, angeblich eine Erscheinung des Marienbildes von der warwarischen Pforte (Barbara-Tor) hatte. Dieses Abbild Mariens soll sich wegen der schlechten Verehrung beklaget, aber doch versichert habe, es wolle an ihm ein Wunder thun, auch die Pest bald dämpfen. Dieser Mensch kam gesund zum Marienbilde, erzählte das Wunder dem Priester und dem durchgehenden Volke: einer sagte es dem anderen, und es ward gar bald ruchbar durch die ganze Stadt. Die Leute liefen herzu, beteten zur heiligen Mutter Gottes, zierten das Bild aufs beste, und brachten in wenig Tagen viel Geschenke an Gelde und Juwelen. Darauf fingen die Proceßiones an, und hatten kein Ende. So der Dr. Lerche.

Durch diese Prozessionen und die Menschenansammlungen verbreitete sich die Pest natürlich wie ein Lauffeuer und den Massen. Dr. Lerche berichtet weiter: Der Archirei Ambrosius wollte dem Unwesen sturen, und bat den General Jeropkin um Hülfe, der ihm 5 Soldaten gab. Diese schickte er mit seinen Leuten hin zur warwarischen Pforte, am späten Abend, um den Kasten mit Gelde sammt dem Marienbilde abzuholen, und in Verwahrung zu nehmen. Allein es war viel Volks da, und die Soldaten wurden zurück gejaget. Das geschahe den 15ten Sept., Abends um 9 Uhr. Das Volk ward auf den Archirei erbittert, und schalt ihn einen Ketzer. Alsbald liefen sie zu den Kirchthürmen, läuteten die Sturmglocken, um mehr Volk zusammen zu rufen. Sie erreichten ihren bösen Endzweck: jedermann glaubte, es wäre Feuer; aus jedem Hause liefen Leute dahin, ob sie wohl kein Feuer sahen. Diese hatten wohl nichts Böses im Sinn; als sie aber hörten was vorging, gaben sie Beyfall, und machten mit den anderen ein Complot aus. Der Achirei entflohe ins donskische Kloster ausser der Stadt. Früh Morgens spürten ihn die Aufrührer aus: ein Schwarm derselben lief nach der Kirche, in der er noch den Gottesdienst hielt. Man schleppte ihn hinaus aus dem Kloster, und riß ihm die Oberbekleidung ab. Einige wollten ihn nach dem Kreml führen, wo er ihnen Abbitte thun sollte; andere aber hatten daran nicht genug, zerschlugen ihm sogleich den Kopf, und stachen ihn mit Messern vollends todt. Sein Körper blieb noch bis auf den folgenden Tag liegen.

Die Aufrührer jagten auch 180 Pestkranke aus dem danilowischen Kloster, wo sie auch die Ärzte schwer misshandelten. Viele Häuser wurden geplündert, darunter der Bischofspalast und zahlreiche Kaufmannskontore. Unzählige Ärzte und Wundärzte wurden von dem Mob teilweise brutalst erschlagen. Man warf den Ärzten vor, dass sie die Pest verursachten und der Bevölkerung Heilmittel vorenthielten. Erst als der Mob in und außerhalb des Kremls wütete, schritt der General Jeropkin ein. Mit ungefähr 150 Mann Soldaten, Carabiniers und Husaren, und 2 Feldcanonen, ging er auf die Rebellen los. Sie wehrten sich mit Prügeln und Steinen; und da sie nicht weichen wollten, ließ der General mit Kartätschen und Kugeln scharf unter sie schiessen, und mit Säbeln drein hauen. Er trieb sie hin und wieder, über 250 wurden erleget, und über 300 umringet, im Kreml eingesperret, und in die Keller geworfen. Einige wurden tödtlich bleßiret, und wurden des Morgens in verschiedenen Strassen todt gefunden. Diese Action dauerte bis 11 Uhr in der Nacht, da der General mit ihnen fertig war, und alle übrigen aus einander gejaget hatte, da dann auch das Sturmläuten aufhörte.

Soweit wieder die Schilderung des Dr. Lerche. Aber durch die Vermischung von Kranken und Gesunden hatte die Pest natürlich neue Opfer bekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es mehr als 100.000 Tote gegeben. Interessant ist, dass einige der Aufständischen versuchten, mit dem General Jeropkin zu verhandeln. Sie wollten die Abschaffung der Quarantäneeinrichtungen und Beschränkungen erreichen, dazu die Ausweisung aller Ärzte aus Moskau und die Beerdigung ihrer Toten nach kirchlichem Ritus.

Zur Unterstützung des Generals Jeropkin entsandt die Zarin den Grafen Grigori Orlow am 26. September 1771 aus St. Petersburg. Er führte vier Regimenter und einen großen Stab an Ärzten mit sich. Durch diese massive Militärpräsenz konnte der Aufstand endgültig niedergeschlagen werden. Nun wurden die im Aufruhr gefangene scharf befraget, welche noch mehrere angaben, insbesonderheit auch diejenigen, die Hand an den Archirei geleget hatten. Man fand sie; einer war eines Rajewski Knecht, der andere ein Zelowalnik aus einer Kaback: beyde wurden hernach bey dem donskischen Kloster, wo sie den Mord begangen hatten, aufgehangen. Man lese hiervon die gerichtliche Untersuchung und Bestrafung, welche in einer weitläufigen gedruckten Ukas auf 2 Bogen beschrieben worden. Den 11ten Nov. Geschah die Execution an 4 Orten der Stadt; viele bekamen mit der Knutpeitsche 250 Schläge, von denen nicht wenige gestorben seyn sollen; der Policeymesiter war Executor.

Als Graf Orlow in Moskau eintraf teilte er die Stadt in 14 Sanitätsbereiche ein, die von einem Arzt und einem Offizier geführt wurden. Weiters wurden noch zahlreiche Spitäler eingerichtet und die Zustände in den bestehenden Häusern enorm verbessert. Es wurden Bürgerinnen und Bürger angestellt, um gegen Lohn die Toten zu bergen und zu bestatten. Auf den persönlichen Befehl der Zarin wurden Kirchen an allen Bestattungsorten außerhalb der Stadt errichtet, somit konnten die Toten wieder nach dem gewohnten Ritus beerdigt werden. Der Personen- und Warenverkehr wurde strenger kontrolliert und die Häuser der Toten unter Quarantäne gestellt. Hierdurch gingen Zahlen der Toten Stück für Stück zurück und im Frühjahr 1772 konnte die Stadt endgültig wieder aufatmen.

Lerche, Johann Jacob: Lebens- und Reise-Geschichte, von ihm selbst beschrieben. Halle, 1791.

Samojlovič, Danilo S.: Abhandlungen über die Pest, welche 1771 das Russische Reich, besonders aber Moskau, die Hauptstadt verheerte. Nebst denen dagegen gebrauchten Mitteln. Leipzig, 1785.

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