Gelesen: Blume, Michael: Verschwörungsmythen

In Zeiten wie den unseren, wo sich durch die „sozialen“ Medien Verschwörungsmythen, Desinformationen und „alternative Fakten“ immer weiter verbreiten, ist es umso wichtiger, hiergegen vorzugehen. Das vorliegende Buch des Religionswissenschaftlers Dr. Michael Blume ist eine gute Grundlage, um sich mit Verschwörungsglauben aller Arten zu beschäftigen.

Blume, der Referatsleiter für nichtchristliche Religionen im Staatsministerium Baden-Württemberg sowie Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus ist, beschäftigt sich seit langem mit der Thematik und betreibt auch den Podcast „Verschwörungsfragen„. Im vorliegenden Buch nähert er sich dem Sujet von der Seite des Religionswissenschaftlers, wobei natürlich der Hauptfokus auf dem Antisemitismus und den darin verankerten Verschwörungserzählungen liegt.

Der Autor beginnt damit, die Wurzeln von Verschwörungsmythen im platonisch-dualistischen Denken anhand des bekannten Höhlengleichnisses zu erläutern und gibt eine Übersicht zum Dualismus und Monismus im Judentum. Besonders interessant empfand ich den Abschnitt (S. 53ff), in dem Michael Blume der Frage nachgeht, „wie das ‚Volk der Dichter und Denker‘ zum ‚Volk der Richter und Henker'“ werden konnte. Hierfür bedient er sich des Philosophen Martin Heidegger, der sich schon früh für die nationalsozialistische Ideologie begeisterte und in Hitler nicht nur den „starken Mann“ sondern schon fast eine messianische Figur sah.
Das erste Kapitel schließt mit einem Einblick in die Verschwörungsideologie, auf denen der „Islamische Staat“ aufbaut.

Im zweiten Kapitel geht Michael Blume auf die Fragilität von Verschwörungsmythen in totalen Systemen ein und zeigt auf, dass selbst so äußerlich „starke Männer“ wie Hitler oder Stalin doch eher Kolosse auf tönernen Füßen sind. Weiter führt Blume aus, wie wichtig eine kritiklose Mitläuferschaft für solche Systeme ist. Er schreibt: Während Verschwörungsgläubige wie Hitler oder Heidegger sich vor dem „Gerede“ auch ihrer eigenen Anhängerschaft ängstigen müssen, siet Cicero genau darin die Weisheit der Republik: Die Regeln der Gewaltenteilung soll allen Bürgern – später auch den Bürgerinnen – die notwendige Zeit geben, über die Reden nachzudenken, sich mit anderen auszutauschen und buchstäblich mitzusprechen. Der Platoniker, die Dualistin, der Antisemit braucht ein ergeben hörendes und kritiklos zustimmendes Publikum, wogegen die Ciceronianerin, der Demokrat, die Wissenschaftlerin keinen Anspruch auf absolute Wahrheit erhebt, sondern die Zuhörenden zu Mit- und Weiterdenken sowie zu Mit-Sprechenden machen möchte. (S. 105/106)
Anschließend führt der Autor den Einfluss neuer Medien auf Verschwörungsglauben aus.
Besonders interessant fand ich die Prognose Blumes in Hinsicht auf die bevorstehenden Wahlen zum US-Präsidenten und dem Niedergang der sogenannten „Q“-Bewegung, die Donald Trump ja auch als messianische Heilsfigur sieht. Es steht zu hoffen, dass diese Prognose eintritt.

Was gegen Verschwörungsglauben hilft und wie man gegen derartige Umtriebe – auch im persönlichen Umfeld – vorgeht, führt Blume im dritten und abschließenden Kapitel aus. Weiters berichtet er aus seiner eigenen Vortragstätigkeit und geht auf das Schicksal der Holocaust-Überlebenden Edith Eger ein.

Mit seinen 160 Seiten ist der schmale Band eine anspruchsvolle Lektüre, die ihre Ansprüche an den Leser stellt, aber trotzdem immer verständlich und übersichtlich bleibt. Michael Blume zeigt sich in dem Text übrigens nicht nur als profunder und kompetenter Kenner der Materie „Verschwörungsmythen“ sondern auch äußerst sattelfest in der Popkultur von Star Wars bis hin zu Forrest Gump. Es handelt sich um ein Buch, das gerade zur Zeit äußerst wichtig ist und hoffentlich eine breite Leserschaft findet. Durch den großen Schriftsatz ist das Buch auch für Menschen mit Seheinschränkungen geeignet, was man heutzutage ja gerade im Sachbuchsektor nicht oft findet.

Somit kann ich den Band „Verschwörungsmythen“ nur voll umfänglich empfehlen.

Bibliographische Angaben:
Blume, Michael: Verschwörungsmythen: Woher sie kommen, was sie anrichten und wie wir ihnen begegnen können. Ostfildern, 2020.
ISBN 978-3-8436-1286-9, 15.– €
Als E-Book:
ISBN 978-3-8436-1287-6, 11,99 €