Die biochemischen Menschenversuche in den Konzentrationslagern Auschwitz und Dachau

1942 – Der Zweite Weltkrieg tobte, während der Wannseekonferenz wird die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen und der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, der selbst ein großer Anhänger alternativmedizinischer Therapien ist, beschließt, die Wirkungsweise der „Biochemie nach Schüßler“ (bekannt auch als „Schüßler-Salze“) an Insassen de KZs Auschwitz und Dachau testen zu lassen. Hintergrund war, dass Himmler die teuren Sulfonamide, die in den Lazaretten eingesetzt wurden, durch billigere Alternativen ersetzen zu lassen.

Hierzu beauftragte er den „Reichsarzt SS und Polizei“ Ernst Robert Grawitz. Dieser begann nun eine Versuchsreihe an Insassen des KZ Auschwitz. Hierzu wurde den Gefangenen Eiter von Kranken in die Oberschenkel injiziert, um eine Sepsis (Blutvergiftung) herbeizuführen. Diese wurden dann mit Schüßler-Salzen behandelt. Alleine, die Wirkung blieb aus und mindestens zehn Infizierte starben jämmerlich. Am 23. August 1942 meldete Grawitz diesen Mißerfolg an Himmler und verwies dabei noch auf außerhalb dieser „Testreihe“ aufgetretenen Sepsis-Fälle, die mit Kalium Phosphoricum D4 behandelt wurden und ebenfalls tödlich endeten.

Himmler ließ sich allerdings nicht beirren und ordnete weitere Versuche an, für die er einen „biochemischen Experten“ rekrutierte. Hierbei handelte es sich um Dr. Rudolf Kießwetter, der seine Experimente im Konzentrationslager Dachau begann.

Häftlinge beschrieben ihn [Kießwetter] spöttisch als „kleines nervöses Männchen“. Er injizierte vorrangig inhaftierten polnischen Priestern Eiter in den Oberschenkel und behandelte sie anschließend mit Kalium phosphoricum D6, Ferrum phosphoricum D6 und D12, Silicea D6, Natrium phosphoricum D6, Magnesium phosphoricum D6 und Calcium phosphoricum D6. Der österreichische Häftling Rudolf Kalmar erinnerte sich, die unter großen Schmerzen leidenden Probanden seien „Träger schwer eiternder Wunden“ gewesen, die man „mit allen möglichen buntfarbigen Pillen aus irgendeinem homöopathischem Laboratorium“ abgefüllt habe. Auch das Auftreten der Ärzte blieb ihm in Erinnerung: „Sie stapften gelegentlich gestiefelt und gespornt durch die Krankensäle, um dort herumzubrüllen, weil zu spät ‚Achtung!‘ gerufen worden war oder weil sich einer der Patienten nicht vorschriftmäßig Bett aufgerichtet hatte. Wenn sie gerade besoffen waren, unerblieb die Visite überhaupt.“ 56 Versuchspersonen starben während der Studien, 30 weitere erlagen später den Folgen der biochemischen Experimente. Mehrere Personen konnten durch das beherzte Eingreifen eines Krankenpflegers gerettet werden, der Sulfonamide an anderer Stelle entwendet und den Priestern injiziert hatte. (Zitat aus Florian G. Mildenberger: „Der Deutsche Zentralvereinhomöopathischer Ärzte im Nationalsozialismus: Bestandsaufnahme, Kritik, Interpretation“, Wallstein, 2016, ISBN: 978-3835318793)

Auch diese Misserfolge meldete der Grawitz an Himmler. Anstatt nun die Unwirksamkeit der Schüßler-Salze einzusehen befahl er eine dritte Versuchsreihe, in der ein direkter Vergleich zwischen den Salzen und Sulfonamiden angestellt werden sollte.

Es waren insgesamt 90 KZ-Insassen, die entweder direkt oder an den Folgen dieser Versuche starben. Die an diesen Versuchen beteiligten SS-Ärzte wurden nach dem Krieg als Kriegsverbrecher verurteilt. Allerdings beschäftigte sich das alliierte Gericht nicht mit den hier genannten Versuchen, dafür waren es wohl zu wenige Tote. Aber die Herren hatten ja noch genügend auf dem Kerbholz. Lediglich der Rudolf Kießwetter konnte sich einer Anklage entziehen. Ernst-Rudolf Grawitz sprengte sich mit seiner Familie in den letzten Kriegstagen in seiner Villa in Berlin mit einer Handgranate in die Luft.

Literatur
Jütte, Robert:„ Homöopathie und Nationalsozialismus: Letztendlich keine Aufwertung der Homöopathie“; Dtsch Arztebl 2014; 111(8): A-304 / B-263 / C-251

Klee, Ernst: „Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer“, Fischer
Verlag, Frankfurt, 1997, ISBN: 978-3100393067

Mildenberger s.o.

Beitragsbild: Von Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5337694

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