Warum ich Kritik an der Homöopathie wichtig finde – Heute: Dr. Nikil Mukerji

Heute folgt nun der zweite Teil der kleinen Serie „Warum ich Kritik an der Homöopathie wichtig finde“. Diesmal hat Dr. Nikil Mukerji aufgeschrieben, warum er die Homöopathie öffentlich kritisiert. Nikil Mukerji ist Philosoph und lehrt an der Ludwigs-Maximilians-Universität München und ist akademischer Geschäftsführer des Studiengangs Philosophie, Politik, Wirtschaft. 2017 erschien sein hervorragendes Buch Die 10 Gebote des gesunden Menschenverstands, das ja hier auf dem Blog auch bereits besprochen wurde. Gemeinsam mit Natalie Grams erschien bei Spektrum der Artikel Die Denkfehler der Homöopathie. Hier nun sein Beitrag:

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Zur Homöopathie-Kritik bin ich gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Vor etwa drei Jahren arbeitete ich an meinem Buch Die 10 Gebote des gesunden Menschenverstands. Darin geht es um die fundamentalen Prinzipien des vernünftigen Denkens und darum, wie man mithilfe dieser Grundsätze Denkfehler vermeiden kann. Mir war es wichtig, den Text nicht zu akademisch und abstrakt zu gestalten, und so suchte ich nach Beispielen, die den Unterschied zwischen vernünftigem und umvernünftigem Denken gut verdeutlichen würden. Bei meiner Recherche stieß ich auf die Homöopathie. Genauer: Ich stolperte über Natalie Grams Buch Homöopathie neu gedacht. In diesem Buch untersucht die Autorin, was an den Behauptungen von Homöopathen dran ist (knappe Antwort: nichts!). Sie geht aber auch darauf ein, warum Patienten so oft den Eindruck haben, die Behandlungen von Homöopathen würden tatsächlich wirken. Obwohl Natalie Grams es nicht explizit sagte: Mir fiel auf, dass sich der Glaube vieler Patienten an die arzneiliche Wirksamkeit der Homöopathie einfach erklären ließ, nämlich durch Verletzungen der 10 Gebote des gesunden Menschenverstands. An der einen oder anderen Stelle im Buch verwendete ich die Homöopathie deswegen als Beispiel, um verschiedene Arten von Denkfehlern zu illustrieren. Später schrieb ich mit Natalie Grams einen gemeinsamen Aufsatz, der die verschiedenen Denkfehler der Homöopathie noch einmal kompakt zusammenfassen sollte.

Was ich bis jetzt gesagt habe, verdeutlicht einen ersten Grund, warum mir die Homöopathie-Kritik wichtig ist: Als Hochschullehrer und philosophischer Autor versuche ich anderen Menschen zu vermitteln, wie man vernünftig denkt. Die Gedankengänge von Homöopathie-Fans sind eine wunderbare Blaupause dafür, wie es nicht geht. Deswegen ist die Kritik an diesen Gedankengängen für mich ein wunderbares didaktisches Instrument, um zu vermitteln, wie man Vernunftgrundsätze im Denken anwendet und wie es aussieht, wenn man sie verletzt. Nun könnte man argumentieren, dass das ein ziemlich schwacher Grund sei. Vielleicht sind die Argumente der Homöopathie-Fans auf Sand gebaut. Aber: „So what?“ Lassen wir ihnen doch ihren Glauben. Es schadet ja niemandem! Mittlerweile glaube ich, dass diese Haltung grundfalsch ist. Der verbreitete Glaube an die Homöopathie richtet tatsächlich Schaden an. In seinem kürzlich veröffentlichten Text nennt Norbert Aust einige Gründe dafür, denen ich mich voll und ganz anschließen würde. Z.B. werden ahnungslose Patienten, die Hilfe suchen, von Homöopathen mit einer Scheinbehandlung in die Irre geführt. Das verzögert unter Umständen eine wirksame Behandlung und kann zu einem Schaden für die Betroffenen führen (siehe auch: http://whatstheharm.net/homeopathy.html)! Es gibt aber noch einen anderen, etwas subtileren Gesichtspunkt, den ich für wichtig halte. Um den zu verstehen, sollten wir zunächst Folgendes festhalten:

(1) Homöopathische Medikamente enthalten in der Regel kein einziges Wirkstoffmolekül. Würden homöopathische Mittel tatsächlich wirken, dann würde das den bekannten Naturgesetzen widersprechen.

(2) Die empirische Studienlage belegt hinreichend, dass homöopathische Mittel nicht besser wirken als Placebos.

(3) Der verbreitete Eindruck, dass homöopathische Behandlungen wirken, lässt sich ganz natürlich durch grundlegende Denkfehler und Verzerrungen in der menschlichen Wahrnehmung erklären.

Wir haben Grund zu der Annahme, dass vielen Homöopathie-Anhängern zumindest manche dieser Umstände bekannt sein dürften. Die Homöopathie ist schließlich besonders unter gebildeten Menschen verbreitet (siehe: https://www.bah-bonn.de/bah/?type=565&file=redakteur_filesystem%2Fpublic%2FErgebnisse_Allensbach_deSombre.pdf). Wer dennoch an die arzneiliche Wirksamkeit homöopathischer Mittel glaubt, der sagt also im Grunde Folgendes:

(1*) Ich darf etwas auch dann glauben, wenn es den bekannten Naturgesetzen widerspricht.

(2*) Ich brauche für meine Überzeugungen keinen empirischen Beleg.

(3*) Ich darf meine Denkfehler ignorieren, wenn es mir passt.

Man sieht leicht, dass diese komplett irrationalen Denkgrundsätze auch anderen, weitaus problematischeren Auffassungen Tür und Tor öffnen könnten. Tatsächlich gibt es hier einen empirischen Zusammenhang. Wer an Homöopathie glaubt, ist z.B. signifikant häufiger Impfskeptiker und stellt damit eine Gefahr für die Allgemeinheit dar (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0264410X01002900?via%3Dihub, https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0132562). Homöopathie-Kritik scheint mir also nicht nur ein interessantes didaktisches Werkzeug zu sein. Sie stellt außerdem eine Methode dar, um Denkweisen zu bekämpfen, die in bestimmten Fällen – etwa beim Thema “Impfen” – zu hochproblematischen und gemeingefährlichen Einstellungen führen. Auch deswegen finde ich Homöopathie-Kritik wichtig!

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Beitragsbild: Von Lluvia-aweiku – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69442527