Sprechen wir über Rescue-Tropfen

Resuce-Tropfen. Nä? Auch so eine Sache. Nä? Kennt ihr ja sicherlich. Nä? Ja genau, wenn Tantchen Hildegard der Kuchen nicht gelingt, der Dackel dauernd bellt, Onkel Friedhelm wieder nervt und auch sonst ihr alles zuviel wird, dann pfeift sie sich ein Löffelchen Rescue-Troppe rein. Manchmal nennt sie sie auch Notfall-Tropfen, ist aber immer das Gleiche. Auf der Homepage des Herstellers liest sich das dann so: Rescue-Tropfen können Ihnen zu emotionaler Stabilität verhelfen und Sie beruhigen. Egal ob ein wilder Montagmorgen mit den Kindern, die sich nicht anziehen wollen oder der Tag einer wichtigen Prüfung – was auch immer Sie erwartet, mit der einzigartigen Original Bach-Blütenmischung aus fünf Bach-Blütenessenzen bleiben Sie entspannt und gelassener.

Edward Bach, der Erfinder der Bach-Blütenessenzen (nein, die haben absolut nichts mit malerischen Bergbächlein zu tun, der Name kommt vom Erfinder), hat sich diese speziell für solche „archetypischen Reaktionsmuster“, wie er das nannte, ausgedacht. Was hinter Bachs Blütenessenzen steckt, könnt ihr hier und hier nachlesen. Ich verrate euch aber schon mal das Fazit: nix. Nix ist dran.

Die Resuce-Tropfen werden aus fünf Bach-Blütenessenzen zusammengemischt: Cherry-Plum, Clematis, Impatiens, Rock Rose und Star of Bethlehem. Schon klangvolle Namen, aber die Blümken heißen nunmal so und Rock Rose oder Star of Bethlehem ist doch nochmal schicker als Gelbes Sonnenröschen oder Doldiger Milchstern. Das Zeugs gibt es nicht nur als Tropfen, sondern auch als Globuli, als Lutschpastillen, als Spray oder Kaugummi. Aber allenthalben wird darauf hingewiesen, dass die Einnahme der Rescue-Mittel keine Bach-Blütentherapie ersetzt. Am besten kauft man sich gleich den großen Setzkasten mit allen Mittelchen, damit man da frisch, fromm, fröhlich, frei rummischen kann. Das liest sich dann auf einer Verkäufer-Homepage so: Die Notfalltropfen sind eher als Akutmittel für besondere Bedürfnisse und eine eher kurzfristige Anwendung gedacht. Jeder Mensch ist ein Individuum mit ganz persönlichen seelischen Strukturen und Erfahrungen. Daraus resultieren auch ganz spezielle Bedürfnisse in Bezug auf die Bachblüten, die die Gefühlswelt optimal ins Gleichgewicht bringen und dem Menschen in seiner gegenwärtigen Situation am meisten Kraft, Halt und Ordnung geben können. Sehr lyrisch.

Ein gutes Geschäft sind die Rescue-Mittel durch den hohen Bekanntheitsgrad allemal und, seien wir doch mal ehrlich, das Versprechen, dass mit ein paar Tröpfchen/Lutschpastillen/Kaugummis alles wieder gut wird, ist doch auch verlockend.

Aber man muss immer bedenken, dass die Mittelchen des Herrn Dr. Bach immerhin nicht als Arzneimittel gelten. Jaja, ihr habt richtig gehört. Auch wenn die Tröppekens in der Apotheke verkauft werden, rein rechtlich gelten sie nicht als Arzneimittel, sondern als *Trommelwirbel* Lebensmittel. Und wer als Hersteller von Lebenssmitteln mit gesundheitsbezogenen Aussagen werben möchte, ja der muss besonders aufpassen, denn da können die Verbraucherschützer der EU echte Kniebohrer sein. Bei den Rescue-Tropfen ist es halt so, dass hier schon der gesamte Name eine gesundheitliche Wirkung verspricht.

Nun, ihr wisst ja, dass in der heutigen Zeit immer irgendwo jemand sitzt, der „KLAGE!“ brüllt, und man ist schneller vor dem Kadi, als man Supercalifragilistischexpealigetisch sagen kann. In unserem Fall fanden sich die Hersteller der Rescue-Tropfen vor dem Europäischen Gerichtshof wieder. Geklagt hatte ein Mitbewerber, zuerst vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, der die Entscheidung aber an den Europäischen Gerichtshof weiterleitete, denn die Fragestellung war dann doch recht komplex. Schauen wir uns die ganze Geschichte mal genau an.

Also, die Rescue-Tropfen werden von der Firma Nelsons unter dem Label „Original Bach-Blüten“ als „Original Rescue Tropfen“ vertrieben. Zwei Tochterfirmen des britischen Mitbewerbers Ayonnax Nutripharm war das ein Dorn im Auge, denn ihrer Meinung nach implizierte schon der Name eine gesundheitliche Aussage. Also wurde geklagt.

Die Briten wollten erreichen, dass eine Umbenennung stattfindet oder die Tropfen als Arzneimittel zugelassen werden. Nun stellte sich für die Karlsruher Richter die Frage, ob hier für sie ein Handlungsbedarf besteht, und schoben die Frage weiter an ihre EU-Kollegen. Apotheke Adhoc schrieb dazu: Der EuGH soll klären, ob Bachblütenprodukte unter der Marke Rescue vertrieben werden dürfen. Variante A: Aufgrund des hohen Alkoholgehalts sind die Produkte schlichtweg als „Schnaps“ einzustufen. Dann dürften sie gar keinen Eindruck einer positiven Wirkung auf die Gesundheit erwecken. Variante B: Die Rauschwirkung ist zu vernachlässigen – dann wäre die Frage zu klären, ob die Marke „Rescue“ als gesundheitsbezogene Aussage einzustufen und als solche zulässig ist.

Als ob das nicht reicht, gab es das Produkt unter dem Namen „Rescue Tropfen“ schon vor 2005, als die EU-Lebensmittelverordnung in Kraft trat. Bis dahin waren die Troppen nämlich noch Arzneimittel. Und in dieser Verordnung ist ein Bestandsschutz bis zum Jahre 2022 enthalten.

Kompliziert, nicht? Es ist aber auch unfair, da kommt diese doofe EU an und verlangt tatsächlich, dass gesundheitsbezogene Aussagen wissenschaftlich belegt sein müssen. Und mit wissenschaftlichen Belegen haben es unsere Freunde von der Alternativmedizin ja nun nicht so.

Aber schauen wir uns einmal an, was der Europäische Gerichtshof in Luxemburg so entschieden hat. Also erstmal sind die Bach-Blüten kein Schnaps, trotz 27 Volumenprozent Alkohol. Aber die Mengen, die aufgenommen werden, zu gering sind, um eine berauschende Wirkung zu zeigen. Noch nicht mal das gönnt einem der olle Bach.

Der Begriff „Rescue“ ist in den Augen der Richter tatsächlich eine gesundheitsbezogene Aussage, wenn auch unspezifisch. Da das Produkt allerdings mit der gleichen Rezeptur und dem gleichen Handelsnamen bereits vor 2005 vertrieben wurde, fällt es unter den Bestandsschutz bis 2022.

Der juristische Newsletter „meyer news“ fasst es in feinstem Juristendeutsch folgendermaßen zusammen: Der EuGH entschied nun, dass das Markenprivileg des Art. 28 Abs. 2 auf ein mit einer Handelsmarke oder einem Markennamen versehenes Lebensmittel anwendbar sei, das vor dem 1.1.2005 als Arzneimittel und danach – mit den gleichen materiellen Eigenschaften und unter derselben Handelsmarke oder demselben Markennamen – als Lebensmittel vermarktet wurde; wobei hier wohl maßgeblich war, dass die streitgegenständlichen Präparate sowohl während des für Art. 28 Abs. 2 HCVO maßgebenden Zeitraums, d. h. vor dem 1.1.2005, als auch heute Lebensmittel im Sinne der HCVO waren und sind, wie zuvor gerichtlich festgestellt wurde.

Also haben die Kläger im Prinzip schon gewonnen, aber auch wieder nicht. Nunja, die beklagte Firma Nelsons hat sich nun dafür entschieden, den 135. Geburtstag von Eddie äääh Edward Bach 2021 dazu zu nutzen, bereits ein Jahr früher die Rescue-Tropfen umzubenennen. Um einen alten Werbespruch zu beanspruchen: „Aus Rescue wird Rescura – Sonst ändert sich nix“. Rescura. Ist ja mal seeeeeeeehr einfallsreich. Und damit rühren’s die Werbetrommel wie die Wilden. Naja. Wenn’s meinen.

Aber das war nicht die erste Auseinandersetzung um die Thematik. 2013 wurde vom „Verband Sozialer Wettbewerb“ ein Apotheker aus Rheda-Wiedenbrück verklagt, weil der in seiner Werbung gesundheitsbezogene Aussagen machte. Apotheke Adhoc schreibt dazu: Zur Original Bachblütenmischung hieß es etwa: „Gelassen und stark durch den Tag“. Das Präparat werde „von Verbrauchern in über 45 Ländern in emotional aufregenden Situationen wie z.B. einer Flugreise, einer Prüfung, einem Zahnarzttermin … verwendet“. Rescue-Tropfen würden „gerne in emotional aufregenden Situationen, z.B. im Job, verwendet“, die Blütenessenzen könnten „uns unterstützen, emotionalen Herausforderungen zu begegnen“.

Das Oberlandesgericht in Hamm gab dem klagenden Verband Recht, die getätigten Aussagen verstießen gegen die entsprechende Verordnung. Apotheke Adhoc: Die beworbenen Produkte zielen laut OLG nicht nur auf das allgemeine Wohlbefinden ab, sondern versprechen – auch wenn die Wirksamkeit nicht empirisch belegt sei – einen gesundheitlichen Effekt: Nach der Lehre des britischen Arztes Dr. Edward Bach solle körperlichen Krankheiten durch Wiederherstellung des seelischen Gleichgewichts entgegengewirkt werden.
Personen mit den aufgezählten Angstzuständen befänden sich nicht mehr in einem seelischen Gleichgewicht und seien in ihrer Gesundheit beeinträchtigt. Für die Überwindung derartiger Ängste böten Ärzte und Psychotherapeuten sogar spezielle Therapieprogramme an.
Die Werbeaussage unterscheide sich von Claims wie etwa „so fühl ich mich wohl-Kaugummi“, „Gute Laune Drops“ oder „Trostschokolade“. Hier werde lediglich das allgemeine Wohlbefinden des Verbrauchers – unterhalb der Schwelle einer Störung des seelischen Gleichgewichts – angesprochen. Bei der Bachblütenwerbung werde dagegen schon durch die Art der Verpackung (Pipettenfläschchen) eine medikamentenähnliche Wirkweise suggeriert.

Tja, wie man es dreht und wendet, die Bach-Blüten beruhen nun einmal auf einem esoterischen Konzept, da hilft auch noch soviel Werbung nicht.

5 Gedanken zu “Sprechen wir über Rescue-Tropfen

  1. da hilft auch noch soviel Werbung nicht, und Aufklärung auch nicht. Wer dran glaubt lässt sich oft nicht vom Gegenteil überzeugen

  2. Ich hatte mit diesen Zeug ein nettes Erlebnis: War ganz frisch in eine Landkommune im Allgäu gezogen und habe dort im Gasthof gearbeitet – und mich prompt in den Finger geschnitten. Als Koch ist das nun für mich kein Drama – passiert schon mal – aber meine Mit-Kommunardin wollte mir nun unbedingt helfen und kam mit eben diesen Rescue-Tropfen an. Gut, ich war neu, schaden tun die nicht – nimmste sie halt, nicht gleich anecken … Tja, geschluckt und sofort hatte ich einen Cognac-Schwenker – fast bis zum Rand mit Brandy gefüllt – in der Hand – dazu den Tipp: „Spül damit runter, das mach ich auch immer so!“ – Und da war mir dann auch klar, wie und warum das Zeug wirkt …

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