Frau Blavatsky und ihre Wurzelrassen

Wenn man sich mit der Esoterik beschäftigt, dann stößt man über Kurz oder Lang auf Madame Blavatsky. Eine schillernde Figur des 19. Jahrhunderts, die mit ihren Büchern „Die entschleierte Isis“ und „Die Geheimlehre“ nicht nur das Fundament für ihre Theosophische Gesellschaft, sondern auch für die moderne Esoterik gelegt hat. Ihr bekanntester Schüler und Gefolgsmann war Rudolf Steiner, der mit seiner Anthroposophie einen eigenen Ableger der Theosophie begründete.

In ihrem Buch „Die Geheimlehre“ formuliert sie auch den Mythos der so genannten „Wurzelrassen“, der bald auch schon in anderen Lehren, wie eben der Anthroposophie oder der Ariosophie aufgegriffen und für die eigenen Zwecke umgearbeitet wurde.

Helena Blavatsky hat sich tatsächlich einen komplett neuen Schöpfungsmythos ausgedacht, in der der Mensch als älteste Lebensform auf der Erde diese beherrscht. Entstanden ist er daraus, dass der göttliche Geist in Materie gefahren sei und seitdem bestrebt ist, die materielle, menschliche Hülle wieder abzustreifen und in das Stadium des reinen Geistes zurückzukehren.

Laut Frau Blavatsky erfolgt diese Rückkehr in das Stadium des reinen Geistes dadurch, dass die Menschheit eine Entwicklung durch sieben aufeinander abfolgende Wurzelrassen durchlaufen muss, wobei sich jede Wurzelrasse wieder in sieben so genannte „Zweigrassen“ oder „Familienrassen“ aufteilt. Dies geschieht in einem mehrstufigen System aus Reinkarnationen, die auf dem Gesetz des Karmas beruhen. Hat eine Wurzelrasse die ihr gestellte Aufgabe erfüllt, geht sie unter und nimmt ihren Kontinent, auf dem sie gelebt hat, gleich mit. In der ungeschönten Sprache der damaligen Zeit erklärt sie, dass „Rothäute, Eskimos, Papuaner, Australier, Polynesier usw. – Alle sterben aus. […] Und ihre Auslöschung ist […] eine karmische Notwendigkeit.“ Übrig blieben nach ihrer Überzeugung nur drei Rassen, nämlich der „Arier“, der „Gelbe“ und der „afrikanische N****“.

Diese Entwicklung ist in ihrer Vorstellung nicht spontan, wie es beispielsweise die Evolutionslehre kennt, sondern beruht auf einem Zuchtprogramm, welches von „übernatürlichen Wesen“ für die Menschheit entwickelt wurde. Insgesamt geht es bei ihr anders herum, nicht der Mensch passt sich an seine Umwelt an, sondern der Mensch passt seine Umwelt an sich an.

Ganz besonders angetan war Helena Blavatsky vom damals populären Atlantis-Erzählung von Ignatius Donelly. Insgesamt bedient sie sich munter aus allen möglichen Bereichen der Esoterik und der damaligen Wissenschaft wie Atlantis-Erzählung, Arier-Mythos, Theologie, Medizin oder Paläontologie. Dies alles wird in einen großen Cocktailshaker gepackt und so lange geschüttelt, bis eben ihre Theosophie dabei rauskommt.

Aber schauen wir uns die sieben Wurzelrassen doch einmal genauer an.

Die menschliche Entwicklung begann demnach mit der ersten, der astralen, körper- und geschlechtslosen Wurzelrasse, die in einem unsichtbaren „unvergänglichen, heiligen Land“ entstanden sei. Die ersten irdischen Menschen dieser ätherischen Wurzelrasse seien Nachkommen der „Pitris“ gewesen, der „Mondvorväter“, die vom Mond, gekommen seien, dem angeblichen Vorgängerplaneten der Erde. Diese hätten sich zu „Dhyan-Chohans“ entwickelt, engel- oder göttergleichen überlegenen Wesen, die das Ziel auch der menschlichen Evolution darstellten. Es gebe sieben „Dhyan-Chohans“, von denen sich jeder eine „äußerlich und innerlich verschiedene Rasse von Menschen“ schaffe. Die erste Wurzelrasse sei nicht ausgestorben, da sie unsterblich sei, sie habe sich lediglich zurückgezogen.

Soweit erklärt das die Wikipedia, wo ich diesen Absatz geklaut habe, denn das ganze Gedöns war für mich ein bissken kompliziert zusammenzufassen. Vor allem, weil sich ja Frau Blavatsky in einigen Sachverhalten äußerst nebulös gibt. Ich habe ja die „Geheimlehre“ intensiv gelesen, aber die Geschichte mit den Mondvorvätern und Dhyan-Chohans und den Pitirs nicht so wirklich verstanden. Irgendwie liest sich die ganze Geschichte so wie „Der Herr der Ringe“, allerdings wird dem Leser nicht verraten, dass es um einen Ring geht. Und die Hobbits verschwiegen werden. Und eh nur die halbe Geschichte erzählt wird. Also das irgendwer irgendwohin geht, um irgendwas irgendwo rein zu werfen. Toll nicht?

Die zweite Wurzelrasse lebte auf Hyperborea. Hyperborea ist ein erdachter Kontinent, der sich ähnlich wie Thule im äußersten Norden der Welt befunden haben soll. Diese zweite Wurzelrasse soll ein missglückter Versuch der „übernatürlichen Wesen“, einen äthero-physischen Körper mit einem psycho-spirituellen Geist zu verbinden. Das Ergebnis waren dann riesige, halbmenschliche Ungeheuer mit nur sehr geringem Verstand, die sich durch Knospung fortpflanzenten. Naja. Warum nicht…
Diese Herrschaften wurden durch eine sintflutartige Naturkatastrophe im wahrsten Sinne des Wortes hinfortgespült.

Die dritte Wurzelrasse lebte auf Lemuria. Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen erdachten Kontinent, der diesmal allerdings im Indischen Ozean gelegen haben soll und um den sich zahlreiche Mythen ranken. Entstanden sein soll Wurzelrasse Nr. 3 aus „schweißartigen Ausflüssen“ von Wurzelrasse Nr. 2. Aus diesen Ausflüssen sollen auch Tiere entstanden sein. Wurzelrasse Nr. 3 soll sich durch Eier vermehrt haben. Wie auch Nr. 2 kannte diese Wurzelrasse noch kein individuelles Ich. Soweit so gut, aber mit dem Erscheinen ihrer fünften Unterrasse (also WR 3/5) wird es spannend. Da entwickeln die Lemurier nämlich Sprache, Selbstbewusstsein und stiegen auf eine sexuelle Fortpflanzung um (Zwinki Zwonki). Dabei hätten sie es laut der Darstellung von Frau Blavatsky aber so übertrieben, dass sie sich mit „niederen Rassen“ vergnügt hätten, woraus bösartige Monstren entstanden seien. Also ein „Sündenfall“.

Die vierte Wurzelrasse bestand aus den Lemuriern, die „geistig rein“ geblieben sind. Diese zogen sich auf die Insel „Shambala“ in der Wüste Gobi zurück, wo sie eine „lemuro-atlantische Dynastie der Priesterkönige“ gründeten. Sie ist dann auch die erste menschliche Rasse, in unserem Sinne, mit Sprache und moralisch-ethischen Bewusstsein. Ab dem Moment war diese vierte Wurzelrasse auf dem mythischen Kontinent Atlantis angesiedelt, ohne dass Frau Blavatsky näheres dazu erklärt, wie sie dorthin gekommen sind. Die Atlantier seien anfangs von riesenhafter Statur gewesen und hätten über eine hochentwickelte Technik verfügt, die es ihnen ermöglichte, gigantische Bauwerke wie die Tempel der Megalithkultur und die ägyptischen Pyramiden zu errichten. Zudem hätten sie wie vor ihnen schon die Lemurier ein „drittes Auge“ besessen, was sie befähigt hätte, „die Ewigkeit zu erkennen“. Von ihrer fünften Unterrasse an sei es aber schrittweise verschwunden. Nachdem vor mehreren Millionen Jahren ihr Kontinent Atlantis untergegangen sei, hätten sich die Überlebenden auf die Inseln Ruta und Daitya geflüchtet, die in einer weiteren Katastrophe etwa 850.000 v. Chr. untergegangen seien. Darauf bezögen sich viele Sintflutsagen und Platons Atlantis-Erzählung. Die unentwickelten dunkelhäutigen Nachkommen der Atlantier seien tausende Jahre später von den höher entwickelten Ariern aus Europa und Asien vertrieben worden und in Afrika und auf abgelegenen Inseln „schrittweise in einen noch verworfeneren und unzivilisierteren Zustand abgeglitten“.

Die fünfte Wurzelrasse besteht aus den Ariern, die nach der Blavatsky vor etwa einer Million Jahren in Nordasien entstanden. Nachdem Atlantis untergegangen war, soll sich der europäische Kontinent aus dem Meer erhoben haben, den die Arier besiedelten.  Mit dieser Wurzelrasse sei „der perfekte Meridianpunkt der perfekten Ausrichtung von Geist und Materie überschritten worden – oder das Gleichgewicht zwischen dem Hirn-Intellekt und der spirituellen Wahrnehmung“. Die Hauptvölker der Arier sind laut Blavatsky die Europäer und die Inder. Aktuell bilden die Europäer die fünfte Unterrasse der fünften Wurzelrasse. Mit dem Erscheinen der nächsten beiden Unterrassen soll auch ein neuer „Lehrer der Menschheit“ die Bühne betreten. Allerdings sollte dies bereits im letzten Viertes des 20. Jahrhunderts geschehen sein. Und wenn ich mir die Welt aktuell so anschaue… Naja, ich habe da so meine Zweifel…

Die sechste Wurzelrasse soll sich in Amerika manifestieren. Vorher soll durch eine Naturkatastrophe die bis dahin bestehende Menschheit zum größten Teil ausrotten. Im Zuge dieser Katastrophe soll auch ein sechster Kontinent auftauchen, wohin sich die letzten Überlebenden retten würden. Diese sechste Wurzelrasse soll die Ketten der Körperlichkeit hinter sich lassen, ätherisch-androgyn werden und über übersinnliche Fähigkeiten verfügen.

Die siebte Wurzelrasse wird die „Rasse der Buddhas, der Söhne Gottes“ werden, die von „unbefleckten Eltern“ geboren werden. Aus ihr wird auch der Maitreya Buddha, der letzte Messias der Menschheit hervorgehen. Es wird eine Rasse der reinen Geistigkeit sein und den Zyklus des Lebens von Menschen auf der Erde abschließen. Es soll sich dann auch über Planeten regierende Götter handeln. Sagt jedenfalls Frau Blavatsky

Man muss natürlich sagen, dass sich Frau Blavatsky die ganze Sache einfach ausgedacht hat. Es gibt keinerlei wissenschaftliche Beweise für ihre Behauptungen. Es ist wie bei jeder Religion oder Glaubensvorstellung: man soll daran glauben.

Aber ist die Erzählung von den Wurzelrassen von Frau Blavatsky rassistisch? Ja, auf jeden Fall. Sie reproduzierte die damals gängigen rassistischen Stereotypen. So waren die Schwarzen in Afrika für sie nur Kinder, die die Anleitung durch überlegenere Rassen benötigen. Asiaten, mit Ausnahme der Inder, werden als gottgegebene Dienstboten oder „Kulis“ dargestellt. Allerdings muss man auch feststellen, dass die Blavatsky in Relation zu anderen Schriftstellern ihrer Zeit, die sich mit ähnlichen Sujets beschäftigten, nicht besonders extrem war in ihren Äußerungen.

Genauso war es mit ihren antisemitischen Äußerungen. Zwar rechnete Helena Blavatsky die Juden zu den arischen Völkern, doch behauptete sie bereits in ihrem Buch „Die entschleierte Isis“, dass die Semiten das am wenigsten Spirituelle Volk seien, das nicht im Stande sei, moralische oder allgemein intellektuelle Gedanken durch ihre Sprache auszudrücken. Ihre gesamte Kultur sei eine Sammlung von verschiedensten Anleihen höherstehender Völker. Die Juden seien ein Hybridvolk, das es darauf anlege, sich mit möglichst vielen anderen Völkern zu vermischen.  Damit deutet Blavatsky laut dem israelischen Historiker Isaac Lubelsky an, dass das Judentum selbst keine originäre, sondern nur eine Mischkultur hätte entwickeln können. Lubelsky erklärt diese Polemik mit Blavatskys Absicht, das auf dem Judentum basierende Christentum zu delegitimieren. Im Vergleich zu den antisemitischen Vorurteilen, die in dem russischen Milieu, aus dem Blavatsky stammte, gang und gäbe waren, erscheine ihre Haltung eher zurückhaltend.

Viel schwerer wiegt aber, dass Helena Blavatsky mit ihrer Geschichte von den Wurzelrassen die Grundlage für viele andere Esoteriker geschaffen hat, die ihre zutiefst antisemitischen, rassistischen und menschenverachtenden Lehren hierauf aufbauten. Sei es Guido List mit seiner Ariosophie, Jörg Lanz von Liebenfels mit seinem Neutemplerorden, der auch als „Der Mann, der Hitler die Ideen lieferte“ bekannt wurde, oder eben auch Rudolf Steiner mit seiner Anthroposophie. Auch die Vril-Gesellschaft oder die Thule-Gesellschaft nutzten dieses Fundament.

Wie aber beispielsweise Rudolf Steiner die Wurzelrassenlehre umbaute, das ist eine andere Geschichte.

4 Gedanken zu “Frau Blavatsky und ihre Wurzelrassen

  1. > Wie aber beispielsweise Rudolf Steiner die Wurzelrassenlehre umbaute, das ist eine andere Geschichte.

    Genau auf diese Geschichte freue ich mich, da man es doch immer wieder mit Anthroposophie-Fans zu tun bekommt, die überhaupt keine Vorstellung davon haben, worauf diese ach so sanften Ideen denn überhaupt beruhen.

  2. Man muss Frau Blavatsky schon Respekt zollen für die Resilienz gegenüber jeglicher Verstandesbemühung, die in der Lage war, einen solchen gequirlten Haufen an geistigen Ausscheidungen hervorzubringen. Deshalb ist das Schlüsselwort in deinem großartigen Artikel, lieber Michael, eben auch „ausgedacht“.
    Das eigentliche Phänomen ist allerdings, dass all das Gefolgschaft fand. Und offenbar noch heute findet. Und welche Ehre für Frau Blavatsky: moderne Esoterikforscher lassen den modernen Esoterikbegriff (der sich endgültig von der Sphäre der Erkenntnis, also gesichertem Wissen, ablöst), auch noch mit ihr beginnen.
    Nun, immerhin klare Verhältnisse. Noch Hahnemann fußte auf esoterischen Vorstellungen, aber ohne imstande zu sein, dies von gesicherter Erkenntnis trennen zu können. Gegenüber ihm war Steiner, 100 Jahre später, Vorsatztäter.

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