Wie die Homöopathie nach Indien kam

Seit im Jahre 1505 mit portugiesischen Händlern die ersten Europäer dauerhafte Ansiedlungen in Indien gründeten, wurde der Subkontinent von verschiedenen Kolonialmächten stark geprägt. Da waren die bereits angesprochenen Portugiesen, Franzosen, Niederländer und sogar Dänen, die versuchten, ein Stück vom Kolonialkuchen abzubekommen. Der größte Platzhirsch war aber natürlich Großbritannien, das seit der Schlacht von Plassey 1757 die anderen europäischen Mächte an den Rand drückte. Zum Vergleich: nach der britischen Offensive verfügte Frankreich nur noch über ein Gebiet, das mit 513 km² um 10 km² kleiner war, als das Gebiet der Einheitsgemeinde Möckern im Jerichower Land. Bemerkenswert war allerdings, dass es nicht die britische Krone war, die Indien als Kolonie hielt, sondern die East-India Company. Erst nach der großen Sepoy Meuterei von 1857 wurde die Company aufgelöst und Indien eine Kronkolonie, die, wie wir uns erinnern, nach der Intervention der Herren Gandhi und Nehru 1947 ihre Unabhängigkeit erhielt.

Die Medizin bzw. die medizinische Versorgung der Bevölkerung war ein wichtiger Punkt der britischen Kolonialpolitik und so verwundert es nicht, dass die Medizin durchaus auch als Instrument des Machterhalts eingesetzt wurde.

Werfen wir aber zuerst einen Blick auf die präkoloniale Zeit in der indischen Medizin. Hier dominierten zwei Heilverfahren (die unzähligen kleineren, teils nur lokal angewandten Strömungen, kann hier leider nicht eingegangen werden), die auf dem Subkontinent Anwendung fanden. Dies waren im Bereich der hinduistisch/buddhistischen Bevölkerung das Ayurveda und im Bereich der muslimischen Bevölkerung die Unani.

Unter Ayurveda versteht man eine traditionelle indische Heilkunst, die auf einer spirituellen Lehre beruht. So verwundert es nicht, dass bspw Wirkungsnachweise im Sinne der evidenzbasierten Medizin fast komplett fehlen. Ach mit den allgemeinen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ist Ayurveda zum allergrößten Teil nicht vereinbar. Dies gilt auch für Unani, die klassische arabische Medizin, die auf der antiken griechischen Medizin und besonders der Vier-Säfte-Lehre (Humoralpathologie) basiert.

Die Zeit der britischen Herrschaft ist geprägt von großen gesellschaftspolitischen Veränderungen und wissenschaftlichen Durchbrüchen, die sich auf medizinische Systeme, Institutionen und Therapeuten in Indien auswirkten. In dieser Zeit gewann das Praktizieren der westlichen Medizin in Indien an Fahrt, was von der Unterstützung der Briten sowie der im Westen gebildeten Inder gefördert wurde. Diese im Westen ausgebildeten Inder wurden hauptsächlich im untergeordneten medizinischen Dienst ranggleich mit Europäern beschäftigt. Im Volksmund wurde die westliche Medizin als „Doctory“ bezeichnet.

Gleichzeitig stellte die Kolonialverwaltung sämtliche Unterstützung der „indischen Medizin“ ein und die Vaidyas (Heiler im Ayurveda) und Hakims (Heiler im Unani) erlitten einen erheblichen Prestigeverlust gegenüber der westlichen Medizin. Eine übergreifende Zusammenarbeit zwischen den westlichen Ärzten und den einheimischen Heilern gab es nicht. Da die Heiler allerdings von der Zahl her weitaus größer waren und auch billiger praktizierten, blieben sie im Volk selbst doch recht beliebt.

Ab den 1820er Jahren begannen die Briten ein einheitliches medizinisches System für ihre indischen Kolonien zu schaffen. Dies begann mit den Chirurgen im Dienst der British East India Company und führte zur Einrichtung zahlreicher medizinischer Colleges und der Gründung des Indian Medical Service (IMS). Um die Ausbildung von Frauen zu Ärzten zu fördern und anzuregen wurden spezielle Fonds zu deren Unterstützung eingerichtet und Programme aufgelegt.

Die seit Anfang der 1830er immer stärker werdende nationalistische und antibritische Bewegung befleißigte sich auch der Medizin und versuchte, gerade Ayurveda wieder als die „richtige indische Medizin“ zu positionieren. Die Doctory wurde per se abgelehnt, weil sie aus Großbritannien stammte.

In diese aufgeheizte Atmosphäre stolperten zu jener Zeit die ersten christlichen Missionare aus Deutschland. Neben ihrer Missionstätigkeit begannen sie auch, arme Menschen oder Angehörige von niederen Kasten mit homöopathischen Mitteln zu behandeln. Nachdem sie diese kostenlos verteilten, war der Zuspruch sicherlich recht positiv. Genau kann dies leider nicht ausgeführt werden, da dies die Quellenlage nicht zulässt. Zur gleichen Zeit beginnen auch einige wenige britische Ärzte ihre Patienten mit Homöopathie zu behandeln. Da diese nur aus weißen Kolonialbeamten bzw. deren Familien bestand, hatte dies aber keinen nennenswerten Erfolg.

Erst mit Johann Martin Honigberger änderte sich dies. Honigberger, am 10. März 1795 im siebenbürgischen Kronstadt geboren, absolvierte nach dem erfolgreichen Besuch des Gymnasiums eine Apothekerlehre. Eine ärztliche Ausbildung oder gar ein Studium hat Honigberger nicht absolviert. 1815 unternahm er seine erste Reise in den Orient, auf der er bereits im osmanischen Reich und in Ägypten homöopathische Behandlungen durchführte. Hier lernte er in Lahore, der Hauptstadt des Sikh-Reiches auch den Maharadscha Rajit Singh kennen, den er ebenfalls behandelte und dessen „Residenz-Arzt“ wurde. 1833 kehrte er nach Europa zurück, um 1837 wieder nach Konstantinopel zu gehen, wo er bis 1838 seine homöopathische Praxis wiederaufnahm, bis er wieder nach Lahore zog, wo er wieder am Hofe von Rajit Singh arbeitete, der in seiner Obhut 1839 verstarb. Nach der Einnahme Lahores durch die Briten 1849 wurde er des Landes verwiesen. Hierauf nahm er seine Reisetätigkeit und besuchte den gesamten indischen Raum bis ins Himalaya-Vorland, Hindustan oder Kaschmir. Überall führte er auch homöopathische Behandlungen durch. 1869 kehrte er nach Kronstadt zurück, wo er kurz darauf verstarb. Durch seine intensiven Reisen, verbunden mit seinen Behandlungen sorgte er für eine große Verbreitung der Homöopathie in Indien.

Ein weiterer deutscher Homöopath war der Chirurg Samuel Böckling, der 1848 einige homöopathische Krankenhäuser gründete.

1861 war es dann, dass auch einheimische Ärzte Interesse für die Homöopathie zeigten. An erster Stelle sei hier Rajendra Babu zu nennen, der in Kalkutta wirkte. Dr Majumdar gründete 1870 eine stark frequentierte Praxis. Er veröffentlichte zahlreiche Aufsätze und gründete die „Indische homöopathische Revue“. Auch die Gründung eines Colleges zur Ausbildung für Homöopathen in Kalkutta geht auf ihn zurück.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erschien im Kreise der indischen Homöopathie eine Persönlichkeit von großem Weitblick: Mahes Ch. Bhattacharyya, ein Chemiker und Pharmazeut, der der Pionier der homöopathischen Pharmazie in seinem Lande war. Er verbreitete den Gebrauch homöopathischer Mittel in den Volksschichten, veröffentlichte ein Arzneihandbuch in Englisch und Bengalisch und trug viel dazu bei, daß die Homöopathie im ganzen Subkontinent Indien verbreitet wurde.*

Die weite Verbreitung der Homöopathie geht also hauptsächlich auf zwei Punkte zurück: 1. Die Homöopathie wurde als deutsche Wissenschaft angesehen und nicht als britische.
2. Die ersten Verbreiter der Homöopathie in Indien boten ihre Dienste und ihre Medikamente äußerst günstig, teilweise sogar kostenlos an. So konnten sich auch die Ärmsten diese Art der Behandlung leisten.

*Baur/Schweitzer: Ein Buch geht um die Welt. Heidelberg, 1975.

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