Lieber Samuel,
heute vor 267 Jahren wurdest Du im sächsischen Meißen geboren und im Gegensatz zu vielen Deiner Zeitgenossen, ist Dein Name noch immer bekannt. Du hast aber auch schon einiges geleistet, hast beispielsweise die Weinprobe auf Blei entwickelt und damit sicherlich viele Menschen vor einer Vergiftung bewahrt. Von Dir wurden auch zahlreiche damals aktuelle Bücher ins Deutsche übersetzt und damit die medizinische Welt in Deutschland mit den neuesten Forschungsergebnissen versorgt. Ein sehr löbliches Unterfangen. Auch selbst hast Du viele Bücher veröffentlicht, wie Dein Apothekerlexikon beispielsweise. Ein Standardwerk seiner Zeit. Du warst durchaus ein renommierter und anerkannter Mediziner Deiner Zeit. Das sieht man auch daran, dass Du in die Gelehrtenakademie Leopoldina oder in die Kurfürstlich-Mainzische Academie der nützlichen Wissenschaften aufgenommen wurdest. Das alles nötigt mir doch einigen Respekt ab.
Aber Dein wirklich großer Coup war die Erfindung der Homöopathie. Gut, gut, ich sag ja nichts, zu Deiner Zeit hatte dies sicherlich eine gewisse Berechtigung. Damals, als viele reguläre Therapien aus Blutegeln, Aderlass und Abführmittel bestanden und viele Patienten eher an der Behandlung als an der Krankheit starben. Aber die Medizin hat sich weiterentwickelt und ich bin mir sicher, dass Du diese Entwicklungen als sehr spannend empfunden hättest. Es würde mich wirklich interessieren, was Du heute zur Homöopathie sagen würdest, wenn Du die Möglichkeiten der evidenzbasierten Medizin sehen könntest. Und vor allem, was Du sagen würdest, wenn Du sehen könntest, dass man auch nach 200 Jahren die angeblich Wirkweise der Homöopathie noch nicht nachweisen kann. Würdest Du stur an Deiner Erfindung festhalten oder würdest Du Deinen Irrtum einsehen? Ich weiß es nicht. Du wurdest ja sogar von Biographen, die Dich sehr verehrt haben als jähzornig und nicht gerade nett beschrieben. Würdest Du poltern, schreien und toben? Das alles könnte natürlich sein, aber ich glaube, letztendlich wärst Du Wissenschaftler genug, um Deinen Irrtum einzusehen.
Was mich auch interessieren würde wäre, was Du zu Deiner heutigen Gefolgschaft sagen würdest, die in Deinem Namen nicht gerade wenig Unsinn verzapfen. Du selber hast ja zum Beispiel der Pocken-Impfung, die zu Deiner Zeit gerade von England nach Deutschland kam, recht positiv gegenüber gestanden. Deiner Meinung nach war es ja eine Bestätigung Deines Grundsatzes, dass Ähnliches mit Ähnlichem geheilt werden könnte. Nun, viele Deiner heutigen Anhänger verteufeln die Impfungen geradezu und raten ihren Patient*innen tatsächlich davon ab. Würdest Du das gutheißen oder würdest Du einen Deiner Anfälle von Jähzorn bekommen und die ganze Bande „abwatschen“?
Gut, auf beide Fragen werden wir nie eine definitive Antwort bekommen, aber ich selber habe schon sehr große Zweifel, ob Du mit der Homöopathie und ihren Repräsentanten im Jahr 2022 so glücklich wärst.
Naja, aber heute ist erstmal Geburtstag und das heißt auch: KUCHEN! Und den gehe ich jetzt essen. Eierlikörkuchen. Gut, Eierlikör kennst Du nicht, wurde der doch erst 24 Jahre nach Deinem Tod erfunden, aber da bin ich mir sehr sicher, dass Dir der geschmeckt hätte. Also: Wohlsein, oider Haberer!
Wo genau gibt es jetzt diesen Kuchen? (Ich frage für einen Freund.)