Von Brunnenvergiftung bis Zinswucher – Eine Übersicht antisemitischer Narrative

Es gibt wohl nichts, woran „der Jude“ im Laufe der Weltgeschichte nicht schuld war. Egal ob Krieg, Hungersnot oder Pestilenz, die Juden waren schuld, weil sie „unseren Herrn Jesu ans Kreuz gegeben“ haben. Die Narrative über die üblen Pläne der Juden gegen die Christenmenschen sind Legion, haben aber alle ein verbindendes Element: sie sind Unsinn. Schauen wir uns doch einige dieser Verschwörungstheorien einmal an. Der Übersichtlichkeit halber ordne ich sie alphabetisch.

Brunnenvergiftung

Es dürfte wohl eines der bekanntesten antisemitischen Narrative sein, dass die Juden angeblich die Brunnen der Christen vergiftet hätten, damit diese an grassierten Seuchen erkranken. Dass die Juden selbst auch erkrankten, störte den tobenden Mob nicht.

1321 wurde in Südfrankreich Juden die Brunnenvergiftung vorgeworfen. Sie hätten, auf Initiative von Muslimen hin, an Lepra erkrankte Christen (genannt „Aussätzige“) dazu angestiftet, ihre Glaubensbrüderdurch vergiftetes Brunnenwasser zu ermorden, und dafür angeblich Gift geliefert und Geld gezahlt. Dieser Vorwurf einer Verschwörung der „Feinde des Christentums“ trug in der Folge offenbar zur Vertreibung der Juden aus Frankreich bei. Philipp V. rechtfertigte den Massenmord an Wehrlosen in einem Edikt vom 21.Juni. Seit dem 11. Juni galten die Juden bereits als Bundesgenossen der Aussätzigen und wurden in südfranzösischen Städten und Regionen – u. a. Tours, Chinon, den Grafschaften Anjou und Touraine –ebenfalls verfolgt und verbrannt. Dabei berief man sich auch auf ein Sendschreiben von Philipp von Valois, Herzog von Anjou: Dieser zitierte einen Brief, den man bei einem Juden Bananias entdeckt habe. Dieser habe ihn an alle orientalischen Herrscher versenden wollen und darin einen angeblichen Pakt der Juden Frankreichs mit den Muslimen bekräftigt. Er habe mit ihnen die Auslieferung Frankreichs im Tausch für Jerusalem verabredet. Daraufhin seien die Aussätzigen mit gewaltigen Mengen Gold und Silber dazu bestochen worden, ein von den Juden zubereitetes Pulver in alle Brunnen, Quellen und Zisternen zuschütten. Weitere, angeblich von den Mauren abgefangene Briefe sollten diese fingierte Verschwörung bestätigen: So übten Adelige auf den König Frankreichs Druck aus, bis dieser im Juli alle Juden seines Reichs gefangen setzte, um sich ihre Güter anzueignen. Die als Täter geltenden Juden wurden in Paris verbrannt, die überlebenden Juden wurden 1323 nach zweijährigen Prozessen vertrieben. Die Beschuldigung der Leprakranken erhielt man bis dahin schon nicht mehr aufrecht.

Tief ins Volksbewusstsein grub sich das Narrativ der jüdischen Brunnenvergifter aber erst während der großen Pestepidemie des „Schwarzen Todes“, der ab 1348 über Italien kommend, ganz Europa verheerte. Für die Infektion machte man die Juden verantwortlich, und kurzerhand erschlug man die vermeintlichen Übeltäter. Vordergründig verbreitete man, dass die Israeliten durch das Vergiften der Brunnen alle Christen umbringen wollten. Tatsächlich bot die Pest allerdings nur einen Vorwand für die Bevölkerung, um lange aufgestaute Aggressionen ausleben zu können. Natürlich spielte auch eine gehörige Portion Angst vor dem Unbekannten mit hinein, denn die Erreger einer solche Krankheit wie die Pest war ja in früherer Zeit nicht bekannt, und die Medizin war ratlos. So war es der Bevölkerung nur recht, dass sie einen Sündenbock ausmachen konnte, und als es dann noch hieß, dass die Epidemie von den Juden künstlich erzeugt worden sei, brach der „Volkszorn“ los. Dass die Juden selbst an der Pest erkrankten, störte nicht. Vor allem am Rhein, an der Donau und in Mitteldeutschland ging es blutig zu, während es in Norddeutschland, wo nur spärlich Juden wohnten, zu weniger Ausschreitungen kam.

Einige Städte und Herrscher nahmen die Juden unter ihrem Schutz, wie zum Beispiel der Rat der Stadt Salzwedel oder Spandau, die von Markgraf Ludwig die Weisung erhielten, die in der Stadt wohnenden Juden so lange vor ungerechten Beleidigungen zu schützen, bis er einen Gegenbefehl erteilen würde. Einige Zeit später erlaubte er den ortsansässigen Juden, fremde Juden bei sich aufzunehmen und garantierte ihnen volle Handelsfreiheit und Schutz. Der Markgraf gewährte ebenso den im restlichen Deutschland verfolgten und bedrohten Juden Schutz. Dies geschah natürlich nicht ohne Eigennutz: Im Anhang der Urkunde findet sich ein Passus über den sogenannten „Judenzins“.

Auch der Rat der Stadt Perleburg gewährte den Israeliten Schutz. Allerdings berichtete Johann von Wedel, Vogt des obengenannten Markgrafen Ludwig, am 23. Februar 1350, dass mit Hilfe des Rates in Königsberg die in der Mark wohnenden Juden verbrannt und ihre Vermögen eingezogen wurden. Aber nur fünf Monate später, am 22. Juli, verspricht der Markgraf den aufrührerischen Städten Cölln und Berlin, dass alles Leid, welches den Juden angetan wurde, wieder bereinigt werde, alst eft dat nie geschien were.

In Böhmen und Mähren wurden die Juden besser geschützt, und aus Schlesien wissen wir von Verfolgungen nur in Breslau, Brieg und Guhrau. Die Verfolgten fanden schließlich beim polnischen König Kasimir gastfreie Aufnahme und Schutz, obwohl wir aus dem Jahre 1348 einen Bericht von Matteo Villani kennen, der die Auswirkungen der Pest in einen an Deutschland grenzenden Teil Polens beschreibt. Weiterhin heißt es dort: Das Volk sah in dem Aufenthalt der Juden die Schuld an der Seuche. Die Juden, hierüber erschrocken, sandten ihre Ältesten an den König, dem sie grosse Summen Geldes und eine Krone von unberechenbaren Werthe schenkten und baten ihn um ihren Schutz. Der König wollte die Juden schützen, aber das wüthende Volk war nicht zu beruhigen und nahe an 10.000 Juden kamen durch Schwert und Flammen um, und ihr Vermögen verfiel dem Fiskus. (8) In den Bereich der Fabel gehört die Annahme, dass die pro-jüdische Haltung Kasimirs auf eine jüdische Geliebte zurückzuführen ist. Es gab diese Konkubine, Esther mit Namen, aber sie kam erst 1356 zum König. Schon 22 Jahre früher hatte er die Privilegien der Juden erneuert, die ihnen von Boleslaw zugestanden worden waren.

Allgemein kann man sagen, dass die Pogromwelle von 1348/49 nicht nur die erste, sondern auch die größte ihrer Art im gesamten Reichsgebiet war. Wenige Landesfürsten schützten die Juden, wie zum Beispiel der Herzog Albert in Österreich. Auch aus Regensburg und Goslar sind keine Judenverfolgungen im Kontext der Pestepidemien bekannt.

In Europa lag der Schwerpunkt der Verfolgungen im Deutschen Reich. Hier wurden die meisten Israeliten erschlagen. Ansonsten wissen wir noch von Pogromen in der Schweiz, Nordspanien und Ostfrankreich. Dies hat auch einen anderen Grund: Es gab nämlich in den Jahren 1290 bzw. 1306/1322 in Frankreich und England große Ausweisungen von Juden, die sich dann vor allem in Deutschland niederließen.

Aber wie lief so eine Verfolgung konkret ab? Aus Basel kennen wir einen Fall des Judenmordes mit allen seinen Begleitumständen. Die Schweizer Stadt hatte zur Mitte des 14. Jahrhunderts hin etwa 8.000 Einwohner. Juden sind schon seit 1213 dort nachweisbar und ihre Zahl dürfte zur Zeit der Verfolgungen der einer mittleren Gemeinde des Mittelalters entsprechen.

Wie Matthias von Neuenburg berichtet, ging den Basler Judenverbrennungen eine Verbannung von einigen einheimischen Adligen, die den Juden Unrecht angetan hatten, voraus. Als das Volk dies erfuhr, stürmte es zum Rathaus und forderte lautstark die Rückkehr der Adligen. Der Rat war aufgrund der aufgewühlten Volksmenge natürlich erschrocken und ließ dem Volk seinen Willen. Die Volksmasse verlangte nun, dass sie gar keine Juden mehr in Basel dulden müssten, und auch hier gab der Rat nach, und beide, Rat und Volk, schworen feierlich 200 Jahre keinen Juden in der Stadt zu dulden. Die Einwohner waren aber damit noch nicht zufrieden, sie wollten alle in den Mauern der Stadt lebenden Juden vernichtet wissen, und so geschah es, dass am 16. Januar 1349 alle Juden auf einer Insel im Rhein in ein extra dafür gebautes Haus getrieben wurden, das dann in Brand gesteckt wurde.

Man kann davon ausgehen, dass die Ereignisse in Basel von den erstarkenden Zünften ausgingen, in deren Hintergrund die Ritterschaft stand. … ob die Aktion vor dem Rathaus vorbereitet und geplant oder spontan erfolgte, sagen die Quellen nicht; der Aufmarsch mit den Bannern dürfte wie in anderen Fällen eher für eine geplante Aktion zeugen. Das Morden selbst war mit Sicherheit keine spontane Angelegenheit, sondern eine vom verschreckten Rat durchgeführte Maßnahme. Auf die Bemäntelung der Verbrennung durch einen Prozess verzichtete man, und über das Schicksal des „Judenerbes“ ist nichts bekannt. Erst nach dem Verbrennen der Juden kamen die Geißler und die Pest nach Basel, und nun verbrannte man noch die Juden, die sich im Januar durch die Annahme der Taufe vor dem Tode gerettet hatten – diesmal inszenierte man allerdings ein Gerichtsverfahren, über dessen Erfolg man stolz nach Straßburg berichtete.

Die in einigen Quellen angegebene Zahl von 600 erschlagenen Juden ist allerdings übertrieben. Den schweizerischen Pogromen gingen die Prozesse gegen „Brunnenvergifter“ in den savoyischen Landen und im Schweizer Gebiet voraus. Die Juden kamen zwar wieder, diesmal in den Notzeiten des Jahres 1362: Die Angst, erneut einem Pogrom zum Opfer zu fallen, war allerdings so groß, dass die Juden 1399 endgültig aus Basel flohen.

Insgesamt waren es 350 jüdische Gemeinden, die in dieser Zeit ausgelöscht wurden.

Derartige Behauptungen findet man auch in der Gegenwart. Sei es AIDS, Krebs, Schweinegrippe, Covid 19 etc., sie alle wurden – glaubt man den antisemitischen Verschwörungstheorien – von „den Juden“ in die Welt gesetzt, um ihre finsteren Pläne umzusetzen.

Dolchstoßlegende

Die Dolchstoßlegende wurde gegen Ende des Ersten Weltkrieges von der Obersten Heeresleitung um Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff in die Welt gesetzt. Sie besagt, dass der „deutsche Soldat im Felde unbesiegt“ sei, aber von der Heimatfront, also Sozialdemokraten (und anderen demokratischen Politikern), dem „bolschewistischen Judentum“ und anderen „vaterlandslosen Zivilisten“ verraten worden. Der „deutsche Landser“ sei also von hinten mit einem Dolchstoß gemeuchelt worden, ganz wie Siegfried in der Nibelungensage.

Die Dolchstoßlegende ist also keine rein antisemitische Verschwörungstheorie, sondern geht auf Unfähigkeit der deutschen Generalität zurück, ihre Fehler einzugestehen, war ein Hauptgrund der deutschen Niederlage doch die gescheiterte Frühjahrsoffensive von 1918.

Aber das Volk glaubte den Lügen der Generäle gerne, wie Richard Witting am 9. Januar 1919 in der „Weltbühne“ schrieb: Für jeden braven Durchschnittsdeutschen gilt als unumstößliche Tatsache, daß ein ungeheuer schweres, unverdientes Geschick unser friedliebendes, arbeitsames, unschuldiges Volkgetroffen hat. Keine Enthüllungen, keine noch so überzeugenden dokumentarischen Beweise, keine der unzähligen Erklärungen, keine Stellungnahme des gesamten Erdballs kann ebendieses Volk in seiner Überzeugung wankend machen, daß es bieder, fromm und stark einen heiligen Verteidigungskrieg gegen eine Welt von Feinden durchgekämpft und, dank einer genialen militärischen Führung, ‚unbesiegt‘ zu Ende gebracht hat. Keine unanfechtbare und unbestreitbare Tatsache kann ihm die Überzeugung erschüttern, daß nur eine Komplikation von unheilvollen Umständen: die vorübergehende Schwäche und nervöse Überreizung eines sonst unüberwindlichen Feldherrn, die Hetze und die tückischen Zettel seien vaterlandsfeindlicher Schurken in der Heimat, der Eidbruch nichtswürdiger, verführter, treuloser Truppen ihm im letzten Augenblick den sonst unentreißbaren Sieg frevelhaft entrissen hat. Nur schnöde Ränke in der Heimat haben, so glaubt dieses Volk, dem tapfern und unbezwungenen Frontheer den Dolch in den Rücken gestoßen; nur noch ein viertel, ein halbes Jahr durchgehalten, und alle Feinde Brandenburgs, Preußens und Deutschlands lagenendgültig im Staube. So die deutsche Durchschnittsmeinung.

Den Juden wurde vorgeworfen, dass sie durch ihre Rasseneigenschaften gar nicht anders konnten, als gegen die arische Rasse zu handeln und ihr Böses zu wollen. Deswegen konnten die Juden nicht anders, als alle ihre Energien auf eine deutsche Niederlage auszurichten. Eine perfide Behauptung, vor allem, wenn man bedenkt, dass im Ersten Weltkrieg 100.000 Juden in der deutschen Armee kämpften und 12.000 davon dies mit ihrem Leben bezahlten. Die Juden waren oft auch Universalschuldige. Sie waren Kriegsgewinnler, Spekulanten mit Nahrungsmitteln, steckten hinter der SPD, den Kommunisten, eigentlich allen demokratischen Parteien und gaben dem Kaiser falsche Ratschläge.

Frankfurter Rabbinerverschwörung

Während der Frankfurter Herbstmesse des Jahres 1603 trafen sich 24 Rabbiner und Gemeindevertreter aus Süd- und Westdeutschland, um Fragen des Halachs, also der 613 Gebote und Verbote des Judentums zu diskutieren und eine engere Zusammenarbeit der Gemeinden zu sprechen, also durch Gebot der Gelärten in Teutschlandt ein Einsehens zu haben,was die Gemeinde angehet, damit zu bewahren und zu verhüten, wie es die Zeit erfordert, damit nit unser Volck als ein Schaf ohne Hirten gehe.

Diese Versammlung war auch durchaus von Erfolg gekrönt, so wurden Rabbinergerichte für innerjüdische Streitigkeiten eingerichtet oder um die Art der Durchführung verschiedener ritueller Fragen. Es ging aber auch darum, eine gewisse Einheitlichkeit der Juden über die Grenzen der Territorien hinweg zu bewahren oder zu schaffen. Die Initiative wollte letztlich die reichsunmittelbare Stellung der Juden festigen. Es wurden Abgaben für gemeinsame Zwecke festgelegt. Jeder Jude sollte pro Monat einen Pfennig pro 100 Gulden seines Vermögens abgeben. Auch wurden zentrale Orte für die regionale Judenschaft als Sammelstelle der Abgaben festgelegt, nämlich Frankfurt, Worms, Mainz, Bingen, Hamm, Friedberg, Schnaittach, Wallerstein und Günzburg. Mit den Geldern sollten unter anderem auch die Judenvorsteher besoldet werden, damit sie ihre Funktion als Interessenvertreter besser wahrnehmen konnten. Die Ergebnisse wurden in einem umfangreichen auf Hebräisch abgefassten Schriftstück niedergelegt. Diese Verordnungen sollten am Sabbat in den Synagogen verlesen werden.

Allerdings hatte man die Rechnung ohne Levi von Bonn gemacht, der zwar selbst Teilnehmer dieses Treffens war, aber doch ganz eigene Pläne verfolgte, da er nicht nur mit zahlreichen anderen Juden, sondern auch mit ganzen Gemeinden im Streit lag. Als er 1604 in Menden (Herzogtum Westfalen) in einem Prozess beklagt wurde, log er und behauptete, dass bei dem Treffen in Frankfurt beschlossen worden sei, keine Urteile eines christlichen Gerichtes mehr anzuerkennen. Levi hatte schon im Vorfeld des Prozesses Kontakt zu Ernst von Bayern, Kurfürst und Erzbischof zu Köln, aufgenommen und ihm das Märchen aufgetischt, dass das Treffen von Frankfurt eigentlich eine Verabredung für eine große anti-christliche Verschwörung gewesen sei. Letztendlich wurde Levi freigesprochen, dafür aber seine Gegner eingesperrt.

Erzbischof Ernst, wegen seines ausschweifenden Lebensstils immer wieder finanziell klamm, suchte natürlich seinen persönlichen, sprich fiskalischen, Vorteil und stilisierte das Frankfurter Treffen bei Kaiser Rudolf II. zu einer Verschwörung hoch, die die ganze Christenheit in den Abgrund stürzen könnte, hätten die Juden doch durch die beschlossene Abgabe von 1 Pfennig pro 100 Gulden des Vermögens sogar genug Mittel, um Regimenter anwerben zu können.

Zwar drohte Rudolf II. den Juden mit dem Verlust ihrer Privilegien und verbot die Frankfurter Beschlüsse, setzte aber bevor er zur Tat schritt erst eine Untersuchungskommission ein, die unter der Leitung des Kölner und des Mainzer Erzbischofs stand. Ernst von Bayern sollte ein Drittel der jüdischen Strafgelder erhalten, wenn man denn eine Verschwörung nachweisen könne.

Die beiden Erzbischöfe initiierten einen Prozess und behaupteten, dass die Einsetzung innerjüdischer Gerichte, die Einziehung von Geldern und die Versammlung selbst eine Kompetenzanmaßung gegenüber dem Kaiser seien. Aber so sehr sie auch suchten, so sehr sie auch verhörten, eine Verschwörung konnten die Ankläger nicht nachweisen. Letztendlich wurde die Anklage fallengelassen. Allerdings musste die jüdische Gemeinde zu Frankfurt Ernst von Bayern seine nicht unerheblichen Auslagen erstatten. Die Wahrnehmung durch das Volk allerdings kann man sich ja vorstellen.

Gottesmord

Die Gottesmord-These ist keine reine Verschwörungstheorie, aber einer der Dreh- und Angelpunkte des religiösen Antisemitismus, deswegen gehe ich hierauf in einem eigenen Artikel ein, der in Kürze erscheint.

Hostien- und Bildfrevel

Gemäß der römisch-katholischen Transsubstantiationslehre wandelt der Priester während der Konsekration die Hostie in den Leib Christi. Von daher nimmt die gewandelte Hostie einen besonders hohen Stellenwert ein und eine Schändung, Wegwerfen oder sonstige Missachtung stellt ein Sakrileg dar, das – bei Angehörigen der römisch-katholischen Kirche – mit der Exkommunikation bewehrt ist.

Seit dem Frühmittelalter gibt es immer wieder Erzählungen von Juden, die versucht haben, sich während der Kommunion gewandelte Hostien zu erschleichen und dann schlimmste Strafen erfahren haben. Die Erzählungen verfolgten weniger den Zweck, die Juden zu diskreditieren, sondern vielmehr, die Christen von der Wundertätigkeit der Hostie zu überzeugen.

Anders wird dies ab dem Ende des 13. Jahrhundert, als 1290 in Paris zum ersten Mal ein Hostienfrevel behauptet wurde. Johannes von Tilrode berichtet davon, dass ein Pariser Jude eine christliche Magd dazu angestiftet hätte, ihm eine geweihte Hostie zu besorgen. Sie sollte hierfür 10 Pfund Silber bekommen. In einer geheimen Versammlung hätte dann die versammelte „Judengemeinde“ die Hostie mit allerlei Werkzeugen zu zerstören, was ihnen aber nicht gelang. Erst das größte Messer, welches zu finden war, hätte die Hostie in drei Stücke teilen können. Dabei hätte diese aber zu bluten begonnen. Daraufhin hätten die Juden die drei Teile der Hostie in kochendes Wasser geworfen. Das Wasser wäre nun zu Wein und die Hostienteile zu Fleisch geworden. Als sie diesem ansichtig wurden, wären fast alle Juden der Gemeinde zum christlichen Glauben übergetreten.

Natürlich gab es im Laufe der Zeit unzählige Varianten dieser Erzählung. Mal waren Engel mit im Spiel, mal Heilige, dann das „Jesuskindlein“ höchst selbst. Auch die Werkzeuge der Hostienmarter ändern sich, manchmal wurden mit der zerstörten Hostie auch Pessah-Mazzen gebacken, aber der Kern der Geschichte an sich bleibt gleich. Reale Beweise für solche Taten waren natürlich nicht zu finden, aber allein die Anschuldigungen reichte, um übelste Pogrome auszulösen. So 1298 in Franken, wo bis zu 5.000 Jüdinnen und Juden brutal ermordet wurden. Oder bei der Pogromwelle des Raubritters „König Armleder“, wo zwischen 1336 und 1338 ca. 60 jüdische Gemeinden ausgerottet wurden.

Die Erzählung der Hostienschändung sollte zunächst den nachlassenden Glauben an die Segens- und Heilkraft der Hostie bei Christenstärken, indem auf angebliche Bekehrungen von Juden verwiesen wurde. Zugleich nahmen die Christen an, dass Juden einen angeborenen Hang zum „Gottesmord“ hätten: Die zum Foltern der Hostie benutzten Werkzeuge bildeten die sogenannten Leidenswerkzeuge nach. Auch der Zerteilungsversuch stellte den jüdischen Angriff auf die christliche Trinitätslehre dar. Das griff den längst etablierten Christusmordvorwurf auf und unterstellte der gesamten gegenwärtigen Generation der Juden, Christi Passion fortsetzen und seine Ermordung wiederholen zu wollen. Alle Juden galten nun als potentielle religiöse Kriminelle; die einzige Lösung sahen die Tradenten in ihrer Konversion zum Christentum.

Sogar noch älter sind die Erzählungen von der Schändung von Christusbildern. Dieser angebliche Bilderfrevel sollte anfangs weniger das Judentum herabsetzen als die Christen in ihrem Glauben an die Heilkraft christlicher Ikonen und anderer sakraler Gegenstände bestärken. Er wurde gelegentlich auch anderen als Glaubensfeinden definierten Personen, auch „schlechten“ Christen selber, nachgesagt. Die Rolle der schließlich bekehrten Juden bestand hier darin, die Macht des im Bildgegenwärtig wirkenden Christus zu veranschaulichen. Der Verdacht, dass sie christliche Bilder und Symbole misshandeln könnten, entstand nicht aus einer konkreten Kenntnis ihrer Religion, sondern aus dem Glauben an die Überlegenheit des Christentums, besonders nachdem dieses römische Staatsreligion geworden war. So verbot der römische Kaiser Theodosius II. den Juden – neben erheblichen Benachteiligungen ihrer Religionsausübung – 408, am Purimfest ein Kruzifix zu verbrennen. Dieser angebliche jüdische Brauch ist sonst nirgends bezeugt.

Ritualmordlegende

Einen umfangreichen Artikel zur Ritualmordlegende findet ihr HIER

Weltjudentum

Die Namen sind viele: Weltjudentum, Großkapital, Hochfinanz, Alljuda, goldene Internationale, internationale Völkermordzentrale, Weltzionismus, und und und. All diese Begriffe sprechen von einer der bekanntesten antisemitschen Verschwörungstheorien: die der jüdischen Weltverschwörung.

Sie besagt, dass „die Juden“ weltweit eine Verschwörung bilden würden, um vor allem Europa und die Christen zu unterjochen und die Weltherrschaft an sich zu reißen. Zu diesem Zweck hätten sie „Geheimgesellschaften“ wie die Freimaurer und Illuminaten sowie die bekannten Serviceclubs wie Rotarier, Lions oder Kiwanis gegründet. Diese Vereinigungen sollen quasi die „Drecksarbeit“ an der Basis übernehmen und die Gesellschaft im Sinne des Weltjudentums umformen.

Die ganze Erzählung nahm ihren Anfang, als im Zuge der Französischen Revolution die Juden die vollen Bürgerrechte erhielten. Im Zuge der napoleonischen Kriege erfolgte dies auch in den besetzten/verbündeten Gebieten und war einer der Auslöser zur jüdischen Emanzipation.

Aus dem Jahr 1806 kennen wir den so genannten „Simonini-Brief“, in dem von einer Verschwörung der Juden mit den Freimaurern, Illuminaten und Jakobinern, die die Christenheit auslöschen und eine jüdische Weltherrschaft aufbauen wollte, die Rede ist. Von da ab erschienen zahlreiche von diesen oder leicht abgewandelten Erzählungen in ganz Europa. Zum Ende des 19. Jahrhunderts befeuerte die Dreyfus-Affäre dieses Narrativ noch einmal.

Die wohl bekannteste Publikation zu einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung sind die „Protokolle der Weisen von Zion“ über die ihr HIER und HIER ausführlich nachlesen könnt.

Mit dem Erstarken der völkischen Bewegung nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg nahm auch der Antisemitismus wieder zu. Die Juden wurden für den verlorenen Krieg, die Nahrungsmittelknappheit danach oder die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht.

Die Nationalsozialisten breiteten diese Erzählung natürlich episch aus. Für sie waren vor allem Marxismus und Bolschewismus jüdische Instrumente zur Umsetzung ihrer Pläne. Die internationale Einigung der Arbeiterklasse war für die Nazis der erste Schritt weg von den Nationen, hin zum weltumspannenden Einheitsstaat. Und selbst noch in seinem politischen Testament, das er nur wenige Stunden vor seinem Suizid verfasste, wütete Hitler gegen das „internationale Judentum“.

Anhand der Interpretation von Verschwörungsmythen stellt der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn fest, dass ihnen „zumeist unbewusste […] und verdrängte […], bisweilen aber auch bewusste […] Wünsche und Sehnsüchte“, vor allem nach Teilhabe an der imaginierten „Macht des völkischen Kollektivs“, zugrunde liegen. Der Glaube an die Existenz einer jüdischen Weltverschwörung habe sich am deutlichsten im Nationalsozialismus als „projektiver Verschwörungswahn der antisemitischen Vernichtung“ erwiesen, „der selbst eben genau jenes weltbeherrschende und unterjochende System als völkisch-antisemitisches ‚Tausendjähriges Reich‘ errichten wollte, das er in der Verschwörungsphantasie antisemitisch erfunden und projiziert hatte.“ Das, „was den Anderen im Verschwörungsmythos vorgeworfen und vorgehalten“ werde, sei eigentlich das Eigene.

Heute hat sich die Erzählung etwas modernisiert und so wird von der „New World Order“ gesprochen, die von den Windsors, Gates, Rockefellers, Rothschilds oder Soros angestrebt wird. Aber auch wenn sich die Erzählung und die Methoden in dieser Erzählung modernisiert haben, sind doch die Ziele zum großen Teil gleichgeblieben. Hinzugekommen sind nur einige Punkte, die früher technisch nicht möglich waren. So beispielsweise die Erzählung von implantierten RFID-Transpondern durch Impfungen.

Man sieht: alter Wein in neuen Schläuchen.

Zinswucher

Das wohl am weitesten verbreitete antijüdische Narrativ ist das des zinswuchernden Geldjuden, der nicht davor zurückschreckt, seine Gläubiger in den Ruin zu treiben. Aus dieser Erzählung heraus entstand auch die Verschwörungstheorie von der „jüdischen Finanzherrschaft“, der „Rothschild-Juden“ (über die es in Kürze einen eigenen Artikel geben wird) oder den „amerikanischen Ostküstenjuden“.

Dabei wurden die Juden doch in die Rolle der Geldverleiher mehr oder weniger gedrängt. Da für die seit dem vierten Laterankonzil 1215 sozial ausgegrenzten Juden das rigorose Wucherverbot der Kirche nicht galt, waren sie es, die den ebenso verfemten wie unentbehrlichen Beruf des Geldverleihers übernahmen. Sie gewährten nun den Kredit, ohne den die Wirtschaft seit dem Hochmittelalter nicht mehr funktionieren konnte. Ein Monopol, das die Juden freilich nur gegen hohe Abgaben, Zwangsdarlehen und Schutzgelder an Könige, Städte und Fürsten ausüben durften.

Trotzdem wurde von Seiten der katholischen Kirche immer und immer wieder der angebliche „Judenwucher“ angeprangert. So wurde der durch andere Verschwörungstheorien wie dem Ritualmord oder dem Hostienfrevel verfemten Minderheit eine ungeheure Macht über die Mehrheit unterstellt und das in einem Bereich (dem eigenen Geldbeutel), wo der Mensch eh schon empfindlich ist. Dazu kam noch, dass Juden oft als Steuereintreiber o.ä. Geldbeschaffer der Fürsten eingesetzt wurden und so den Unwillen der Bevölkerung auf sich zogen. Hierzu gehörten auch die als „Hofjuden“ bekannten Hoffaktoren wie Joseph Süß Oppenheimer, der als „Jud Süß“ noch im Dritten Reich verunglimpft wurde.

Besonders jüdische Bankiersfamilien wie die Rothschilds und die Warbergs hatten und haben noch immer unter diesen Vorurteilen zu leiden. Der bekannte Unternehmer Henry Ford beispielsweise veröffentlichte 1922 ein Machwerk mit dem Titel „Der internationale Jude“, in dem er hanebüchene Behauptungen über Juden in der Wirtschaft aufstellt.

Abraham Foxman beschreibt sechs Facetten des Vorurteils über Juden, die den „wirtschaftlichen Antisemitismus“ begründen. Sie haben sich bis heute gehalten und sind weltweit zu finden, insbesondere in Großbritannien, Deutschland, Argentinien und Spanien:
– Alle Juden wären reich.
– Juden wären geizig und gierig.
– Mächtige Juden würden die Geschäftswelt kontrollieren.
– Das Judentum würde sich auf Profit und Materialismus fokussieren.
– Juden wäre es erlaubt, Nichtjuden zu betrügen.
– Juden würden ihre Macht nutzen, um „ihrer eigenen Gattung“ Vorteile zu verschaffen.

Dabei waren die wenigsten Juden finanziell so gut gestellt, dass sie Geldgeschäfte hätten tätigen können. Gerade auf dem Land, wo ihnen keine Zünfte die Handwerksausübung untersagen konnten, arbeiteten sie als Schneider, Kaufleute, Bäcker, Arzt oder Schuster. Sie waren genauso arm (und vielfach noch ärmer), wie ihre christlichen Nachbarn.

Auch wurden Geldgeschäft im Mittelalter keineswegs nur von Juden betrieben. Bekannt sind zahlreiche christliche Geldverleiher, so etwa die noch heute existierende Banca Monte dei Paschi di Siena, die Compagnia dei Bardi, die Medici, die seit dem 14. Jahrhundert Bankgeschäfte tätigten, Kawerschen oder die Lombarden, viele Bürger von Asti und Arras, die Pepoli (insbesondere Romeo Pepoli, Taddeo Pepoli) oder in England die Audleys und Caursinis hingewiesen. Der Franziskaner-Orden rief inItalien die ersten Pfandleihhäuser ins Leben, sogenannte Monte di Pietà, die von den Darlehnsnehmern nur „kostendeckende“ Zinsen verlangten, etwa 10 %. Das erste entstand 1462 in Perugia, es folgten weitere Montes 1463 in Orvieto, 1471 in Viterbo, 1473 in Bologna und 1483 in Mailand.

Trotz allem war das Bild vom skrupellosen, geldgierigen und zinswuchernden Juden so stark, dass es sich bis heute in das kollektive Bewusstsein der Menschen eingeprägt hat und noch immer die Sicht auf die Juden beeinflusst.

2 Gedanken zu “Von Brunnenvergiftung bis Zinswucher – Eine Übersicht antisemitischer Narrative

  1. Danke für die Aufzählung. Es ist so hahnebüchen, dass jeder normal tickende Mensch das merken müsste. Und trotzdem glauben es so viele scheinbar normal tickende Menschen. Antisemitismus war nie weg. Ist nicht weg. Die meisten Menschen, wenn sie ihren Antisemitismus nicht offen ausleben, schauen weg. Und von denen werden immer mehr ihren Antisemitismus offen ausleben. Und fast alle werden wegsehen. Es wird nie enden. Das ist die, meine traurige Erkenntnis in diesen Tagen

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