Kurpfuscher, Quacksalber und Co. – Teil 2

Homöopathen unterlaufen die Kurierverbote

Als Samuel Hahnemann zu Beginn des 19. Jahrhunderts seine Lehre von der Homöopathie vorstellte, wurden die Behörden vor eine neue Herausforderung gestellt. Waren es bisher immer irgendwelche halbseidenen Gestalten, die sich als Kurpfuscher betätigten, zog die Homöopathie zunehmend Personen aus dem bürgerlichen Milieu an, die sich zum Heiler berufen fühlten. Diese waren zwar keine Ärzte, doch war die Hahnemann’sche Lehre so aufgebaut, dass sie auch von Laien angewandt werden konnte, was auch teilweise recht hochgestellte Persönlichkeiten ansprach.

Als Beispiel soll hier Clemens von Bönninghausen (1785 – 1864) genannt werden, ein höherer preußischer Beamter und ehemaliger Landrat von Coesfeld. Er wurde, obschon er keinerlei medizinische Vorbildung hatte, Schüler von Samuel Hahnemann. Die „Ausbildung“ erfolgte auf postalischem Wege, und schon bald titulierte Hahnemann Bönninghausen als seinen „Lieblingsschüler“. Dieser veröffentlichte zahlreiche Schriften zur Homöopathie, darunter auch ein Repertorium der homöopathischen Arzneimittel. Bönninghausen erweiterte die Hahnemann’sche Lehre sogar, indem er als erster die Bedeutung eines individuellen „Symptomenkerns“ für die homöopathische Anamnese betonte. Zur praktischen Umsetzung dessen bezog er in seinem „Homöopathischen Taschenbuch“ die verschiedenen Mittel auf „Wertigkeiten“ von Symptomen (sogenannte Valenz- oder Wertigkeitsanalyse) und legte damit den Grundstein für noch heute existierende Varianten der Homöopathie. Ab 1830 allerdings begann Bönninghausen mit der Behandlung von Patienten und entsprach damit eigentlich der damals geltenden Definition eines „Kurpfuschers“. Dies missfiel natürlich der Ärzteschaft vor Ort und so verwundert es nicht, dass der Münsteraner Arzt Johann Bernhard Seveneick ihn 1836 bei den Behörden anzeigte. Diese reagierten auch prompt und durch einen ministeriellen Erlass wurde ihm die Behandlung von Patienten verboten.

Bönninghausen nutzte allerdings seine Kontakte und erhielt so 1843 per Kabinetts-Order des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. die Erlaubnis zur Ausübung einer homöopathischen Praxis ohne Nachweis eines medizinischen Studiums. Diese Erlaubnis stützte sich auf die Gutachten der homöopathischen Ärzte Johann Ernst Stapf, Georg Wilhelm Gross und Samuel Hahnemann. Auf Grund dieser Erlaubnis wird Bönninghausen auch gelegentlich als der „erste Heilpraktiker“ bezeichnet.

Dem preußischen Postinspekteur Arthur Lutze, der ebenfalls keinerlei medizinische Ausbildung hatte, aber in Köthen fleißig Patienten mit Homöopathie behandelte, wurde auferlegt, dass er einen medizinischen Abschluss nachholen solle. Dies gestaltete sich so, dass er einen Wochenendkurs zu Augenerkrankungen an der Universität Jena absolvierte und eine dünne Schrift als Dissertation einreichte. (1)

Es sind noch weitere, ähnliche Fälle bekannt, in denen das Kurierverbot so unterlaufen wurde. Auch war es bei den preußischen Gerichten üblich, Angeklagte der „Medizinal-Pfuscherei“ freizusprechen, wenn sie „keinen Schaden“ verursacht hatten. So wurden die jeweiligen Kurpfuscher-Verbote zu reinen Papiertigern.

Die Gewerbeordnung bringt die Kurierfreiheit

Nur etwas mehr als zwanzig Jahre später war es dann eh vorbei mit der Behandlungshoheit der Ärzte. 1869 trat in den Staaten des Norddeutschen Bundes (2) eine Gewerbeordnung in Kraft, die auch die Kurierfreiheit beinhaltete. Dies bedeutete, dass nun jede Bürgerin und jeder Bürger auch ohne medizinische Ausbildung und ohne Approbation das Heilgewerbe ausüben durfte. Die einzige Einschränkung fand sich in § 29, wo die Führung der Berufsbezeichnungen Arzt, Wundarzt, Augenarzt, Geburtshelfer, Zahnarzt, Tierarzt oder gleichbedeutender Titel einer „staatlichen Lizenzierung“ bedurfte. Als im Januar 1871 das zweite deutsche Kaiserreich gegründet wurde, dehnte sich die Gültigkeit der Gewerbeordnung auch auf die süddeutschen Länder aus. 1883 wurde die Ordnung erneut überarbeitet und dabei auch in § 56a die Ausübung der Heilkunde im Umherziehen untersagt – eine Regelung, die sich noch heute im Heilpraktikerrecht wiederfindet.

Hinter dieser Gewerbeordnung stand der libertäre Grundgedanke, dass eine aufgeklärte Bevölkerung aus ihrer Bildung heraus seriöse Heilerangebote von Kurpfuschertum unterscheiden könne. Abgesehen davon, dass selbst heute durchaus Zweifel an der Tragfähigkeit einer solchen Annahme angebracht sind, rechneten seinerzeit die Gesetzgeber nicht mit der ausgeklügelten Werbung, durch die gerade die größten Scharlatane auf sich aufmerksam machten. Teilweise gaben einzelne Anbieter monatlich über 5000 Mark für Reklame aus. Dies ist ein enorm hoher Betrag, wenn wir uns vor Augen halten, dass ein Chemiearbeiter um das Jahr 1900 einen Monatslohn von etwa 120 Mark hatte. Ein Zentner Kohle kostete damals 1 Mark 20 Pfennige, ein Liter Bier 24 Pfennig und der Liter Milch 20 Pfennig.

Für die Kurierfreiheit setzten sich im Vorfeld des Erlasses der Gewerbeordnung auch renommierte Ärzte ein. Zu nennen ist hier an erster Stelle der große Gelehrte Rudolf Virchow, aber auch Franz Jakob Wigard, Karl von Henning und Wilhelm Loewe, die zur Spitze der damaligen politischen Ärzteschaft gehörten und großen Einfluss besaßen. Ausschlaggebend war auch eine entsprechende Petition der Berliner medizinischen Gesellschaft, der sich zahlreiche weitere ärztliche Gesellschaften anschlossen.

Virchow begründete seine Haltung pro Kurierfreiheit wie folgt: Glaubt man denn, durch Pfuscherei-Verbote die Kranken zwingen zu können, daß sie sich von einem geprüften akademischen Arzt behandeln lassen und denselben gut zu bezahlen? Selbst wenn es gelänge, jede Pfuscherei mit der Schneide des Gesetzes zu bedrohen, so würde daraus doch nicht folgen, daß das Publikum sich gänzlich von den Pfuschern trennte und Hilfe nur bei geprüften Ärzten suchte. Wir Älteren, die wir noch unter der Herrschaft der alten Pfuschereigesetze gelebt haben, wir kennen die Hartnäckigkeit der Kranken; wir haben es erlebt, daß die Bestrafung eines Pfuschers ein Lockmittel für die Anziehung neuer Patienten gewesen ist. (Virchow 1900)

Aus Sicht der Ärzteschaft lag ein weiterer nicht unwesentlicher Anlass zum Votum für die Gewerbeordnung und damit gegen den Ärztevorbehalt darin, dass Ärzte gesetzlich dazu verpflichtet waren, arme Patientinnen und Patienten unentgeltlich zu behandeln (Kurierzwang). Verfechter des Kurierzwanges war der preußische Kultusminister Dr. Heinrich von Mühler, der für eine wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen plädierte. Auch sprach er sich für das Strafgebot gegen Kurpfuscher aus. Rudolph von Delbrück, seinerzeit Präsident des Bundeskanzleramtes des Norddeutschen Bundes (3), argumentierte mit der Fürsorgepflicht des Staates für einen qualifizierten Ärztestand.

Deutschland wird von Kurpfuschern überrannt

Aber letztendlich wurde die Gewerbeordnung mit der Kurierfreiheit verabschiedet. Was dann geschah, war abzusehen gewesen: Die Anzahl der nicht approbierten Krankenbehandler schoss in schwindelerregende Höhen.Waren es beispielsweise alleine in der Stadt Berlin 1879 nur 28 „Heiler“, stieg deren Zahl bis 1907 auf 1349. In ganz Preußen praktizierten 1898 insgesamt 2404 solcher Behandler, 1907 sogar 6873.

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Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869

§29

Einer Approbation, welche auf Grund eines Nachweises der Befähigung ertheilt wird, bedürfen Apotheker und diejenigen Personen, welche sich als Aerzte (Wundärzte, Augenärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Thierärzte) oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen oder seitens des Staats oder einer Gemeinde als solche anerkannt oder mit amtlichen Funktionen betraut werden sollen. Es darf die Approbation jedoch von der vorherigen akademischen Doktorpromotion nicht abhängig gemacht werden.

Der Bundesrath bezeichnet, mit Rücksicht auf das vorhandene Bedürfniß, in verschiedenen Theilen des Bundesgebietes die Behörden, welche für das ganze Bundesgebiet gültige Approbationen zu ertheilen befugt sind und erläßt die Vorschriften über den Nachweis der Befähigung. Die Namen der Approbirten werden von der Behörde, welche die Approbation ertheilt, in den vom Bundesrathe zu bestimmenden amtlichen Blättern veröffentlicht. Personen, welche eine solche Approbation erlangt haben, sind innerhalb des Bundesgebietes in der Wahl des Ortes, wo sie ihr Gewerbe betreiben wollen, vorbehaltlich der Bestimmungen über die Errichtung und Verlegung von Apotheken (§. 6.), nicht beschränkt.

Dem Bundesrathe bleibt vorbehalten, zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Personen wegen wissenschaftlich erprobter Leistungen von der vorgeschriebenen Prüfung ausnahmsweise zu entbinden sind.

Personen, welche vor Verkündigung dieses Gesetzes in einem Bundesstaate die Berechtigung zum Gewerbebetrieb als Aerzte, Wundärzte, Zahnärzte, Geburtshelfer, Apotheker oder Thierärzte bereits erlangt haben, gelten als für das ganze Bundesgebiet approbirt.

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Als eine Hochburg des Kurpfuschertums kann das Königreich Sachsen genannt werden. 1909 wurden im Medizinalbezirk Leipzig-Stadt 455 Ärzte und 151 Kurpfuscher gezählt. Im Bezirk Glauchau waren es schon 33 Ärzte und 39 Laien und im Bezirk Chemnitz-Land 36 Ärzte und 52 Laien. 1878 betrug die Anzahl der Laienheiler 432, im Jahr 1903 war sie auf 1000 und 1906 gar auf 1207 gestiegen.

Und was es nicht alles für „Therapien“ gab! Aus dem Jahr 1909 ist eine Aufstellung aus dem Großherzogtum Baden erhalten. Da gab es Magnetiseure, Elektrohomöopathen, Faradiseure und Galvaniseure (damals: Anwender bestimmter Elektrotherapien), Wasserbehandler, Heilgymnasten, Ohrenheilkundler, Homöopathen, Kräuterbehandler, Hautbehandler, Beinschädenbehandler, Behandler für Diätkuren, Schönheitspflegerinnen und Hellseherinnen. Auch die umgesetzten Summen waren für die damalige Zeit astronomisch. In einer zeitgenössischen Veröffentlichung heißt es: Über die Art, wie die Kurpfuscher durch prahlerische, vielfach betrügerische Anzeigen das Publikum an sich zu locken vermögen, gibt die Begründung des Gesetzentwurfes ebenfalls Auskunft. So wird berichtet, daß aus einer Berliner Zeitung im Verlaufe von 3 Monaten über 200 solcher Anzeigen gesammelt wurden. In einem Kurpfuscherprozeß sei festgestellt worden, daß der Angeklagte monatlich 5000 M für Reklamezwecke ausgegeben hatte und ein Jahreseinkommen von etwa 160 000 M bezog. Ein viel genannter Berliner Kurpfuscher habe gemäß der gerichtlichen Feststellung in der Zeit von 8 Monaten 2500 Patienten, ein bekannter Schäfer, der durchschnittlich für jede Raterteilung 3 M beanspruchte, habe zeitweise täglich 800 Patienten gehabt. Schon aus dieser nur auf hohen Geldgewinn berechneten Massenabfertigung ergibt sich ohne weiteres, daß breite Volksschichten hier nicht nur finanziell, sondern ohne Zweifel auf gesundheitlich schwer geschädigt worden sind. (Fischer 1913, S. 428)

Bei dem in dem Zitat genannten Gesetzentwurf („Entwurf eines Gesetzes gegen die Mißstände im Heilgewerbe“, Reichstagsdrucksache Nr. 535, 12. Legislaturperiode, II. Session 1909/10) handelte es sich um einen Versuch, dieses Kurpfuschertum wieder einzudämmen. Er stammte aus dem Jahr 1910, wurde aber wegen einer Reihe von Formfehlern und Mängeln nie verabschiedet. Auch die Presse und die Öffentlichkeit standen dem Gesetzentwurf nicht sehr wohlwollend gegenüber. Man sah darin eine unbotmäßige staatliche Bevormundung.

Wenigstens gegen die Kurpfuscherei im Hebammenwesen schritt der Gesetzgeber 1923 ein, wurde im preußischen Hebammengesetz doch festgelegt, dass nur approbierte Hebammen Geburtshilfe leisten dürfen. Die sogenannte „Hebammenpfuscherei“ wurde darin mit Gefängnis bestraft.

Ansonsten wurde mit den zur Verfügung stehenden Mitteln des Rechtsstaates gegen Kurpfuscher vorgegangen. Von den zahlreichen erhobenen Anklagen wegen Betrugs und unlauteren Wettbewerbs führten allerdings nur die wenigsten zu einer Verurteilung. Schon damals scheiterte der Betrugsvorwurf meist daran, dass dem Beklagten kein Vorsatz nachgewiesen werden konnte. Das Reichsgericht bestätigte mehrfach, dass bezüglich des Betrugsvorwurfs und der Haftungsansprüche an nicht approbierte und studierte Heiler ein anderer Maßstab angelegt werden müsse als an ausgebildete Mediziner: Doch kann von dem nichtärztlichen Heilbehandler nicht dasselbe Maß von allgemeiner Ausbildung und Fortbildung verlangt werden wie vom approbierten Arzt, es bedarf auch hier der Prüfung, ob und wie weit der Heilkundige nach seinen persönlichen Verhältnissen und Erkenntnis zur Erfüllung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und zur Erkenntnis der ursächlichen Bedeutung seines Verhaltens imstande war. (RG-Entscheidungen in RGSt. Bd. 67, S. 10; RGSt Bd. 64, S. 263 ff.; sog. Diphtherie-Fall. Ein Laienbehandler, von Beruf Maurer, seit 40 Jahren „als Heiler praktizierend“, laut Reichsgericht „ein Heilkundiger (sic!) von ganz geringer Intelligenz“, hatte eine Diphtherie mit tödlichem Ausgang homöopathisch behandelt, wurde aber aufgrund des zitierten Leitsatzes weder straf- noch zivilrechtlich belangt.)

Die „Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuschertums“

Nachdem von staatlicher Seite also wenig Hilfe in der Kurpfuscherfrage zu erwarten war, gingen die verschiedenen Ärztevereine dazu über, Aufklärung in der Bevölkerung zu leisten. Hierbei hatten sie allerdings keinen großen Erfolg. Erst der 1903 gegründeten „Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuschertums“ (DGBK) gelang es, nachhaltig aufzuklären.

Diese Gesellschaft wurde von Carl Alexander gegründet und argumentierte gegen die Kurierfreiheit, das Impfgegnertum sowie die Homöopathie und klärte über die Kurpfuscher und ihre unseriösen Angebote auf. Sie zählte bis zu 30 000 Mitglieder und gab mit dem „Gesundheitslehrer“ eine eigene „Zeitschrift gegen Mißstände im Heilwesen für Ärzte und Behörden“ heraus. Weiterhin publizierte sie Bücher mit Titeln wie „Über Kurpfuschertum und seine Bekämpfung“, „Freie Bahn für die Kurpfuscher?“ oder „Kurpfuschereiverbot auch in Deutschland“. Dazu unzählige Flugblätter, die kostenlos verteilt wurden.

Sie nahm 1911 auch an der „Internationalen Hygiene-Ausstellung“ in Dresden teil und organisierte darüber hinaus eigene Wanderausstellungen. Während einer Tagung am 28. Juni 1924 fasste die Gesellschaft unter anderem folgende Beschlüsse:

  1. Kurpfuscherei- und Geheimmittel-Unwesen gefährden die Volksgesundheit. Besonders unheilstiftend wirkt die Kurpfuscherei auf dem Gebiete der übertragbaren Krankheiten, wie z. B. der Geschlechtskrankheiten und der Tuberkulose, ferner die Kurpfuscherei durch massenbriefliche Behandlung und durch Massenvertrieb von Geheimmitteln.[…]
  2. Die planmäßigen öffentlichen Herabsetzungen und Verunglimpfungen der wissenschaftlichen Heilkunde, der sog. Schulmedizin, und ihrer Vertreter und Heilmethoden durch Kurpfuscher-Schutzverbände und Kurpfuscher-Presse untergraben das Vertrauen des Volkes zu den staatlich geprüften und anerkannten Medizinalpersonen.
  3. Der vom Kurpfuschertum organisierte Kampf gegen staatliche Gesundheitspflegegesetze, wie z. B. das Impfgesetz, oder gegen die Entwürfe solcher Gesetze, wie z. B. den Entwurf eines Gesetzes gegen Mißstände im Heilgewerbe oder eines Gesetzes gegen die Geschlechtskrankheiten […] durchkreuzen die staatliche Seuchenbekämpfung, die staatliche Krankenfürsorge.(Fischer 1913, S. 461)

Als die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernommen hatten, wurde auch die DGBK ein Opfer der Gleichschaltung. Noch im Jahr der Machtergreifung 1933 wurde die Vereinszeitschrift eingestellt und ein Jahr später, 1934, die gesamte Gesellschaft aufgelöst. Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuschertums zählt mit ihrem Engagement zum Patienten- und Verbraucherschutz mit Fug und Recht als eine der Vorläuferorganisationen der GWUP.

Das Heilpraktikergesetz als Ende der Kurierfreiheit

Die Nationalsozialisten brachten aber auch das Ende der Kurierfreiheit. Nämlich durch das „Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung“, kurz auch „Heilpraktikergesetz“, vom 17. Februar 1939. Im „Reichs- und Staatsanzeiger“ vom 28. Februar 1939 wurden die Gründe für den Gesetzeserlass ausgeführt.

Diese Ausführungen zeigen, dass es als Korrektur der Gewerbeordnung von 1869 gesehen wurde: Auf Grund der liberalistischen Grundeinstellung zu allen Fragen des öffentlichen Lebens kam es im Jahre 1869 im Zuge der Einführung allgemeiner Gewerbefreiheit in Deutschland auch zur Einführung der allgemeinen Kurierfreiheit. Diese Kurierfreiheit war eine nahezu unbeschränkte; fast jede praktische Betätigung auf dem Gebiete der Heilkunde war für jedermann möglich. Es konnte dabei nicht ausbleiben, daß sich auch fachlich unfähige und charakterlich minderwertige Personen auf diesem Gebiete betätigten und durch unzweckmäßige Behandlungsmethoden gesundheitlichen Schaden anrichteten. Die hierzu berufenen Stellen haben daher seit der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus Mittel und Wege geprüft, um diese Mißstände zu beseitigen und dem deutschen Volke eine einwandfreie gesundheitliche Betreuung sicherzustellen. Durch den Anschluss Österreichs und des Sudetenlandes wurde die gesetzliche Neuregelung dringlich, da für das Großdeutsche Reich einheitliches Recht geschaffen werden mußte. Das vorliegende Gesetz soll daher auf Grund der zur Zeit gegebenen Verhältnisse die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne ärztliche Bestallung endgültig regeln. (Begründung zu dem Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung -Heilpraktikergesetz- S. 2)

Interessant ist, dass sich dieses Gesetz explizit nur auf die gewerbliche Ausübung der Heilkunde bezieht. Wer in selbstloser Weise seinen Mitmenschen hilft, Krankheiten vorzubeugen oder sie zu heilen, kann und soll daran nicht gehindert werden. Jede berufsmäßige oder gegen Entgelt ausgeübte Heilkunde aber, und zwar gleichgültig, ob sie in selbständiger Praxis oder im Dienste von Vereinigungen, Firmen oder anderen Personen erfolgt, fällt unter die Bestimmungen des Gesetzes. (Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung -Heilpraktikergesetz- S. 65-66)

Durch die in diesem Gesetz verlangte Gefahrenabwehrprüfung, so rudimentär sie auch sein mag, und die daraufhin zu erteilende staatliche Genehmigung der Ausübung kann bei den Laienbehandlern per definitionem nun nicht mehr von Kurpfuschern gesprochen werden. Wie es nach dem Erlass des Heilpraktikergesetzes weiterging, wurde HIER bereits dargelegt.

Literatur

Begründung zu dem Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz).
In: Reichs- und Staatsanzeiger vom 28. Februar 1939 50(1939).

Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) vom 17. Februar 1939.
In: Reichsgesetzblatt: Teil 1 vom 20. Februar 1939. 30(1939), S. 65-66.

Fischer, A. (1913): Grundriß der sozialen Hygiene. Berlin: Springer, Berlin.

Virchow, R. (1900): Zum neuen Jahrhundert.
In: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medizin, Bd. 159, Heft 1, S. 1-23.

Fußnoten

(1) Ausführlicher Lebenslauf von Bönninghausen / von Lutze.

(2) Neben Preußen gehörten dem Norddeutschen Bund das Königreich Sachsen, die Großherzogtümer Hessen (nur Provinz Oberhessen), Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Sachsen-Weimar-Eisenach, die Herzogtümer Braunschweig, Anhalt, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Coburg und Gotha, Sachsen-Altenburg und Lauenburg, die Fürstentümer Lippe, Reuß jüngere Linie, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck, Reuß ältere Linie und Schaumburg-
Lippe sowie die Freien Städte Hamburg, Bremen und Lübeck an. Lediglich die Königreiche Bayern und Württemberg und die Großherzogtümer Baden und Hessen-Darmstadt gehörten nicht dazu.

(3) Gemeint ist hier der Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes. Ab Mai 1871 wurde dieses Amt in Reichskanzleramt umbenannt. Inhaber war und blieb allerdings Otto von Bismarck.

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2 Gedanken zu “Kurpfuscher, Quacksalber und Co. – Teil 2

  1. Bin schwer beeindruckt – da steckt wirklich fundierte Recherche dahinter, mit eleganter Schreibe dargeboten.
    Ich wünsche mir zweierlei – dass viel mehr Menschen diese Ausführungen lesen. Und dass viel stärker Verständnis um sich greift, was es wirklich mit der Homöopathie auf sich hat.

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